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BOX OF MOONLIGHT

 

 

 

Eine kleine sympathische moralische Fabel, die das schier unglaubliche Kunststück zustandebringt, den rigiden Normen der amerikanischen new ethics dadurch zu genügen, daß gelehrt wird, aus ihnen auszubrechen. Respekt und Bewunderung also für den Spagatkünstler Tom DiCillo (LIVING IN OBLIVION), der seinen Helden John Turturro nach Drip Rock, Tennessee, auf Montage schickt, deutlich getrennt von Frau und Kind im fernen Chicago. Im Plattenbau-Hotel „Quality” zupft er sich das erste graue Haar aus der Schläfe, knöpft sich das Hemd auf und sieht über den nächtlichen Hof am Fenster einen alten Mann, der sich in gleicher Manier vorbereitet, brav und früh ins Bett zu gehen.

Wir werden uns heftig damit anfreunden, daß dieser Film mit Worten geizt. Um so stärker sind die Bilder aus den romantischen Smoky Mountains. Und es braucht nicht extra gesagt zu werden, daß die filmisch ausgiebig behandelte Midlife-crisis inmitten der ökologisch weitgehend unbedenklichen Natur ihr therapeutisches Spezifikum finden wird, zum Beispiel in Gestalt eines Jungen im bizarren Davy-Crockett-Trapper-Outfit (Sam Rockwell), der sich als Einsiedler und doch putzmunter im seenreichen Wald einen phantasievollen Fun-Park aufgebaut hat und morgens nackt in den kristallenen See springt. Der Jungtrapper lebt nicht nur vom Handel mit geklauten Gartenzwergen, sondern ist von pädagogischem Eros beseelt. Er wird den melancholischen Familienvater öffnen und für die Freuden des Hier-und-Jetzt zugänglich machen. Es ist die gleiche „Nachsommer”-Konstellation wie beim guten alten Adalbert Stifter, bloß die Generationen sind vertauscht. Auch, so muß berichtet werden, gehören zu den Freuden der Natur, die gelehrt werden, selbstverständlich die Frauen sowie, wenn auch eingeschränkt, harmlose Drogen.

Die beiden Kumpel, der Junge und der Vater, erleben in Gottes freier Natur eine Reihe phantastischer, bizarrer, grotesker, komischer und mehr oder minder lehrreicher Abenteuer, bis die innere Freiheit und die Unabhängigkeit des Ergrauenden wieder hergestellt ist. Das ist beziehungsreich am Independence Day der Fall. Ohne Umstände zu machen, führt uns der Film nach dem Falsch-Richtig-Schema Bilder vor, die uns die Entscheidung leicht machen. Der alte See von Splatchee Lake ist umgekippt – voll Formaldehyd von der Chemiefabrik? In der Vergnügungspark-Ruine rennt ein Kirchenmann herum, um mit der bloßen Axt in der Hand depressive Väter zu missionieren? Nicht verzweifeln! Trapper-Kid fragen! Woanders Wildwasser suchen, und selbst die Grillwurstbraten im eigenen Vergnügungspark!

Das Mondlicht wird auf dem Metall des kleinen Koffers reflektiert. Und BOX OF MOON-LIGHT reflektiert die Kräfte der Natur. Er sagt ja zum Leben. Das klingt zwar pathetisch, ist aber aufrichtig gesagt, gezeigt und getan. Sehr lustig, sehr abenteuerlich und reines Herzblut dabei. Mitten in dieser bizarren existentialistischen Meditation fällt das Böse ein. Vor der Pink Front der Erotic Bar schlagen Wick und seine starken Männer zu. Genau wie diese sehen sonst die Helden des Mainstream-Films aus, von dem die Jugend einst gelernt hat. Vom Führer John Wayne beispielsweise. Damit keiner übersieht, daß wir hier die falsche Propaganda haben, rückt der Film das Kino ins Bild, das THE GREEN BERETS anzeigt. DIE GRÜNEN TEUFEL von 1967. Das war der nationale Appell zum Durchhalten in Vietnam und die Zeit für den Bau technologisch hochgerüsteter Giftgasfabriken daheim. Falsch ist das heute. Drum erleben wir in BOX OF MOONLIGHT die Gegenpropaganda. Die FBI/CIA-Puppe ist im Überlebenscamp des Einsiedel-Kids bereits gehenkt. Die Fabrik, die Bauleiter Turturro grade mitaufgebaut hat, und die der junge Waldläufer der Giftgasproduktion verdächtigt, wird in einer vandalistischen Orgie von den Selbstfindungs-Buddys zerschossen und verwüstet, und das unter Lustgeschrei. – Die Attacke der alten grünen Teufel hat die Kämpfer von heute hartgemacht. Gegengewalt!

Und nun muß begründet werden, warum dieser vielleicht doch nicht ganz so harmlose Film in die festgefügte Welt der Familienwerte und der moralischen Ordnung eingepaßt ist. Das geht so: Nachdem Turturro im Midlife-crisis-Überlebenstraining genug gelernt hat, fährt er nach Chicago zurück, nicht ohne den Mondlichtkoffer als Abschiedsgabe erhalten zu haben. Die Kamera schwebt über triste Industriegebiete und gleichförmige Haus-mit-Vorgarten-Siedlungen ein. Zäune über Zäune. Bang erwar-ten Frau & Kind den Heimkehrer, den pflichtbewußten, aber gefühlsarmen Familienvater. Aber jetzt ist alles anders, denn Turturro weiß seine Reiseerfahrungen zu nutzen. Statt der unsäglichen Lernhilfen, mit der er den überforderten Abc-Schützen vergeblich das Einmaleins einpauken wollte, gibt es jetzt ein klasse Videospiel als Geschenk. Päng, päng! Wow! Und der Gattin verehrt er gar den Mondlichtkoffer. Auch schenkt er ihr einen zärtlichen Blick. Pfft! Erleichterung sentimental. Die Kleinfamilie ist wieder glücklich, wenn Vati erfolgreich seinen Lehrgang absolviert hat – auf Montage oder an der “New Frontier”, so lasen wir es auf den Schildern des Schulungs/Fun-Parks.

Wenn wir auch vielleicht nicht alles einsehen, aber wir glauben der moralischen Wunderwelt von BOX OF MOONLIGHT. Es ist zu spüren, wie am Mondlichtkoffer das Herzblut DiCillos klebt. Der fabulierende Elan reißt mit. Die Protagonisten werden wahrhaftig. Der Film ist kurz davor, Dokument eines (moralischen) Märchens zu werden, das im Begriffe ist, wahr zu werden. Womit denn auch die rechte Methode der Missionierung leicht zu entscheiden ist: nein – mit der Axt. Ja – mit dem Film, – falls es sich denn um die Moonlight-Box handelt.

 

Dietrich Kuhlbrodt

 

 

Dieser Text ist zuerst erschienen in:  epd film

 

 

BOX OF MOONLIGHT

USA 1996. R und B: Tom DiCillo. P: Marcus Viscidi, Thomas A. Bliss. K: Paul Ryan. Sch: Camilla Toniolo. M: Jim Farmer. T: Mathew Price. A: Therese DePrez, Steve Brennan. Ko: Ellen Lutter. Pg: Lemon Sky. V: Tobis. L: 111 Min. St: 13.3.1997. D: JohnTurturro (AI Fountain), Sam Rockwell (Kid), Catherine Keeler (Floatie Dupre), Lisa Blount (Purlene Dupre), Annie Corley (Deb Fountain), Alexander Goodwin (Bobby Fountain), Dermot Mulroney (Wick), Mike Stanley (Doob), Rica Martens (Doris).

 

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