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Blue Crush

 

 

 

Ein Surferfilm als lebensnahes Porträt einer jungen Frau

 

Die Welle kommt, und er ist da, der große Augenblick zwischen Scheitern und Triumph. Wer jetzt zögert, hat seine Chance verpasst. Wer den Sprung aber wagt, der darf ganz bei sich sein und frei. Dann gelten die Gesetze der Physik nicht mehr. Schwerelos gleitet man durch den Wellentunnel, allen irdischen Dingen entrückt.

Für Anne Marie (Kate Bosworth), die zu den talentiertesten Surferinnen auf Oahu, Hawaii, gehört, könnte der kleine Sprung große Folgen haben. Ein Sieg bei der Surfmeisterschaft wäre gleichbedeutend mit dem sozialen Aufstieg. Es winken Sponsorenverträge, Coverstorys, Interviews. In Kathryn Bigelows Gefährliche Brandung schlüpfte ein glatt gegelter Keanu Reeves aus seinem FBI-Anzug, um auf dem Surfbrett wieder zur Ursprünglichkeit zu finden. Das Kinobild des Surfers, ein zeitloses Pastiche widersprüchlicher Männer- und Körperbilder, versöhnt das Lächeln des Siegers mit der unrasierten Lässigkeit des Aussteigers und der Erlebnisgier des gelangweilten Hedonisten.

 

In "Blue Crush" ist es eine junge Frau, die um ihren Platz in einer von Männern dominierten Subkultur kämpft. Für Anne Marie  bedeutet Surfen mehr als ein bisschen Feilen am narzisstischen Selbstbild. Gleich am Anfang stehen albtraumhafte Bilder des Scheiterns. Die Gewalt der Welle drückt Anne Marie unter Wasser und schleudert sie gegen die Felsen des Riffs. Drei Jahre ist das her. Der Sprung aufs Brett, eine Generalmetapher für den ungewissen Sprung ins Leben, ist seither der Moment ihrer größten Angst.

 

Die drei Strandschönheiten, die lasziv vom Filmplakat herabschauen, sind ein klassischer Fall von Etikettenschwindel. Obwohl John Stockwell seinen Film Blue Crush mit Popsongs, Tempo und frechen Girlie-Sprüchen auf Jugendlichkeit trimmt, beschreibt er ein realistisches Leben, das alles andere als eine endlose Strandparty ist. Anne Marie sucht keinen “Adrenalin-Kick” (Filmplakat), sondern Beständigkeit und Ordnung in einer unsicheren Welt. Mit ihren Freundinnen Eden und Lena lebt sie eher ärmlich in einem kleinen Strandhaus auf Oahu. Weil ihre Mutter mit einem Liebhaber verschwunden ist, muss sie, selbst noch fast ein Teenager, für die jüngere Schwester Penny sorgen. Während Penny widerwillig zur Schule geht, schlagen sich die drei Frauen als Zimmermädchen durch. Als sich Anne Marie in einen erfolgreichen Football-Spieler verliebt, steht sie vor der Wahl: Entweder stellt sie sich den eigenen Ängsten und tritt bei der Meisterschaft an, oder sie entscheidet sich für das sichere Leben als “Luxusanhängsel” an der Seite eines reichen Mannes.

 

Dass "Blue Crush" recht vorhersehbar dem dünnen roten Faden einer ziemlich schematischen Dramaturgie folgt, stört wenig. Ohne den leichten Tonfall aufzugeben, gelingt es Stockwell, auch die Schattenseiten des scheinbar unbeschwerten Lebens zu zeigen. Da sieht man etwa, wie die drei Frauen vollgekotzte Hotelzimmer putzen müssen und fühlt sich trotzdem nicht wie in einem Film von Mike Leigh. Vor allem aber sind dem Kamerateam Surfszenen von überwältigender Dynamik gelungen. Trotz gelegentlicher digitaler Nachhilfe – wenn Anne Marie ins Wasser steigt, hält die schlichte Story den Atem an und verliert sich im magischen Augenblick. Da verzeiht man glatt das platte Happy End.

 

André Götz

 

John Stockwells Surferfilm interessiert sich nicht für Strandpartys und nackte Haut, sondern erzählt von einer jungen Frau, die sich ihren Ängsten stellt. Mit exakter Milieuzeichnung und atemberaubend gefilmten Surfszenen.

 

Dieser Text ist zuerst erschienen in: epd film

 

Blue Crush

USA 2002. R: John Stockwell. B: Lizzy Weiss, John Stockwell. P: Brian Grazer, Karen Kehela. K: David Hennings. Sch: Emma E. Hickox. M: Paul Haslinger. T: Mark Ulano. A: Tom Meyer, Denise Hudson. Ko: Susan Matheson. Sp: John Farhat. Pg: Universal/Imagine Entertainment. V: UIP. L: 104 Min. FSK: 6, ffr. Da: Kate Bosworth (Anne Marie), Michelle Rodriguez (Eden), Sanoe Lake (Lena), Matthew Davis (Matt), Mika Boorem (Penny), Chris Taloa (Drew), Faizon Love (Leslie). Start: 7.8.2003 (D), 8.8.2003 (A). 

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