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Black Box BRD

 

Andres Veiel setzt mit Black Box BRD sein Porträt der Bundesrepublik am Leitfaden ihrer Toten fort. In Die Überlebenden verfolgte er die Schicksale dreier Klassenkameraden, die ihrem Leben selbst ein Ende setzten und leuchtete dabei, wie nebenbei, das Aufwachsen und das Leben in der deutschen Provinz der 70er Jahre mit einer Gnadenlosigkeit aus, die sich dem Verzicht auf jeden polemischen Furor verdankte. Die Wut, die entstand, war ganz den abgeschilderten Verhältnissen und Personen geschuldet. Wut hingegen gehört zu den Gefühlen, die Black Box BRD, durchaus erstaunlicherweise, zuallerletzt erzeugt. Das Doppelporträt des Bankiers Alfred Herrhausen und des Terroristen Wolfgang Grams kennt keine Lösungen, keine Vorwürfe, keinen Hass: es will nur verstehen, aber dieses Verstehen bedeutet in erster Linie Zu-Wort-kommen-Lassen von Freunden (von denen Grams offenbar viel mehr hatte als Herrhausen), von Herrhausens Ehefrau, von Kollegen. Wäre es nicht das reine unsinnige Begriffsklischee, müsste man sagen: worum es geht, ist der Mensch Herrhausen, ist der Mensch Grams. An diese Annäherung an das (oder Konstruktion des) „Menschliche(n)" der beiden Porträtierten sollen sich, so die Absicht des Filmemachers Veiel, Zeitkolorit, Denkweisen, Einsichten in Haltungen, die zu Handlungen wurden, anlagern.

 

Tatsächlich gelingt das. Man erfährt sehr viel über die Bundesrepublik, ganz unauffällig manchmal, an den Rändern. Und ohne dass der Film je einseitig Position bezieht oder auch nur die Sympathien zu lenken versucht, fordert er – oder eher: fordert das, was man sieht und hört – doch zur Stellungnahme (und sei es der Affekte) auf. Nicht zuletzt macht einem Black Box BRD klar, wo man selbst steht, wie man selbst denkt über diesen gerade erst in Vergangenheit übergehenden Teil der Gegenwart. Klug verzichtet der Film auf jedes Urteil, überlässt es dem Betrachter, der sich – für die meisten gilt das wohl noch – mit der Erinnerung an seine eigene Zeitzeugenschaft konfrontiert sieht, mit der Geschichte, heißt das auch, der eigenen Urteile und einst bezogenen Positionen. Die Reaktion auf diesen Film kann daher nicht neutral sein: kaum einer war, entlang des ganzen Spektrums möglicher Stellungnahmen, unbeteiligt. Was man sieht, ist der Stoff, aus dem die Gesellschaft ist, aus dem ihre – und damit unsere – inneren Konflikte sind.

 

Aus einer anderen Welt, und zu gleichen Teilen lächerlich und entsetzlich, scheint einem eigentlich nur Herrhausens Schwester zu stammen, mitsamt Hirschgeweihen im Hintergrund, die sehr klar macht, welchem nationalkonservativen, elite- und aufstiegsgeilen Milieu der Bankier entstammte. Dagegen die Eltern von Wolfgang Grams, die geradezu verzweifelt nach etwas suchen, das ihnen – wie ein um das andere Mal handgreiflich wird – nur begrenzt möglich ist: Verständnis für ihren Sohn. Am Vater, dem es bei seinem Versuch, zu erklären, warum er sich einst freiwillig zur Waffen-SS meldete, nicht nur gute Gründe, sondern gleich die Sprache verschlägt, dem dabei als letzte körperliche Ausflucht die Schulter in ein fast endloses Zucken gerät, wird, ganz schlagartig, deutlich, wie schwer es sein kann, die zu hassen, deren Handeln verächtlich war. Das ist dann, umgekehrt, genau der Punkt, an dem, wie einer der einstigen Weggefährten von Wolfgang Grams ausführt, der Rubikon zum Terrorismus überquert wird: so sehr vom konkreten Menschen absehen können, so viel Hass auf ihn projizieren, dass man ihn mit eigenen Händen töten kann. Erstaunlich, wie viele von Grams’ Freunden ihre Unfähigkeit dazu bis heute beinahe als Schwäche betrachten. Die Fähigkeit zur Abstraktion aber vom konkreten Menschen spiegelt sich geradezu unheimlich – und augenscheinlich ohne jede Zurichtung des Materials – in den obszönen Worten von Hilmar „Peanuts" Kopper, der Alfred Herrhausens Wandlung zum Paulus des Schuldenerlasses als „typische intellektuelle Bemerkung" abtut; Herrhausen habe dabei eines übersehen: das Schicksal der Bank, um deren Überleben es gehe. Zwischen alle Kategorien von Selbstentlarvung, Analyse, inhaltsleerem Managergefasel und nicht zuordenbarer Rollenprosa fällt dagegen der Deutschbanker Fischer – dessen Worte auch deutlich machen, welche Umwege die Gemengelage zwischen Faszination und Kritik mancherorts nehmen muss, um dann doch nicht weit übers Verquaste hinauszugelangen.

 

Dass der entschiedene Wille zur Radikalität nicht nur bei Grams, sondern auch bei Herrhausen vorhanden war, zeigt sich, als Traudl Herrhausen einen Brief ihres Mannes vorliest, den er für den Fall einer Entführung geschrieben hat. Er insistiert darauf, im Ernstfall keiner Forderung der Kidnapper nachzugeben. Der Entschluss zum Äußersten, aus Staatsräson hier, aus einer angemaßten Kämpferrolle für die Entrechteten dort. Nur auf der Seite von Wolfgang Grams dagegen fächert sich das Porträt im Zeugenaufruf der Freunde in ein Kaleidoskop alternativer Lebensläufe auf: vom resignierten Gartenlauben-Revolutionär über die Aussteiger auf dem Bauernhof bis zu den in Dokumentarbildern auftretenden Joschka Fischer und Otto Schily ist – mit Ausnahme der Rechtskonversion à la Mahler –  das vollständige Spektrum linker Lebensläufe nach 68 wenigstens angedeutet. Auf der anderen Seite entwickelt der Film wie von selbst eine interessante Topografie: in der immer wieder umkreisten Doppelturm-Zentrale der Macht ungelenke Erinnerung, die Unfähigkeit, außerhalb der in Hirn und Blut übergegangenen Klischees zu fühlen, zu formulieren und zu denken. Auf der anderen Seite derselben Medaille ein früherer Freund Herrhausens in einem Nachtclub, der sich an entspannte Abende in Damenbegleitung erinnert. Dazwischen Traudl Herrhausen in ihrer Villa, der die Worte nicht vorgefertigt von den Lippen kommen, die ebenso wie die Eltern von Wolfgang Grams trauert und erinnert und begreiflich macht, dass man damit nicht irgendwann fertig ist und aufhören kann. Das führt einem Andres Veiels Film vor Augen, so, dass es einen unmittelbar angeht, aber, eben, ohne große Worte. 

 

Ekkehard Knörer

 

Dieser Text ist zuerst erschienen in: Jump Cut

 

 

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