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Blow Up

 

 

 

 

Der geheime Klang der Erkenntnis

 

Da muss doch noch mehr sein. Anmerkungen zu Michelangelo Antonionis „Blow Up”

 

„Alles, was theoretisch möglich ist, passiert auch irgendwann“. Das behauptet der Mathematik-Professor Erhard Behrends von der FU Berlin. „Es lässt sich mathematisch exakt beweisen, dass ein Affe, wenn man ihn nur lange genug gewähren lässt, jedes beliebige Werk, das jemals zu Papier gebracht worden ist, auch produzieren wird“, so Behrends weiter.

 

Thomas, der Fotograf in Antonionis „Blow Up“, ist besessen von dem Gedanken, nach all seinen erotisch unterkühlten Modefotos endlich ein wirklich relevantes Bild geschossen zu haben. Durch Zufall zwar, aber immerhin. Er glaubt, unwissentlich einen Mord abgelichtet zu haben. Jedenfalls scheint es so.

 

In Antonionis grotesk-coolem London der 1960er Jahre ist nichts ernst zu nehmen, schon gar nicht die Beziehungen zwischen den Protagonisten. Thomas erfindet eine Ehefrau, nur um diese Illusion im nächsten Satz gleich wieder zurückzunehmen. In vielen Einstellungen werden die Figuren von diagonal durchs Bild laufenden Holzpfeilern getrennt. Ein paar Mal sieht es gar so aus, dass sich jemand den Kopf an ihnen stößt.

 

Auf die Frage, wer der Ermordete auf dem Foto denn sei, lautet die Antwort: „Jemand.“ Die Bekannte, die Thomas in Paris wähnte, erklärt, sie sei doch in Paris – während sie in einem Londoner Nachtclub steht. Die Armen aus den staatlichen dormitories verschwinden schon nach der zweiten Filmminute auf Nimmerwiedersehen. Für sie ist kein Platz im coolen London. Und die obligatorischen Demonstranten tragen Transparente mit der Aufschrift: „No War“ und „No no“. Dass sich einer mit der spiegelverkehrten Parole „On On“ daruntergemischt hat, fällt niemandem auf. Und Thomas mittendrin. Eigentlich wollte er ja nur zu seinem Rolls Royce-Cabrio, doch er gerät mitten hinein in die Antikriegsdemo. „It’s not my fault that there’s no peace”, sagt er an anderer Stelle. Er ist unpolitisch, ein Anti-Hippie. In affektierten, albernen Posen durchmisst er London – ein orientierungsloses Riesenbaby. Wenn er sagt „I can’t live without it”, dann ist nicht etwa die Liebe gemeint, sondern ein beknackter Propeller aus dem Antiquariat. Wenigstens liegen ihm die jungen Models zu Füßen.

 

Aber da muss doch noch mehr sein! Irgendwie ahnt Thomas, dass die Fassade (die als Modefotograf natürlich seine Profession ist) nicht alles sein kann. Mit seinen Mitteln will er die Tiefe hinter der – belichteten – Wirklichkeit entdecken. Er vergrößert das vermeintliche Tatfoto wieder und wieder. Es ist wie mit den Affen, die einfach durch ihr Tun ein Kunstwerk produzieren: Vergrößert man ein Foto nur stark genug, kann man in dem Ausschnitt auch alles sehen, was man darin sehen möchte. Es kommt nur auf die Auflösung an. Bei Antonioni allerdings ist die Auflösung so hoch, dass sich schließlich alles in Luft auflöst. Mit jeder Vergrößerung, mit jedem blow up wird das Gezeigte mysteriöser und verworrener. Und dann werden alle Fotos und Filme, die irgendetwas beweisen könnten, gestohlen – bis auf einen Abzug. Dieser schließlich wird von einer Freundin auch noch als abstraktes Kunstwerk gedeutet: „Looks like one of Bills paintings.“ Wer hat wen umgebracht und warum? Es ist und bleibt unklar. Aber immerhin: Wir dürfen ein vergrößertes, verschwommens Schwarzweißfoto als Kunstwerk auffassen.

 

Worauf kommt es an? Was ist relevant? Was authentisch? Kann es Authentizität in einer medialisierten Welt überhaupt noch geben? Fragen über Fragen. Antworten gibt es zwar keine, aber zumindest Hoffnung. Kurz vor Schluss singt die Rockband „It’s all gone“. Doch das stimmt nicht ganz. Thomas gewinnt sogar einen neuen Sinn dazu – im wahrsten Sinne des Wortes: In der letzten Szene hört er den pantomimischen Tennisball. Aber erst, nachdem er mitgespielt hat.

 

Gabriel F. Yoran

 

Dieser Text ist zuerst erschienen in der filmzentrale

Zu diesem Film gibt’s im archiv der filmzentrale mehrere Kritiken

 

 

 

Blow up

BLOW-UP

England – 1966 – 111 min.

Literaturverfilmung

FSK: ab 18; nicht feiertagsfrei

Prädikat: wertvoll

Verleih: MGM

MGM/UA Home (Video)

Erstaufführung: 11.5.1967/18.1.1985 DFF 2

Fd-Nummer: 14724

Produktionsfirma: Premier

Produktion: Pierre Rouve, Carlo Ponti

Regie: Michelangelo Antonioni

Buch:

Michelangelo Antonioni

Tonino Guerra

Edward Bond

Vorlage: nach einer Kurzgeschichte von Julio Cortazar

Kamera: Carlo Di Palma

Musik:

Herbie Hancock

The Yardbirds

Darsteller:

David Hemmings (Thomas)

Vanessa Redgrave (Jane)

Sarah Miles (Patricia)

Jane Birkin (Teenager)

The Yardbirds (The Yardbirds)

Peter Bowles (Ron)

Veruschka (Veruschka)                                             

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