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Brief einer Unbekannten

Dass eine Frau bis zur Selbstaufgabe einen Mann vergöttert, obwohl sie weiß, dass er sich mit wechselnden Damen vergnügt, könnte auch einen Groschenroman abgeben. Die Vorlage zu Max Ophüls’ Filmklassiker „Brief einer Unbekannten“ stammt aber von keinem Geringeren als Stefan Zweig. Ein stimmungsvolles Wien der 1920er rahmt diese Erzählung einer stillen Leidenschaft. In der kongenialen Verfilmung von Ophüls – der die Handlung ins Jahr 1900 zurückdatiert – gleitet die wie immer bei Ophüls höchst bewegliche Kamera durch ein Studio-Wien, dessen Künstlichkeit den Willen einer Sterbenden, ihr Liebesleid zu inszenieren und so ins rechte Licht zu setzen, noch unterstreicht.

 

Der unabhängige Produzent William Dozier hatte dir Rechte für die Kino-Adaption „Letter from an Unknown Woman“ (1947) für seine Frau Joan Fontaine („Rebecca“) erworben und gab die männliche Hauptrolle Louis Jourdan („Der Fall Paradin“). Nicht zuletzt dank der bis in die Nebenrollen trefflichen Besetzung ist „Brief einer Unbekannten“ zentral im Schaffen des Regisseurs, dessen Filme – gemessen am DVD-Katalog – in Deutschland immer noch ein Schattendasein führen. Aber vielleicht folgen der Kinowelt-Veröffentlichung im 50. Todesjahr des großen deutsch-französischen Regisseurs ja endlich Klassiker wie „Der Reigen“, „Madame de“ und sein letzter Film „Lola Montez“.

 

„Wenn du diesen Brief liest, bin ich vielleicht schon tot“ lauten die ersten Zeilen eines Briefs, den der vierzigjährige Musiker Stefan Brand am Vorabend eines Duells zu lesen beginnt. Fortan begleitet die Erzählstimme Lisa Berndls die Rückblende, die mit dem Einzug des Verehrten in jenes Haus in Wien ansetzt, in dem Lisa ihre Jugend verlebt hat. Einige Zeit nachdem ihre Familie nach Linz umgesiedelt ist, kehrt die junge Frau nach Wien zurück und gibt sich dem Mann hin, der sie nicht wieder erkennt. Und der sie, nach wenigen Tagen des gemeinsamen Glücks, auch wieder vergisst.

 

Lisa bekommt einen Sohn von Stefan, ohne sich dem Geliebten zu offenbaren, und heiratet einen reichen Mann. Doch Lisa ist bereit, Wohlstand und Sicherheit zu opfern, als sie Stefan Jahre später zufällig in der Oper wiedertrifft. Ihr Kind steckt sich durch einen unglücklichen Zufall mit Typhus an und stirbt. Auch Lisa erkrankt und schreibt im Bewusstsein des nahen Todes den Brief an Stefan.

 

Der regnerische Abend vor dem Duell rahmt die Erzählung. Erst gegen Ende der Geschichte wird dem Zuschauer klar, dass hier kein anderer als Lisas wohlhabender Ehemann Satisfaktion von Stefan fordert – und dass Lisa Stefans möglichen Tod sehr wohl vorausgesehen und einkalkuliert hat. Mehr als ein Detail der Geschichte weckt Zweifel an der scheinbar selbstlos-hehren Leidenschaft einer Frau. Diese halb verborgene, durch die Kameraarbeit subtil angedeutete Egozentrik, die Selbstdarstellungslust und der Masochismus der Protagonistin wird vom Filmwissenschaftler Tag Gallagher in einem brillanten Video-Essay herausgearbeitet, der zum Bonusmaterial gehört. Bild und Ton des Films sind ansprechend restauriert, die im deutschen Erstaufführungsjahr 1950 stark gekürzte Synchronfassung ist durch untertitelte Passagen erweitert.

 

Jens Hinrichsen

 

Dieser Text ist zuerst erschienen in: film-dienst

 

Brief einer Unbekannten

LETTER FROM AN UNKNOWN WOMAN

USA – 1948 – 87 min. – schwarzweiß – Verleih: Universal – DVD: 2007 bei Kinowelt

Erstaufführung: 24.2.1950/26.10.1958 ARD – Fd-Nummer: 618 – Produktionsfirma: Universal

Produktion: John Houseman

Regie: Max Ophüls

Buch: Howard Koch

Vorlage: nach dem Roman "Brief einer Unbekannten" von Stefan Zweig

Kamera: Franz Planer

Musik: Daniele Amfitheatrof, Alexander Golitzen

Schnitt: Ted J. Kent

Darsteller:

Joan Fontaine (Lisa Berndle)

Louis Jourdan (Stefan Brand)

Mady Christians (Frau Berndle)

Marcel Journet (Johann Staufer)

Art Smith (John)

John Good (Lt. Leopold von Kaltnegger)

 

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