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Brick

 

Ein Held der alten Schule

 

Dieser Film hat einige der besten Sätze des letzten Kinojahrzehnts. Und gottseidank merkt es keiner, weil sie im Sekundentakt herausgeschossen werden und niemand ihnen allzuviel Beachtung schenkt. Trotzdem stellt man hinterher augenreibend fest: Man war gerade in einem Film, in dem der Held solch trockene Dialogperlen von sich gibt wie „Ich kann auch einfach nur hier sitzen und vor mich hinbluten“ oder „Jetzt wollen wir doch mal den Baum schütteln und schauen, was uns so alles auf den Kopf fällt“. Werden solche Filme wirklich noch gedreht?

 

Das mit dem Augenreiben hört so schnell übrigens nicht mehr auf, wenn man sich „Brick“ anschaut. Man würde ja gerne hinter die ingeniösen handwerklichen Kniffe des viel versprechenden Debütregisseurs Rian Johnson blicken, um zu sehen, wie er diese packende, kühle 40er-Jahre-Krimi-Atmosphäre hinkriegt, man würde gerne die harten, abrupten Schnitte untersuchen oder sich mal auf den subtilen, schleichenden Soundtrack konzentrieren, aber man kommt einfach nicht zu solchen akademischen Übungen, weil man vom smart durchdachten und dicht inszenierten Strom der Geschichte überwältigt und mitgerissen wird.

 

Unablässig rasselt der Film seine Informationen herunter, und die Figurenkonstellation ist ähnlich verdreht wie John Hustons ewig unverständlicher „The Maltese Falcon“: Es gibt eine tote Frau im Abwasserkanal, und außen rum scharen sich Muskelmänner aus der Unterschicht, Kleindealer aus dem Mittelstand und glamouröse Figuren aus der Upper Class. Der Ex-Freund der Toten, ein Hobbydetektiv namens Brendan, will ihren Tod rächen und mischt dafür ohne Wimperzucken die lokale Drogenszene auf, bis er ganz oben angekommen ist. Auch er lässt uns nicht viel Zeit zum Atmen: Schlag auf Schlag spricht er mit seinem Außenseiterkumpel Brain die möglichen Verwicklungen durch, analysiert die letzten Ausbrüche der Gewalt, Drohungen, Intrigen. Der Zuschauer verliert dabei nie ganz den Halt, aber er findet auch nie wirklich sicheren Boden unter den Füßen.

 

Auf den ersten Blick haben wir es bei diesem Film, die Inhaltsangabe lässt es schon erahnen, „nur“ mit einer gelungenen Sam-Spade-Hommage zu tun: Die Damen schwanken zwischen Laura Palmer und Lauren Bacall, sind allesamt Damsels in Distress oder Femme Fatales, gerne auch beides; die Männer oszillieren zwischen Gert Fröbe und Peter Lorre, alle sind sie entweder Informanten, Schläger oder Oberschurken. Man trifft sich im spärlichen Licht von Straßenlaternen, man tauscht Zettelchen mit geheimen Zeichen aus. Aber das alles wäre sinnlos, wäre nicht der Held, diese wunderbare Kreatur namens Brendan Frye, eine echt hartgekochte Wiedergeburt von Humphrey Bogart – er ist kein Genie, aber er weiß sich zu helfen, ist in den richtigen Momenten eiskalt, verflucht smart und kann höllisch viel einstecken. Und er sagt eben Sätze, die heute keiner mehr sagt. Sätze wie: „Naja, es gab sowieso nie die Möglichkeit, sauber aus dieser Sache rauszukommen“.

 

Außerdem, und das ist vielleicht das Sympathischste an ihm, kriegt er bei seinem Versuch, alle gegen jeden auszuspielen, erstmal mächtig auf die Fresse. In dieser Hinsicht erinnert die Figur weniger an Bogart (obwohl auch der beizeiten ganz schön rumgeschubst wurde), sondern eher an Gabriel Byrnes kaltäugigen Tom Reagan aus „Miller’s Crossing“ – er ist ein so verdammt cooler Hund, dass er noch beim Verprügeltwerden alles herausfindet, was er wissen will (und was für Tom damals sein Hut war, dem er ewig nachjagen musste, weil er ihm von Damen geklaut, von Spielern abgezockt oder von Schlägern vom Kopf gehauen wurde, ist für Brendan seine Brille, die er wunderbar nonchalant mit einem schnellen Handgriff zusammenklappen und wegstecken kann, wenn wieder mal Kloppe droht).

 

Habe ich schon erwähnt, dass der Film in einer High School spielt? Spätestens jetzt geht wahrscheinlich bei Vielen das Augenreiben über in ein skeptisches Stirnrunzeln. Dabei ist diese Tatsache eigentlich eher unwichtig und sollte den Leser unter keinen Umständen davon abhalten, diesen wunderbaren Film zu sehen. Die Vorteile eines solchen Settings unter Teenagern werden in „Brick“ wunderbar trocken ausgelotet (Bogart musste sich nie mit dem Schulrektor absprechen, wenn er der Polizei einen Schuldigen liefern wollte; und noch nie bekam ein lokaler Drogenboss von seiner fürsorglichen Mutter Milch und Kekse hingestellt), die Nachteile souverän vermieden: Vor allem in Sachen Schauspieler sieht es bei Teenagerfilmen aus Amerika ja eher grausig aus. Bei „Brick“ dagegen könnte man feststellen (würde man sich nicht andauernd verwundert die Augen reiben), dass hier nicht nur das beste Drehbuch für ein Teenagerensemble seit Jahren vorliegt, sondern dass die Schauspieler diese Herausforderung auch angenommen und fantastisch gemeistert haben. Ganz vorne steht natürlich Joseph Gordon-Levitt, dessen Leistung nichts weniger als sensationell ist. Die Hände immer in den Hosentaschen, die Schultern hängend, die Brille schief im malträtierten Gesicht – sein irgendwie charmanter, irgendwie auch kauziger Außenseiter hat genug Facetten für ein halbes Dutzend guter Filme. Aber auch Lukas Haas als Spaceyeskes Verbrechensmastermind „The Pin“, Noah Fleiss als sein überraschend vielseitiger Bodyguard oder Nora Zehetner als glamoröse Upper-Class-Femme-Fatale verdienen sich Bestnoten.

 

Kurz und gut: Hier stimmt alles. Dachten sich wohl auch die Herren vom Sundance-Festival, die „Brick“ mit dem Spezialpreis der Jury dekorierten und damit noch mal offiziell machten, was hier ganz subjektiv gesagt werden soll: „Brick“ ist einer der besten Filme des Jahres, und der Film noir lebt und erfreut sich bester Gesundheit.

 

Daniel Bickermann

 

Dieser Text ist zuerst erschienen im: Schnitt

 

Brick

USA 2005. R, B, S: Rian Johnson. K: Steve Yedlin. M: Nathan Johnson, Larry Seymour P: Bergman Lustig Productions. D: Joseph Gordon-Levitt, Nora Zehetner, Lukas Haas, Matthew O’Leary u.a. 110 Min. Senator ab 21.9. 06

 

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