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Breaking
the Waves
Religion
revisited
Spätestens
seit Nietzsche wird jeder halbwegs aufgeklärte Mensch die filmische Thematisierung
eines Gottesopfers als etwas problematisch empfinden, was Lars von Trier ("Europa", "Die
Idioten")
nicht davon abgehalten hat, 1996 dem Kinogänger mit "Breaking the
Waves" genau diesen Stoff, im Brustton der Überzeugung, zuzumuten.
Dass der Film mit Preisen überschüttet wurde ist entweder Beleg für
eine orientierungslose Filmkritik oder für die Raffinesse eines der intelligentesten
Filmemacher der Gegenwart
Die junge, naive
und kompromisslos empfindsame Bess, Mitglied einer kleinen, streng religiösen
Gemeinde an der schottischen Küste zu Beginn der Siebziger Jahre, heiratet
Jan. Was seine Freunde verwundert: Nach der Trauung gibt es kein Glockengeläut.
Die puritanische Gemeinde besitzt aus Prinzip keine Kirchenglocken. Weil Bess
das Leben ohne Jan, der wochenlang auf einer Bohrinsel arbeiten muss, nicht
erträgt, betet sie in einem ihrer vielen Zwiegespräche zu "Gott"
(wobei sie "Gottes" Antworten sich selbst mit sonorer Stimme gibt),
dass Jan für immer bei ihr bleiben kann. Als Jan nach einem Arbeitsunfall
als fast vollständig Gelähmter zu ihr zurück gebracht wird, gibt
Bess sich selbst die Schuld. Jan, angesichts der Hoffnungslosigkeit seines Zustandes
und weil er Bess ein glückliches Leben ermöglichen will, bittet Bess
sich einen anderen, fähigen Liebhaber zu suchen. Weil Bess darauf mit absolutem
Widerwillen reagiert und ihre Freundin Dodo ihm klar macht, Bess würde
alles für ihn tun, versucht er Bess glauben zu machen, er selber würde
darin einen Ersatz für ihr gemeinsames Sexualerleben finden, und es würde
ihm dadurch wieder besser gehen, wenn sie sexuell mit anderen Männern verkehrt,
und ihm davon berichtet. Im festen Glauben, Jan mit ihren Kontakten zu helfen,
versucht Bess vergeblich einen jungen Arzt zu verführen, masturbiert sie
angeekelt einen Mann in einem Bus, lässt sich von einem anderen neben einer
Strasse penetrieren, erstattet Bericht – alles ohne Erfolg: Jans Zustand wird
schlechter. Da Bess‘ Aktivitäten der kleinen Gemeinde nicht verborgen bleiben
und sie den Fehler begeht, während eines Gottesdienstes zu sprechen, was
Frauen streng untersagt ist, wird sie exkommuniziert, und schliesslich, als
Massnahme des jungen Arztes zu ihrem Schutz in eine Psychiatrie eingewiesen,
aber sie kann fliehen. Als schliesslich "Gott" ihr im Gebet nicht
mehr antwortet und sie von Dorfjungen als "Nutte" verhöhnt und
mit Steinen beworfen, von ihrer eigenen Mutter ausgestossen wird, vollzieht
sie ihr Opfer: Sie begibt sich als Hure bewusst auf ein Schiff mit zwei gewalttätigen
Matrosen – auf der Hinfahrt spricht "Gott" wieder zu ihr- und stirbt
bald darauf an ihren Misshandlungen im Krankenhaus.
Dem wie durch
ein Wunder geheilten Jan, der weiss, dass "sündige Seelen" wie
ihre in ihrer Gemeinde der Hölle überantwortet werden, gelingt es
mit seinen Freunden ihren Leichnam aus dem Sarg zu stehlen und ihr auf der Bohrinsel
eine Seebestattung zu ermöglichen. Am Morgen wird er geweckt, weil hoch
am Himmel über der Bohrinsel Glocken hängen und läuten.
Die Geschichte
von Bess lässt sich in einem Satz zusammenfassen: Eine junge Frau opfert
ihr Leben für das Leben ihres Mannes. Für sich genommen ist das der
Stoff einer tragischen Liebesgeschichte und durchaus vorstellbar, wenn auch
selten genug. Aber "Breaking the Waves" handelt auch von einem Wunder
und von einem Gott, der dafür das Opfer fordert, und hier beginnt das,
was den Film schwer verdaulich macht. Denn eigentlich ist nicht mehr erkennbar,
ob Bess sich für Jan opfert oder für ihren Gott, dessen (sichtbares!)
Ziel nicht ihr (irdisches) Glück, sondern ihr physisches Leiden und ihr
Tod ist, und Bess‘ Geschichte wäre leichter nachvollziehbar, solange sie
erkennbar aus einem Irrglauben heraus geschähe, aber durch Einführung
eines wundertätigen Gottes am Ende wird dessen Existenz behauptet,- vor
allem aber dessen unmenschliche Praxis sanktioniert. Wer immer schon Probleme
damit hatte, der Passionsgeschichte Christi einen Sinn abzugewinnen, wird hier
gnadenlos daran erinnert: Alleingelassen und schwach, dem Spott der Kinder ausgesetzt,
annähernd gesteinigt, schiebt Bess ihr Mofa, als würde sie ihr Kreuz
tragen. "Mein Gott, warum hast du mich verlassen?" soll Jesus im Todeskampf
gesagt haben, "Es war alles nicht wahr." sagt die sterbende Bess,
die gesehen hat, dass Jan trotz ihres Martyriums noch nicht geheilt ist. Am
Morgen nach ihrer Bestattung läuten am Himmel die Glocken für alle
hörbar, sie ist auferstanden, wie Christus an Ostern. Bess ist eine Heilige,
eine Märtyrerin.
Gnadenlos ist
der Film vor allem dadurch, dass er hervorragend gemacht ist. Die von Emily
Watson hinreißend gespielte Bess nimmt uns so sehr mit in ihre Wahrnehmung,
dass wir am Ende ihrer Logik folgen und unserer eigenen misstrauen müssen.
Die (auf Breitwand formatierten) wackeligen Handkameraaufnahmen erzeugen eine
bis dato im Kino selten gesehene Präsenz und Authentizität, eine Technik,
die sich erst mit dem später von Trier mitbegründeten "Dogma-Stil"
(s. a. Rezension: "Die Idioten") etablierte. Eine mit viel Hingabe
und Können gearbeitete Filmerzählung mit einer zweifelhaften Kernaussage?
Unterstellt man (dem zum kritischen Katholiken konvertierten Atheisten) Lars
von Trier gute Absichten, kann man – mit ein wenig Toleranz – zu folgendem Ergebnis
kommen.
Alles, was Bess
tut, tut sie aus reiner Liebe, nur um Jan zu retten, und beinahe widersinnigerweise
rettet sie ihn auch genau deswegen. Die Unbedingtheit einer spirituellen Überzeugung
ist für uns museal. Die Naturwissenschaft (unsere moderne Gottheit) lehrt
uns, so lange an unseren Erkenntnissen zu zweifeln, bis ihr Gegenteil erwiesen
ist. Bess in ihrem Glauben wider jegliche Vernunft praktiziert das exakte Gegenteil
dessen, worauf unsere atheistisch-rationale Zivilisation stolz zu sein sich
angewöhnt hat. Vielleicht könnte eine Verortung des Menschen seiner
selbst in der Welt mehr sein als eine Anhäufung von zufälligen Notwendigkeiten,
sie könnte, auch ohne einen Gott, eine Art spirituelles Credo beherbergigen.
Aber wie dem auch sei: "Breaking the Waves" bleibt ein kleiner Geschichtsexkurs
der christlichen Religion inclusive deren Perversitäten. Welchen Standpunkt
man zu diesem Film auch bevorzugt, er wird einem alles andere als bequem gemacht.
Dies ist der Affront, den uns Lars von Trier beschert, und er versteht dabei
die Meisterschaft, weder die eine, die vernünftige, noch die andere, die
religiöse Seite überzeugend und unhinterfragt siegen zu lassen. Trier
proklamiert zwar den Gott und das Wunder, aber man meint dabei, ein hinterlistiges,
fast gemeines Augenzwinkern zu entdecken.
Er zeigt uns
Konflikt und Reibung, und er beweist mit "Breaking the Waves", dass
in Sachen Religiosität vielleicht noch nicht das allerletzte Wort gesprochen
worden ist – oder vielleicht doch? Es gelingt von Trier dem Zuschauer geistige
Mühsal aufzubürden. Wer Filme zur Entspannung benötigt, sollte
"Breaking the Waves" tunlichst meiden.
Andreas Thomas
Diese Kritik ist
zuerst erschienen bei: filmrezension.de
Breaking
the Waves
BREAKING
THE WAVES
Dänemark
– 1996 – 159 min. – Scope
FSK:
ab 12; feiertagsfrei – Verleih: Pandora, Arthaus (Video) – Erstaufführung:
3.10.1996/1.4.1997 Video/9.11.1998 Arte – Produktionsfirma: Zentropa Entertainment
/ Trust / Liberator / Argus / Northern Lights
Produktion:
Vibeke Windelov, Peter Aalbaek Jensen
Regie:
Lars von Trier
Buch:
Lars von Trier
Kamera:
Robby Müller
Musik:
Joakim Holbek
Schnitt:
Anders Refn
Darsteller:
Emily
Watson (Bess), Stellan Skarsgard (Jan), Katrin Cartlidge (Dodo), Jean-Marc Barr
(Terry), Udo Kier (Mann auf dem Fischkutter)
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