zur startseite
zum archiv
Blood Work
Das
Herz ist kein Muskel
Wenn im Film Organe wandern:
Clint Eastwood, der erste schweigsame Held Hollywoods, gibt in "Blood Work"
einen alten Cop mit neuem Herzen. Der Actionfilm kommt damit im Subgenre des
Transplantationsfilms an. Aber wo bleibt die Seele?
Der Actionheld im Hollywood-Film
steckt in einer schweren Identitätskrise. Wie ein Relikt aus einer vergangenen
Zeit wirkt die Figur des urbanen Einzelkämpfers, unterworfen dem Diktat
von Beschleunigung und Maskulinität, in völliger Ignoranz der Widersprüche,
die er im Verhältnis zu seiner Umwelt darstellt. Ungebrochen in seinem
Selbstverständnis als adrenalin- und testosterongesteuerter Dampfhammer
(wie kürzlich Vin Diesel in "XXX"), ist er als Teilnehmer am
21. Jahrhundert kaum noch ernst zu nehmen. Antizipiert er diese Reaktion wiederum
durch Selbstironie (wie es unter anderem in den letzten Bond-Filmen zu beobachten
war), verkommt er fast zwangsläufig zu einem domestizierten Softie. Der
Actionheld, ein Fall für die Couch?
Wenn Clint Eastwood in seinem
neuen Film "Blood Work" vor dem Spiegel steht und über die riesige
Operationsnarbe, die sich vom Bauchnabel zur Brust zieht, tastet, scheint er
nicht sich selbst zu berühren. Es ist nicht sein Herz, das unter dieser
Narbe schlägt, sondern das einer jungen Mexikanerin. Ex-Cop Terry McCaleb
weiß das, und die Erkenntnis, dass sie a) ermordet wurde und b) nun gewissermaßen
in ihm ihre ewige Ruhe gefunden hat, ist irgendwie beunruhigend. Da steckt etwas
in ihm, dass nicht das Seine ist, und es hält ihn am Leben. Der Motor des
Lebens, der Sitz der Seele. Nur wessen?
Clint Eastwood war der erste der
schweigsamen Helden Hollywoods, der die Gebrechlichkeit des Helden zum Thema
seiner Filme gemacht und damit so etwas wie ein Subgenre des geriatrischen Actionfilms
begründet hat. Ein (Sub-)Genre des Selbstzweifels. Mit der Überführung
des Actionfilms in den "Transplantationsfilm" hat Eastwood jetzt eine
kongeniale Metapher für die Identitätskrise (nicht nur des Actionhelden)
gefunden. Im "Transplantationsfilm" ist diese Krise in erster Linie
rein psychosomatischer Natur, oft auch nur eine Projektion der Hinterbliebenen
des Spenders. Mit "Blood Work" bekommt das Thema eine neue, eine psychopathologische
Qualität. Der Organtausch ist hier Teil eines perfiden Plans, der McCaleb
schließlich auf die Fährte eines alten Bekannten zurückführt.
Der Killer, der vor Jahren McCalebs Leben rettete, fordert ihn zum zweiten Mal
heraus.
In seinem Wesen ist der "Transplantationsfilm"
Drama und Horrorfilm zugleich. Das (auf rein psychologischen Prämissen
beruhende) Drama, das vermeintliche Zentrum des Seins aus sich herausgerissen
zu bekommen, und der blanke Horror, von etwas Fremden, einem Anderen, durchdrungen
zu werden. Eine Transplantation ist wie eine obszöne Invasion in einen
intimen Ort, den eigenen Körper, der – trotz aktueller Verwertungsrechtsfragen
seitens der Medizin und Gentech-Industrie – immer noch einem selbst gehört:
materiell und spirituell.
Die Transplantation stellt diese
beiden Seinsformen, das Materielle und das Spirituelle, jedoch in Frage. Nach
einem solchen Transformationsprozess ist der Körper nicht mehr Herr seiner
selbst. Leonardo da Vincis menschliches Idealbild von der Einheit von Körper
und Geist, das vollkommene Equilibrium, scheint durch den Eingriff empfindlich
gestört. Und auch wenn Descartes das Herz als Pumpe beschrieben und das
Zentrum des menschlichen Empfindens im Gehirn verortet hat, ist der Mensch in
seiner Verletzlichkeit und Sentimentalität bis heute dem archaischen Bewusstseinsverständnis
verhaftet geblieben. Das Kino, die Bildermaschine des Unbewussten, hat dieses
Trauma, allem Rationalismus zum Trotz, seit je bedient.
"Orlacs Hände"
(1924), Robert Wienes Expressionismus-Klassiker, war einer der ersten Filme,
der das Transplantationsthema aufgriff. Im amerikanischen Remake von 1960 spielt
Mel Ferrer den Wunderpianisten Orlac mit manischem Blick. Nach einem schweren
Unfall verfolgt ihn die Wahnvorstellung, dass die Ärzte ihm die Hände
eines Serienmörders transplantiert hätten. Die psychischen Veränderungen,
die in er infolge dessen durchmacht, werden von düsteren Visionen
begleitet, langsam driftet er in die Halbwelt ab. Die Polizei kann ihn schließlich
davon überzeugen, dass seine Hände unschuldig sind, genauso wie er
selbst.
Das Kino hat das Spiel mit dem
Identitätsverlust weiter getrieben, am abgründigsten wohl in dem englischen
Film "Heart – Jeder kann sein Herz verlieren" von Charles McDougall.
Nicht nur, dass Christopher Ecclestone nach einem Herzanfall das Herz eines
Teenagers verpflanzt wird, die überlebenswichtigen Blutreserven stammen
obendrein vom Liebhaber seiner Frau. Dieses Erlebnis verquickt die Schicksale
einiger Menschen für einen kurzen Zeitraum miteinander, aber es ist weniger
das Trauma der materiellen Inbesitznahme des Körpers, das die menschliche
Krise heraufbeschwört, sondern die Obsession der Mutter des toten Jungen.
Die Kontaktaufnahme mit dem Organempfänger
ist eine obsessive Übersprungshandlung der Hinterbliebenen, in der die
Konsequenz des Descart’schen Denkens nicht verwunden scheint. In "Blood
Work" appelliert die Schwester der Ermordeten an McCalebs Gewissen, zumindest
den Täter zu finden, dem er sozusagen sein Überleben verdankt. In
Pedro Almodóvars "Alles über meine Mutter" bleibt es bei
einem zaghaften Versuch der Kontaktaufnahme der Mutter mit dem Empfänger.
Das Transplantationsthema durchzieht Almodóvars Drama wie eine bittersüße
Melodie. Die Mutter des Jungen arbeitet in einer Klinik, die auf Organtransplantationen
spezialisiert ist. Der Prozess der Transplantation bleibt eher mittelbar in
den Leben der einzelnen Figuren und in der Art, wie Almodóvar ihre Schicksale
erzählt und sie voneinander abhängig macht.
In "Heart" nehmen die
Projektionsfantasien psychopathologische Ausmaße an. Gray und die Mutter
beginnen, in einer Art symbiotischer Beziehung zu leben. Ihre sanften Berührungen
von Garys Körper haben etwas völlig Asexuelles, sind eher die Liebkosungen
einer Mutter, Identitätskrise und Realitätsverlust folgen.
Eastwoods Variation des Transplantationsthemas
ist eine interessante Wendung in seiner Selbstinszenierungsmarotte vom in die
Jahre gekommenen Helden (von Don Siegels "The Beguiled" über
"In The Line of Fire" bis "Space Cowboys"). Als alter, sentimentaler
Knochen, der er nun mal ist, interessiert sich Eastwood mit "Blood Work"
mehr für die moralischen und emotionalen Implikationen einer solchen Ausnahmesituation.
Es ist schon ein Spaß, ihm beim Altwerden zuzugucken. Auch weil er im
Herzen immer der Dirty Harry mit der 57er Magnum sein wird. Psychosomatik? Eastwood
bleibt Pragmatiker. Als ihn sein mexikanischer Kollege mit "Just because
you got a Mexican’s heart doesn’t mean you’re one of us!" anblafft, ist
es wieder der alte Harry Calahan, der antwortet: "I prefer the hard line."
Andreas Busche
Dieser Text
ist zuerst erschienen in der: taz
Blood Work
USA 2002 – Regie: Clint Eastwood – Darsteller: Clint Eastwood,
Jeff Daniels, Anjelica Huston, Wanda De Jesús, Tina Lifford, Paul Rodriguez,
Dylan Walsh, Mason Lucero, Gerry Becker – Prädikat: besonders wertvoll
– FSK: ab 16 – Länge: 110 min. – Start: 21.11.2002
zur startseite
zum archiv