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Die
Blume des Bösen
Gewalt
und Minimalismus
Als
ob es gar kein Kino wäre: Claude Chabrol zeigt im Wettbewerb seinen Film
"Die Blume des Bösen", in dem es noch einmal um die Lebenslügen
des Bürgertums geht
Die
meisten Lacher kriegt der Film durch seine beiläufigen Antiamerikanismen.
Der Sohn des Hauses war gerade drei Jahre dort, und nun wird Essen, Sex, Rauchen,
Trinken mit Frankreich verglichen. Okay. "Blume des Bösen" ist
etwas irreführend. Hier ist niemand böse und trotzdem oder gerade
deswegen schön. Die zwei Tötungsdelikte, die zwei vollkommen integre
und liebenswerte Frauen an Vergewaltigermännern und Nazikollaborateuren
begehen, sind restlos verständlich und gerechtfertigt. Und die im Abstand
von knapp sechzig Jahren getöteten Männer sind zwar böse, haben
aber so gar nichts von Blumen. Fast zu viel schlechte Eigenschaften auf der
einen Seite, fast zu viel Liebreiz plus Integrität samt Antifaschismus
auf der anderen.
Das
Chabrol-Klima kann trotzdem seinen ambivalenten Reiz entfalten wie der Weißwein,
den die verstrickte und verwickelte Bürgerfamilie anzubauen pflegte, bevor
sie das Gut an die Japaner verscherbelte. Diese französische Bürgerlichkeit
ist so angenehm wie immer schon auf Gewalt und Lebenslüge aufgebaut, und
keine Seite dieser Wahrheit wollen wir ignorieren. Die Last, diesen Grundwiderspruch
auszutragen, ist auf mehrere Personen verteilt, keine Isabelle Huppert oder
Sandrine Bonnaire, die ihn durch große Schauspielkunst auf sich nehmen.
Das führt zu einem Plus an diesen kurzen, genau gebauten, nur der Illustration
der Lebensumstände dienenden Szenen und einem Minimum an Drama, Konfrontation
und Aktion.
Was
"La fleur du mal" an den Rand des Langweiligen drängt, ist aber
die trübe Aufgabe, Vorgeschichte aus beiläufigen Dialogen heraustropfen
zu lassen. Nicht so schlimm wie bei "Napoleon", wo man sich immer
die bekanntesten weltgeschichtlichen Daten beim Frühstücken erzählen
musste, aber zäh. Zumal die entscheidende Einsicht von der betagten Tante
Line die Notwendigkeit solchen Erzählens ohnehin in Frage stellt. Wie sie
es denn geschafft habe, so lange mit der (unausgesprochenen) Vergangenheit zu
leben? "Es gibt keine Vergangenheit, das Leben ist eine einzige dauernde
Gegenwart." In dieser Gegenwart ist das Nazi-Verbrechen wie die bescheidene
Revanche immer da. Das zu zeigen, nicht unbedingt zu erzählen, ist Chabrols
große Kunst – fast so zurückhaltend, als wäre es gar kein Kino.
Das ist es dann aber doch in einem ganz emphatischen Sinne.
Diedrich
Diederichsen
Dieser
Text ist zuerst erschienen in der taz Berlin lokal
Die
Blume des Bösen
Frankreich
2003 – Originaltitel: La Fleur du Mal – Regie: Claude Chabrol – Darsteller:
Nathalie Baye, Benoît Magimel, Suzanne Flon, Bernard Le Coq, Mélanie
Doutey, Thomas Chabrol, Henri Attal, Kevin Ahyi, Jérôme Bertin
– FSK: ab 12 – Länge: 104 min. – Start: 24.7.2003
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