zur startseite

zum archiv

Blessing Bell

Ein Mann läuft durch die Stadt. Einen ganzen Fim lang. Und auch wenn das langweilig klingen mag: Sabus Blessing Bell ist ein Film, der einen nicht los lässt. Auf seinem Weg begegnet Igarashi (Susumu Terajima) zahlreichen Menschen, und alle scheint eines zu verbinden: Die Nähe zum Tod. Ein Yakuza, dem ein Messer im Bauch steckt, teilt mit Igarashi seine letzten Gedanken, der Protagonist selbst wird angefahren, er rettet Kinder vor dem Flammentod, er begegnet einem Selbstmörder kurz vor seiner Tat, einem Krebskranken, der gerade von seinem Schicksal erfahren hat. Das sind noch nicht alle, die Liste der Todgeweihten, die den Weg von Igarashi kreuzen, ist lang. So lang, dass man mit der Zeit kaum anders kann, als den Weg des Protagonisten als einen höchst metaphorischen und spirituellen zu begreifen. Er hat seinen Job verloren. Als er am Morgen vor der Fabrik stand, waren die Tore für immer geschlossen. Und der Tod blitzt bereits hier auf, wenn sich einer der Arbeiter das Leben nimmt. Die Begegnungen mit dem Tod, die er auch im Weiteren macht, als er danach ziel- und orientierungslos durch die Stadt wandert, scheint wie die Manifestierung all der Ängste und Gedanken, die ihn nach dem Verlust der Arbeit bewegen.

 

Sabu zeichnet seinen Film in höchst stilisierten Bildern, Farben durchziehen die abendliche Großstadt und einfache Betonbrücken werden kadriert, als seien sie Skulpturen. Die ästhetische Überflutung des Bildraumes ist der Gegenpol zu den Gesprächen über den Tod, denen Igarashi lauscht. Er selbst sagt gar nichts, den ganzen Film über, bis zum Ende, wenn er alles, was er gesehen und erlebt hat in einem absurden Redeschwall wiedergibt, der einem die Skurrilität seiner Erlebnisse erst wirklich vor Augen führt. Man nimmt sie dennoch hin, die seltsamen Begegnungen, weil sie von Anfang bis Ende nach einer Metapher aussehen: man nimmt es hin, dass Igarashi von einem Geist die Adresse bekommt, bei der er in den Händen einer Toten den Lottoschein zu einem Hauptgewinn findet, man nimmt es hin, dass er diesen Hauptgewinn ganz banal an einen Dieb verliert, man nimmt sie alle hin, die Anekdoten, und ist geradezu überrascht, wenn am Ende all jene märchenhaften Episoden im Dialog wiedergegeben werden, als wären sie lediglich etwas ungewöhnliche, aber doch alltägliche Ereignisse.

 

Blessing Bell hat im vergangen Jahr den NETPAC-Preis für den besten Asiatischen Film auf der Berlinale gewonnen, und wird nun von Rapideyemovies in den Verleih gebracht. Die langsame Erzählung um den Protagonisten, den die Kamera in einigen großartigen Einstellungen auf seinem Weg durch die Straßen der Stadt verfolgt, als wäre er eine Art Tykwer’scher Lola in langsamerer, düsterer Fassung, fasziniert durch ihre Intensität, ihre Bilder, ihre Begegnungen. Fast wie in einem Roadmovie verlaufen die zufälligen Augenblicke des Kennenlernens und wieder aus den Augen Verlierens des Protagonisten mit all den anderen Figuren, die diesen Film bewohnen. So wie Igarashi seine Begegnungen, so verliert auch der Zuschauer manchmal den Protagonisten aus den Augen, wenn er etwa das Gebäude betritt, in dem er den Lottogewinn abholt: Die Kamera wartet auf ihn, vor der Tür, beobachtet minutenlang einfach nur den Eingang des Hauses und die Menschen, die an ihm vorbeilaufen, bis Igarashi wieder auftaucht und zurückkehrt in die Narration.

 

Blessing Bell ist reich an solchen Momenten, in denen man sich der kinematografischen Apparatur bewusst wird, an denen man der Geschichte regelrecht beim Entstehen zusehen kann. Wenn Blessing Bell ein Road Movie ist, dann allerdings ein ungewöhnliches: eines ohne Auto, eines der Langsamkeit und der Meditation – eines, in dem der Held nicht einfach läuft, sondern, wie man erst am Ende begreift, ein Ziel hat. Ein Ziel, an dem er alles wiedergeben kann, was er gedacht und erfahren hat.

 

Es wird mit der Zeit beinahe redundant, bei jeder Gelegenheit dem Verleih REM zu danken für seine unermüdliche Arbeit um das asiatische Kino, dafür, dass er Bollywood auf deutsche Leinwände bringt (in diesem Jahr den auf der Berlinale laufenden Kal ho naa ho), und Takashi Miike, dafür, dass er Filme wie Blessing Bell dort erfahrbar macht, wo sie einzig und allein wirken können: auf der Leinwand.

 

Benjamin Happel

 

Diese Kritik ist zuerst erschienen bei: filmkritiken.org

 

Blessing Bell

Sabu

Japan, 2002

Bundesweiter Kinostart: 11. März 2004

 

zur startseite

zum archiv