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Mit
Herzblut in den Kampf
Ken
Loachs politisches Kino mobilisiert die Kräfte des Melodrams
Menschen
hetzen über eine grüne Grenze, noch ein paar Meter, dann ist es geschafft.
Ein Transporter wartet, "Schnauze halten, los unter die Decke!", die
professionellen Anführer könnten ebenso gut Schleifer bei den US-Marines
sein. Damit beginnt "Bread & Roses", und doch sind dies nicht
unbedingt die ersten Bilder des Films. Ihnen gehen ältere Bilder und Begriffe
voraus, mit denen der Filmemacher Ken Loach assoziiert wird und die seit Jahren
den Blick auf seine Arbeiten begleiten: Von "Cathy Come Home" (1966)
und "Kes" (1969) über "Hidden Agenda" (1990) bis "Riff-Raff"
(1991) und "Raining
Stones"
(1994) reicht das Image vom "sozialkritischen Regisseur", dem "wichtigsten
Regisseur der Neuen Realisten" im britischen Kino, mit der "bedeutenden
Filmografie über die britische Arbeiterklasse".
Aus
diesen Vor-Bildern entsteht ein Versprechen oder sogar eine Gebrauchsanweisung,
in jedem Falle bestimmen sie das Reden über Ken Loachs Filme. Weil Loach
seinen berühmten "dokumentarisch geschulten Blick" auf Menschen
innerhalb politischer und sozialer Kämpfe richte, öffne sich für
uns ein direkter, einfacher Zugang zu ihnen. Es kommt auf die Nähe an:
In „Bread & Roses“ folgen wir Maya (Pilar Padilla) über die mexikanisch-amerikanische
Grenze. Im Land of the Free muss sie gleich noch einmal flüchten, aus der
Gewalt ihrer Schlepper, die sie sagen hört: "Lass uns ‘ne Münze
werfen, wer sie bekommt." Dann erreicht sie ihre Schwester in Los Angeles.
Rosa (Elpidia Carillo) bringt ihren arbeitslosen Mann und die zwei Kinder gerade
eben über die Runden; ihrer Schwester Maya verschafft sie einen Job an
ihrer Seite, als "Putze" in einem Bürokomplex.
Von
nun an treten wir ein in die nächtlichen Kolonnen der "Janitors",
größtenteils Immigrantinnen und Immigranten, die ohne gewerkschaftlichen
Schutz auf die Gnade ihrer Herren angewiesen sind. Eine Art Armee unsichtbarer
und unterbezahlter Heinzelmännchen der freien Marktwirtschaft richtet Nacht
für Nacht eine Stadt her, in der zu leben sich dieses Bodenpersonal kaum
leisten kann. Mayas Geschichte verschmilzt mit der einer Auflehnung: Die Janitors
überwinden die Angst vor dem eigenen Rauswurf und organisieren gemeinsam
den Protest gegen die Arbeitsbedingungen. "We
want Bread, but Roses too!" Dank
Sam, einem aufmüpfigen Gewerkschafter, wird daraus auch eine Liebesgeschichte,
die genau dort ihre Grenze hat, wo die Repression des Jobs beginnt: Jeder ist
jederzeit kündbar, der Stundenlohn liegt bei 5,75 Dollar. Kranken- oder
Sozialversicherung existieren nicht.
Das
Versprechen der Vor-Bilder scheint sich also zu erfüllen. Mit „Bread &
Roses“ trägt Ken Loach seinen engagierten sozialen Realismus in die USA,
könnte das Fazit lauten. Es scheint bekräftigt durch den realen Hintergrund
des Films, den Streik der Janitors von Los Angeles im Jahr 1999. Das rundet
das Gesamtbild ab, ein weiteres Loach-Werk ist eingeordnet, das Publikum darf
sich in die bekannten Lager einsortieren: entweder beklagt man den überkommenen
Stil eines sozialistischen Realismus mit Verdacht auf Sozialromantik, oder man
genießt mit bewegtem Applaus eine Portion Gutmenschen-Gefühl. Aber
diese Wahl ist keine.
"Every
fucking choice stinks!" Diese
Bilanz stammt vom arbeitslosen Titelhelden aus Loachs vorletztem Werk „My
Name is Joe“,
das sich einer einfachen Kategorisierung ebenso entzieht wie „Bread & Roses“.
Vor allem die jüngeren Loach-Filme wie „Land & Freedom“ (1995) oder
„Ladybird, Ladybird“ (1994) haben die Künstlichkeit des für sie vorgesehenen
Modells vorgeführt, oder besser: Sie haben die Grenzen jener Raster gesprengt,
in denen auch Loachs frühere Arbeiten nie ganz aufgegangen sind. Nicht
jeder Film zu real existierenden Ausbeutungsverhältnissen, politischen
Kämpfen und sozialen Ungerechtigkeiten ist per se schon "sozialkritischer
Realismus". Gerade in den letzten Loach-Filmen ist die Auseinandersetzung
mit seinen Themen nicht von ihrer melodramatischen Erzählweise zu trennen.
Die Mittel des Melodramas sind möglicherweise der wichtigste Grund, warum
der Zugang zu ihnen so "einfach" gelingt; warum uns die Geschichten
leicht so nahe kommen, dass sie uns in einigen Momenten sogar unangenehm berühren.
Die
Nähe wird körperlich durch die Präsenz der Heldinnen und Helden.
Sie ziehen uns hinein in soziale und politische Systeme, von denen wir nicht
selten selbst, auf die eine oder andere Art, ein Teil sind. In „Bread &
Roses“ erreicht diese melodramatische Nähe ihren Höhepunkt, als Maya
erfährt, dass ihre eigene Schwester die geheimen Gewerkschaftstreffen an
die Firmenleitung verrät. Das ordnungsgemäße "Gut gegen
Böse" wird fragwürdig, geht unter in einer emotionalen Überforderung,
als sich Rosa unter Tränen von Wut und Verzweiflung verteidigt und ihre
Geschichte erzählt, in der Prostitution, Überleben und die Ernährung
der mexikanischen Familie eins geworden sind. Auch Maya verdankt ihre Existenz
dem Opfer der Schwester, die bereit war, sich in jeder Beziehung zu verkaufen.
Der Gutmensch im Publikum verliert seine Basis, weil niemand schuldlos bleibt.
„Bread & Roses“ flüchtet trotzdem nicht in fatalistisches Pathos, sondern
hält an der Frage fest: Which side are you on?
Für
den Kulturwissenschaftler D. N. Rodowick hat das Melodrama die Kraft, "Bilder,
Erklärungsmuster und Werte, durch die sich die dominante Ideologie auszeichnet,
so zu organisieren, dass sie als System von Konflikten erscheinen". Loachs
Filme nutzen genau diese Kraft. In „Bread & Roses“ mündet sie in die
Aufforderung, vor den Konflikten nicht zu kapitulieren und die eigene Einstellung
ihnen gegenüber zu überprüfen. Eine Frage des Standpunkts: Für
uns als Publikum könnte das zugleich heißen, genauso kritisch mit
unseren Vorbildern und Vorurteilen im Kino umzugehen.
Jan
Distelmeyer
Diese
Kritik ist zuerst erschienen in: Die
Zeit 41/2001
Brot
und Rosen
Bread
and Roses
GB/Sp/F/D/Schweiz
2000 – Regie: Ken Loach – Darsteller: Pilar Padilla, Adrien Brody, Elpidia Carillo,
George Lopez, Jack McGee, Alonso Chavez, Monica Rivas, Frankie Davila, Terry
Anzur, Benicio Del Toro, Ron Perlman, Tim Roth – Länge: 110 min. – Start:
4.10.2001
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