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Blow
Up
Inhalt:
Ein
junger britischer Starphotograph quält sich gelangweilt durch die Londoner
Metropole; macht hier und da ein paar Aufnahmen mit Models, die nicht weniger
dekadent als er selber sind, fährt seine Mitarbeiter barsch an und bringt
seine Verachtung gegenüber Frauen offen zutage. Als er eines Tages beinahe
zufällig ein Liebespaar in einem Park ablichtet, findet er später,
beim Entwickeln der Bilder, heraus, dass er Zeuge eines Verbrechens geworden
sein könnte. Aber kann er den Bildern und vor allem sich selber trauen?
Kritik:
Entfremdung:
Das geflügelte Wort, das fast wie ein Fluch nahezu alle Filme Michelangelo
Antonionis zumindest in Rezeption und Rezension begleitet. Seine Meisterwerke
handeln von der Unmöglichkeit von Beziehungen im Allgemeinen, der Liebe
im Speziellen, sind oftmals tiefpessimistisch und zeichnen sich durch einen
dunklen, sarkastischen, am Menschsein verzweifelnden Unterton aus. Sie sind
Kompositionen aus oftmals traumhaft ästhetischen Bildentwürfen, deren
häufig karge Landschaftszeichnungen – wie zum Beispiel die Vulkaninseln
zu Beginn seines vielleicht berühmtesten, am meisten verehrten Films, L’Avventura
(Die
mit der Liebe spielen,
1960) – schroffe Eleganz und gleichzeitig Abwehrbereitschaft darstellen. In
ihnen spiegelt sich immer wieder das Seelenleben seiner Protagonisten: Gerne
angesiedelt im Milieu der Ober- oder gehobenen Mittelschicht, langweilen sie
sich durch sich selbst, suchen das Anderssein im Abenteuer der Liebe und vernichten
sich in diesen, für sie viel großen Gefühlen letztlich gegenseitig.
In ihrer häufigen Dialogferne sind Antonionis beste Filme nahezu perfekte
Symbiosen aus Stil und psychologischem Gehalt, behandeln ihre Zuschauer mit
einem ungemeinen Respekt, indem sie ihnen abfordern, selbst zu denken und sich
niemals der "Wahrheit der Bilder" ohne Bedacht hinzugeben. Der Betrachter
von Antonionis Filmen muss sich der Unkalkulierbarkeit der menschlichen Seele
bewusst sein, um nachvollziehen zu können, warum Antonionis Figuren so
(scheinbar) unberechenbar handeln, wie sie es tun. Wir können es nicht,
weil wir dem Gedanken erlegen sind, dass es im Film bestimmte Regeln gibt, die
eingehalten werden müssen, damit etwas "Sinn" macht. Eine grausame
Missachtung unseres eigenen Geistes, der sich nicht zuletzt auch Michelangelo
Antonioni stets widersetzt hat. Als "Regel" kennen seine Filme nur
den Menschen selbst.
Als
ich Blowup
zum ersten Mal ansah, hatte ich zuvor schon eine bescheidene Anzahl anderer
Filme des großen italienischen Meisters gesehen, und war nun der festen
Überzeugung, dass dieser Film – Antonionis erste Auslandsarbeit im Übrigen
– sich von einem L’Avventura
oder La
Notte (Die
Nacht,
1960) nun doch eindeutig unterscheiden müsse. Was ich las über Blowup
ließ mich auf einen rätselhaften, verschachtelten Kriminalfilm schließen,
in dessen Mitte ein nur durch eine Photographie festgehaltener Mord stand. Der
Film, den ich letztlich sah, gestaltete sich aber fast ganz so, wie ich Antonioni
bis dahin kannte: Ruhig, enorm konzentriert, wortkarg, voller seltsam anmutender
Stilmittel und Stilisierungen in der Inszenierung und dabei auch eindeutig ein
unverkennbares Produkt seiner Zeiten. Was ich in seinem Zentrum fand, war nicht
der reißerische Thriller oder der den Zuschauer zum "Miträtseln"
einladende Krimi, sondern Antonionis ewiges, hier auf die Spitze getriebenes
Thema von der Entfremdung. Hier ist es die Entfremdung von sich selbst, die
Antonioni an seinem Hauptcharakter, dem Modephotographen Thomas, manifestiert.
Die Unfähigkeit, sich seiner irgendwo unter einer meterdicken Eisschicht
aus Ablehnung und Isolation vergrabenen Sehnsucht zu stellen; ihr zu begegnen
durch die Menschen, die uns umgeben. Die Angst vor dem Verlust des Status, der
Unterbrechung des fast wie in einem Automatismus eingearbeiteten und antrainierten
"modus operandi", liegt in Blowup
überall sichtbar vor. Nirgendwo aber so extrem, wie in jenem ungemein "hippen"
Rolls-Royce fahrenden Photographen, dessen Begehrtheit ihn selber langweilt.
Dieser
junge, in seinem Auftreten von vorneherein "sperrig" wirkende Mann,
ist eine tragische Figur unter einer abweisenden, kalten Oberfläche der
Arroganz. In allem, was er tut und was ihn umgibt, definiert sich der Thomas-Charakter
für den Zuschauer ein Stück weit näher. Seine Models lässt
er im Studio stundenlang warten, hat für sie nur allenfalls ein müdes,
gequältes Lächeln übrig. Er bewohnt ein Appartment, das auffallend
beherrscht wird von geordneten, gerade und symmetrisch erscheinenden Quer- und
Längsbalken. Seine Bewegungen hinter der Kamera wirken wie einstudiert
und über lange Jahre nie verändert, während er mit seinen Mitarbeitern
niemals mehr Worte als unbedingt nötig zu wechseln scheint. Das tiefe Leiden
seiner Seele ist das der Gewohnheit aus Mangel an Wahlmöglichkeiten. Alles
erscheint ihm uninteressant und ermüdend, weil das Arbeiten mit Motiven
und Photos für ihn von der Kunst zur reinen Beschäftigung im pragmatischsten
Sinne geworden ist. Lediglich ein einziges Mal vollbringt er so etwas wie den
Ansatz einer Äußerung über sein Inneres. Zu einer Nachbarin,
die uns wie ein möglicher, in die Freiheit führender Kanal seiner
verdrängten Qualen erscheint, sagt er einmal im Hinblick auf ihre Beziehung
mit einem Maler: "Du wirst ihn nie verlassen, oder?" Ein Satz wie
dieser ist das höchste, was man in Blowup
an ehrlicher Emotionalität erfahren darf. Ansonsten ist alles – auch die
sonst so bekannte Leidenschaft eines meisterlichen Photographen – ein Spiel
im Dienste der Aufrechterhaltung der geordneten, wenn auch schmerzvollen Bahnen.
Auf
welches Extrem Antonioni bereit ist, dieses bittere "Spiel" seiner
Hauptfigur zu treiben, zeigt sich an einer Sequenz zu Beginn des Films – einer
der vielleicht genialsten Filmszenen seiner Zeit: Thomas soll ein Model ablichten
und platziert es dafür vor einem lilafarbenen Hintergrund, während
er stumm seine Kamera ausrichtet. Als die Aufnahmen aber beginnen, scheint aus
ihm die gesamte Emotionalität und Passion seines Berufs herauszuspringen:
Enthusiastisch ruft er der jungen Frau zu, wie sie sich bewegen soll, wie ihre
Haare fallen sollen, wo sie ihre Hände zu platzieren hat. Mit seiner Kamera
kommt er ihr immer näher, küsst ihr schließlich wild das Gesicht
und unter seinen lauten, orgastischen Zurufen und Bewunderungsbekundungen entwickelt
sich so etwas wie mentaler Sex. Schließlich kniet er über ihrem sich
räkelnden Körper (das wohl berühmteste Standphoto, das man von
dem Film kennt) und was wir sehen, nimmt sich tatsächlich wie eine Liebesszene
aus. Doch mit welcher Radikalität und pessimistischer Weltsicht geht Antonioni
vor, wenn er Thomas sich letztlich ohne jeden weiteren Kommentar und mit einer
Mimik der absoluten Gleichgültigkeit von dem Model erheben lässt,
nachdem er die Bilder bekommen hat, die er haben wollte! Es ist bloß eine
Sekunde, ein einziger Akt, in der sich die gesamte Persönlichkeit und die
gesamte Tragik der Thomas-Figur offen legen: Das antierotische Aufstehen Thomas’
in Verbindung mit dem wie enttäuscht wirkenden Weggleiten des Models. Alle
bis dahin aufgebauten Spannungen in dieser Szene scheinbar größter
Leidenschaft, alle geknüpften Erwartungen des Zuschauers an eine nun doch
anders verlaufende Entwicklung in der Zeichnung von Thomas’ Charakter werden
mit einer einzigen Bewegung gleich Null gesetzt. Nur wenige Filmemacher neben
Michelangelo Antonioni könnten einen derartigen Effekt mit solch minimalen
inszenatorischen Mitteln erreichen.
Die
einstige Idee davon, dass Blowup
ein Thriller sein könnte, verwirft der Zuschauer schnell, wenn es auch
nach rund einer knappen Stunde des Films noch keine Anzeichen für das Einsetzen
einer Kriminalfilmhandlung gegeben hat: Wir begleiten vielmehr Thomas durch
seine Streifzüge durch das (angenehm unpittoreske) London und beobachten
ihn zum Beispiel dabei, wie er mit einer fast unverschämten Selbstverständlichkeit
einer Gruppe Models, mit deren Leistung er beim "Shooting" nicht zufrieden
ist, befiehlt, einfach mal die Augen zu schließen, sie letztlich so stehen
lässt und unverhohlen weggeht. Doch unsere immer noch nicht gänzlich
zur Ruhe gekommenen Gedanken an die doch eigentlich so reißerisch wirkende
Synopsis des Films bekommen auf einmal wie aus dem Nichts neues "Brennholz",
wenn Thomas sich mitsamt seiner Kamera zu einem Gang durch einen Park aufmacht
und zufällig ein Paar beobachtet, dessen – von ihm so empfundenen – Austausch
von Zärtlichkeiten er als ideales, sanftes Schlussbild für ein Buch
ansieht, an dem er gerade mit einem Freund arbeitet. Thomas’ aus der Distanz
erfolgendes Ablichten dieses Paares ist ein weiterer inszenatorischer Höhepunkt
des Films: Antonioni dreht die Sequenz als ein Einstellungsgeflecht aus Bildern,
die niemals den Blick auf die gesamte Szenerie freigeben wollen. Die leere,
ungemein weiträumige Landschaft dieser Einstellungen, die ein wenig an
das bedrückende Ende von L’Eclisse
(Liebe
1962,
1962) erinnert, lässt Raum für eine erhebliche Anzahl an Vorgängen,
die sich dem Zuschauer zwangsläufig entziehen. Dies bekommt wenig später
eine eminente Bedeutung für die Deutung des Films und auch für den
weiteren Verlauf seiner äußeren Handlung: Die Frau des Paares nämlich,
das auf den Aufnahmen zu sehen ist, ist versessen darauf, den Film von Thomas
zurückzubekommen. Kein Mittel ist ihr fremd, um dem Photographen dieses
Band zu entwenden – in einer Szene kommt sie mit ihm in sein Appartment, zieht
sich aus, und versucht, ihn zu verführen und sich für die Rückgabe
der Photos zu verkaufen. Doch Thomas scheint für derartiges fast desensibilisiert
worden zu sein, denn mit einem Schlag (nämlich mit dem Erstellen dieser
so seltsam umworbenen Aufnahmen) bemerken wir, dass er etwas wieder gefunden
haben muss, das bis dahin so gänzlich aus seinem Wesen entfernt zu sein
schien: Das Streben nach absoluter Ehrlichkeit und Wahrheit und die Leidenschaft,
diese vorzufinden.
Ausgangspunkt
dieses Streben ist für Thomas das Entwickeln der Photos, die er gemacht
hat, denn auf ihnen findet er etwas vor, das blitzartig sein Interesse auf sich
zieht: Im Hintergrund des Liebespaares scheint sich ein Pistolenschütze
im Gebüsch zu verstecken – schemenhafte Umrisse erkennt er, die von "blowup"
(also Vergrößerung des Photos) zu "blowup" etwas deutlicher,
wenn auch – bedingt durch die Vergrößerung der einzelnen Bildpunkte;
quasi der einzeln betrachtet bedeutungslosen Atome, aus denen das Bild besteht
– gleichzeitig deutungsreicher und irritierender werden. Es sind vor allem in
der Montage beeindruckende Momente, die Antonioni kreiert, wenn er uns einmal
nicht mit Thomas als Arbeiter, sondern mit Thomas als Künstler allein lässt:
Komplett versunken in sein Werk, schaffend mit aller Akribie und leidenschaftlicher
Kunstfertigkeit, die in ihm wohnt. Wir selbst werden eingebunden in den Prozess
des Schaffens, dem alle Umstände unterworfen sind, wenn wir auf der ganzen
Größe der Leinwand die schwarzweißen Photos zu sehen bekommen.
Angestrengt schauen wir hin, versuchen, aus den zahllosen kleinen Einheiten
der enorm vergrößerten Aufnahmen etwas herauszulesen, was die "Mordtheorie"
unterstützen könnte. Wir wollen "unseren" Mord, weil wir
unseren Thriller wollen – Thomas will "seinen" Mord, weil er fliehen
möchte. Fliehen aus seinen Gewohnheitszyklen, seinem ewiggleichen Orbit
der dekadenten Langeweile. Doch wie Thomas wissen auch wir, dass wir dem, was
wir sehen, nicht trauen dürfen, weil wir es sehen wollen: Auf diesen Bildern
könnte alles und nichts sein…
Es
ist wohl nicht zu viel gesagt, wenn man verrät, dass sich dieser Mord,
so es ihn denn gegeben hat, nicht aufklärt, denn Antonioni macht keine
Krimis. Letztlich existieren in dem ganzen "Fall" weder Täter,
noch Zeugen (die unbekannte Frau des Paares verschwindet nach einiger Zeit spurlos
– ein legendäres Stilmittel Antonionis: Ein "off-screen"-Charakter
kann, wie in L’Avventura,
potenziell mehr (Aus)Wirkung haben, als eine "on-screen"-Figur), sondern
lediglich noch eine von Thomas in einer bewusst fast traumwandlerisch und unwirklich
erscheinenden Sequenz im Park vorgefundene Leiche. Doch auch diese verschwindet
nach einem Tag, ohne, dass der verzweifelt nachforschende Photograph noch irgendeinen
Hinweis auf sie findet: Alles kann Zufall sein und nichts hiervon muss mit einem
tatsächlichen Mord in Verbindung stehen. Dass wir Probleme haben, überhaupt
auch nur herauszufinden, ob es einen Mord gegeben haben könnte, zeigt an,
dass es Antonioni nie darum ging, und es ist die allerletzte Szene des Films,
die ihm seine Gewichtung aufzeigt: Thomas trifft bei einem Tennisplatz im Park
auf eine große Gruppe von kostümierten jungen Menschen, von denen
einige mit einem nicht vorhandenen Ball und beinahe pantomimischen Zügen
Tennis spielen. Als der imaginäre Ball über die Absperrung "fliegt",
geht Thomas zu der Stelle, an der er gelandet sein muss, und tut so, als werfe
er ihn zurück. Es scheint, als sei dieser Moment die Antithese zu Thomas’
abstoßendem Aufstehen über dem Körper des Models zu Beginn des
Films: Obwohl seine Untersuchungen ins Nirgendwo führten, obwohl es sein
könnte, dass seine Leiche ebenso wenig präsent war, wie der Tennisball
es ist, ist Thomas dennoch bereit, das "Spiel" anzunehmen. Seinem
Dasein hat sich scheinbar eine neue Dimension aufgetan und er ist in der Lage,
das, was er sah, zu verteidigen – allein aufgrund seiner eigenen, tiefen Überzeugungen.
Wenn Thomas dann wie alles andere vor ihm auf ironische Weise aus diesem Film
spurlos verschwindet, so erscheint uns Blowup
als Michelangelo Antonionis vielleicht am wenigsten tristes Werk.
Janis
El-Bira
Dieser
Text ist zuerst erschienen bei:
Zu
diesem Film gibt’s im archiv
der filmzentrale mehrere Kritiken
Blow
Up
(Blowup,
1966)
Regie:
Michelangelo Antonioni
Premiere:
18. Dezember
1966 (USA)
Drehbuch:
Michelangelo Antonioni, Tonino Guerra & Julio Cortázar
Dt.Start:
11. Mai
1967
FSK:
ab 18
Land:
UK
Länge:
111 min
Darsteller:
David
Hemmings (Thomas), Vanessa Redgrave (Jane), Peter Bowles (Ron), Sarah Miles
(Patricia), John Castle (Bill), Jane Birkin (Die Blonde), Gillian Hills (Die
Brünette), Veruschka von Lehndorff (Sie Selbst), Julian Chagrin (Pantomime),
Claude Chagrin (Pantomime)
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