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Blow Out  Der Tod löscht alle Spuren

 

 

Brian De Palmas erstaunlich konzentrierter Verschwörungs-Thriller Blow Out ist ein Handbuch ästhetischer und politischer Wahrnehmungsweisen und -täuschungen von A(ntonioni) bis Z(apruder). Und, wie bei De Palma üblich, noch dazu eine rechte Hetz’ für den sarkastischen Melancholiker mit Angstlust.

 

"Red, white and blue." Vorwurfsvoll stößt Wyclef Jean diese Zeile aus Creedence Clearwater Revivals Fortunate Son derzeit (November 2004) über den Opening Credits des aktualisierten Manchurian Candidate aus: die Farben der US-Flagge, die gleichzeitig als zerschlissenes Titel-Emblem über die Leinwand weht. Ein bisschen ist das, als würde der Film, bevor er beginnt, noch einmal kurz auf die Regisseur Jonathan Demme eigene, assoziative, pop-affine Weise jenem Filmemacher Abschied winken, der angeblich eine Zeit lang für die Leitung dieses Projekts erwogen worden war: Brian De Palma, und sein Referenzwerk in Sachen Politparanoia-Thriller Blow Out von 1981.

 

Red, white and blue

 

Wo die elaborierte Textur von Demmes aktuellstem Eintrag in die amerikanische Tradition filmischer Misstrauenserklärungen an den state of the union lose thematische Anspielungen aneinanderreiht, um ein Klima des allumfassenden Verblendungszusammenhangs von Politik, Medien und Big Business fühlbar zu machen zu, da konnte De Palma, der unverbesserliche Manierist, es damals nicht lassen, zu ungleich handfesteren Mitteln zu greifen: Er malte gleich seinen ganzen Film in den patriotischen Primärfarben aus: Motel-Wände, Kleidungs-Kombinationen, am Ende Feuerwerke in kräftigem rot-weiß-blau.

 

Nation, Geschichte, Verschwörung – das materialisiert sich in Blow Out alles so einfach, wie in Carrie und The Fury Pubertätsängste vor Blutungen und unkontrollierbaren sexuellen Energien. Im Mittelpunkt der Handlung steht ein als Autounfall getarntes Attentat, das ebenso kühn wie schlüssig JFK, Watergate und Edward Kennedys Unfall auf Chappaquiddick zusammen denkt.

 

Verdichtung, Verschiebung – Blow Out leistet intensive Freud’sche Traumarbeit, ist dabei aber erstaunlich fokussiert. So dicht, dass fast schon der Unterschied zwischen den spektakulären "Einlagen" und dem inhaltlichen Rest verschwindet, wie er De Palmas Thriller-Nummernrevuen (siehe dazu The Untouchables oder Mission: Impossible) konstituiert. Nicht zuletzt stellt dieser Film ein historisches Zeugnis dar: Eine Vermessung der frühen Reagan-Ära aus der Haltung der New-Hollywood-Verschwörungsfilme heraus und mit dem körperlichen Erlebnis-Gestus des Blockbusters.

 

Bild- und Tonverarbeitung

 

John Travolta, Idol einer politisch befriedeten Post-Watergate-Jugend, gibt in seiner ersten Erwachsenenrolle Jack Terry, einen Sound-Designer für B-Movies, der besagten Unfall zufällig auf Tonband aufzeichnet und anhand der Aufnahme als Attentat entschlüsselt. Mithilfe der Beifahrerin des Ermordeten, einer jungen Blondine (Nancy Allen), versucht er, seine Erkenntnis zu fundieren und öffentlich zu machen. Allerdings muss Jack feststellen, dass sich die Zeiten geändert haben seit den fieberhaften Spekulationen um das Kennedy-Attentat und dem medialen Aufschrei im Zuge des Watergate-Skandals.

 

Geschichte wiederholt sich in Blow Out zuerst als antonioniesker Zapruder-Film, dann als lächerliches Splattermovie. Denn: Eine Tonspur kann leicht gefälscht werden, deshalb eignet sie sich auch nur für die Fiktion. Heute, im Zuge radikal ausgeweiteter Bildherstellungs- und -manipulations-Möglichkeiten, nach gefälschten Folterungs-Photos und der letzten Volte von Demmes Manchurian Candidate, nach dem photographischen Cartoon von Star Wars, Episode One (darauf legt der kluge J. Hoberman sehr viel wert, und hieß dieser Film nicht – paranoid genug – The Phantom Menace?), ist, wie wir wissen, auch ein Köpfungsvideo im Internet manchmal nur ein Splattermovie.

 

Ohnmachts-Realismus

 

Paradox, ja: auf den ersten Blick geradezu enttäuschend muss erscheinen, dass ausgerechnet Brian De Palma, der Meister verschachtelter Pläne und täuschender Inszenierungen, hier nicht mit einem großen, elaborierten Komplott aufwartet. Verschwörung ist in Blow Out fast ausschließlich Privatsache: Eine Verkettung unerwarteter Zwischenfälle und eigenmächtiger Improvisationen unter Zeitdruck. Hüben individuelle Akte des eigennützigen Inszenierens und Modifizierens der Wirklichkeit und drüben die Medien als anonyme Institutionen, die festschreibt, was Wirklichkeit ist, und die es deshalb für sich zu vereinnahmen gilt.

 

Politikergemauschel in dunklen Hinterzimmern, das als Kitt zwischen den beiden Ebenen fungieren könnte, gibt’s hier keins, nur einmal sieht man einen verantwortlichen Politiker, und dem sind die Dinge schon längst entglitten. Da agiert bereits nur noch ein fanatischer Einzelkämpfer von der Dienstliste der Regierung, der nach einer eigenmächtigen Handlung damit beschäftigt ist, seine Spuren zu verwischen. Diesen, einen trockenen Allround-Kriminellen namens Burke, gibt John Lithgow mit hinreißendem Gusto und feinen sexuell-sadistischen Schattierungen, die aus diesem Anonymus von Dienstwegen (dessen Existenz sich am Ende auch wieder in Nichts auflöst) erst so etwas wie einen Charakter herauslösen.

 

Zuerst wirkt diese Sicht, die Verschwörung so stark personalisiert und der Ebene der politischen Entscheidungen entrückt, ziemlich blauäugig. Sieht man sich aber die Chronologie von Watergate, die Geschehnisse ums Kennedy-Attentat an, das unabgestimmte, ohnmächtige Nebeneinander relativ spontaner Aktionen, dann muss man De Palmas präzis konzertierter Verhängniskette einen im Genre unüblichen anti-spektakulären Realismus zugestehen. (Und da ist ja wohl so ziemlich das letzte, was man sich von De Palma erwartet hätte.)

 

Wovon Blow Out handelt, ist freilich nicht nur ein politisches Trauma. Ein Werk, das so auf Voyeurismus, auf das Herzeigen von Verborgenem ausgerichtet ist, wie das von De Palma, das Szenen so gerne aus der Vogelperspektive betrachtet und um keine Kamerabewegung verlegen ist, wenn es gilt, komplexe Situationen zu verfolgen, kennt wohl tatsächlich keine größere Angst, als die (später u.a. in Snake Eyes variierte) vor einer Szene, die unübersichtlich bleibt. Und die dann, nach besessener Relektüre und Entschlüsselung, keiner sehen will.

 

Die Einspiel-Ergebnisse waren übrigens eher mau.

 

Joachim Schätz

 

Dieser Text ist auch erschienen bei:  flourian.ruhezone

Zu diesem Film gibt es im archiv der filmzentrale mehrere texte

 

 

Blow out – Der Tod löscht alle Spuren

BLOW OUT

Der Tod löscht alle Spuren

USA – 1981 – 108 min. – Scope

Thriller

FSK: ab 16; feiertagsfrei

Verleih: Warner-Columbia

Erstaufführung: 7.5.1982

Fd-Nummer: 23467

Produktionsfirma: Brighton; Filmways Pictures; Cinema 77; Geria

Produktion: George Litto

Regie: Brian de Palma

Buch: Brian de Palma

Kamera: Vilmos Zsigmond

Musik: Pino Donaggio

Schnitt: Paul Hirsch

Darsteller:

John Travolta (Jack Terri)

Nancy Allen (Sally Bedina)

John Lithgow (Burke)

Dennis Franz (Manny Karp)

Peter Boyden (Sam)

 

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