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Black
Book
Abenteuerspielplatz
Wie reißerisch darf Gedenkkino sein? Ein
kurzer Streifzug durch das Nazi-Exploitationkino anlässlich von Paul Verhoevens
formidablem Widerstandsthriller „Black Book“.
„Hätten die Juden auf Jesus
gehört…“, sekkiert ein Bauer die junge Frau, die er auf seinem Dachboden
vor den Nazi-Besatzern versteckt hält und vor jeder Mahlzeit zum Vorbeten
nötigt. In der nächsten Szene wird sein Haus von den Alliierten zerbombt.
Die jüdische Sängerin Rachel (glamourös: Carice van Houten) flieht
weiter, um Filmminuten später in einem SS-Hinterhalt ihre gesamte Familie
zu verlieren. Nächste Station: Widerstand. „Black Book“ hat es eilig: Morde,
Schießereien und verwickelte Intrigenspiele im besetzten Holland von 1944/45
rattern hier zweieinhalb Stunden lang zügig am Publikum vorbei. Der Niederländer
Paul Verhoeven, spätestens nach kaltschnäuzigen Hollywoodhits wie
„Robocop“ oder „Basic Instinct“ versiert auf körperliche Attraktionen aller Art, lässt
in seiner Überlebenssaga einer willensstarken Frau wenig aus, was im Handbuch
für „Sex & Crime“-Straßenfeger steht: Im Dienste des niederländischen
Widerstands verführt die aparte Rachel schließlich einen Gestapo-Hauptmann,
in den sie sich bald – ganz im Sinne weiterer inhaltlicher und moralischer Verwicklungen
– aufrichtig verlieben wird.
Darf Vergangenheitsbewältigungskino
so was überhaupt? Wird das antifaschistische Gedenken nicht zur Farce,
wenn das Dritte Reich ohne Genierer zum Abenteuerspielplatz für Genrefilmer
umgebaut wird? Die Zeit scheint auf jeden Fall günstig für Verhoevens
Film: Ließ sich zuletzt schon Stefan Ruzowitzky den Krimi-Plot von „Die
Fälscher“
nicht vom Konzentrationslager-Setting madig machen, so darf man gespannt (oder
beunruhigt) sein, was Von Stauffenberg-Darsteller Tom Cruise und „X-Men“-Regisseur Bryan Singer derzeit
aus dem Hitler-Attentat vom 20. Juli 1944 basteln. Und mit Quentin Tarantinos
lange angekündigtem Kriegsfilm-Remake „Inglorious Bastards“ dürfte
auch der ultimative, soul- und zeitlupengefütterte Zitatetrip durch Naziland
nicht mehr fern sein.
Das Italotrash-Original von anno
1978, an dem sich Tarantino abarbeiten will, verweist dabei auf eine Dekade,
als der verspielte bis schamlos reißerische Umgang mit NS-Phantasien und
-Ikonographien im Kino seinen Zenit erreicht hatte: Die 70er Jahre hindurch
versorgten italienische und US-amerikanische Billigproduktionen mit sprechenden
Titeln wie „Ilsa, She Wolf of the SS“ oder „Lager SSadis Kastrat Kommandantur“
ihr Grindhouse-Publikum mit Sex, Gewalt und cheap thrills aus KZs und besetzten Gebieten.
Mit den erwähnten Formen
von Gedenk-Entertainment haben diese waschechten Nazisploitationer freilich
weniger zu tun als mit aktuellem Folterhorror von „Saw“
bis „Hostel“.
Aber wenn im britischen „Guardian“ „Black Book“ als klischeeübersättigter
Softporno mit Kunstanspruch bezeichnet wird, dann erinnert das nicht von ungefähr
an die Kontroversen, die Mitte der 70er Liliana Cavanis S/M-Romanze „Der Nachtportier“
(1974) in die Arthouse-Kinos begleiteten: Mit allerhand mythologischem und psychoanalytischem
Rumoren wird dort die amour
fou zwischen
einer KZ-Überlebenden (Charlotte Rampling) und ihrem ehemaligen Peiniger
(Dirk Bogarde) im altnazi-verseuchten Wien der 50er Jahre geschildert.
„Black Book“ ist da in seinen
Ansprüchen bescheidener und in der Fusion von Pulp Fiction und Geschichtsunterricht
zugleich hintersinniger: Wenn Verhoeven und sein erfahrener Drehbuch-Komplize
Gerard Soeteman historisch Verbürgtes mit Tschinbummkino-Tropen verbinden
und die gediegen ausgeleuchteten Bilder europäisch co-produzierten „Qualitätskinos“
mit einem Schwall von Körperflüssigkeiten überschütten,
dann geschieht das nicht im Dienste reibungsloserer Konsumierbarkeit. Im Gegenteil:
„Black Book“ kratzt gerade an der Ethik „angemessener“ Repräsentation von
Naziverbrechen und -opfern, wie sie sich im staatstragenden Gedenkkino der letzten
eineinhalb Jahrzehnte – von „Schindlers Liste“ bis „Sophie Scholl“, von „Rosenstraße“ bis „Der letzte Zug“ – zu einem System schmerzloser moralischer Grenzfestigung und
Erbauung eingespielt hat.
Es ist nicht so, dass das Räuberpistolen-Genrekino
von „Black Book“ Problemfelder, die in einem „respektableren“ Format besser aufgehoben wären,
notdürftig ans breite Publikum bringt. Die Erzählkonstruktion der
schnellen Wendungen und wechselnden Allianzen macht gewisse Graubereiche der
Geschichte – die bereitwillige Kollaboration weiter Teile der niederländischen
Bevölkerung mit den Besatzern; den latenten Antisemitismus auch im (großteils
nationalistischen) Widerstand; die Kontinuität von Gewalt und Gewinnlertum
nach der Befreiung durch die Alliierten – vielmehr erst sicht- und erlebbar.
(Wirklich problematisch ist allein Verhoevens – allzu kalkuliert provokante
– Entscheidung, ausgerechnet einen hochrangigen Nazi aus dieser Orgie der Schuldverstrickungen
auszunehmen und zum lauteren Helden zu stilisieren.)
In seiner erzählerischen
Klarheit und melodramatischen Dringlichkeit erinnert „Black Book“ dann auch
am ehesten an die Widerstandsabenteuer aus dem Hollywood der Kriegszeit, an
„Casablanca“ oder „Hangmen Also Die!“: Wie dort ist die Verflechtung von
großer Politik, moralischer Fabel und schillerndem Pop kein notwendiges
Übel, sondern die Herauforderung einer demokratischen Bildkultur.
Joachim Schätz
Dieser
Text ist zuerst erschienen in: wwwfalterat
Zu diesem
Film gibt’s im archiv der filmzentrale mehrere
Texte
Black
Book
Niederlande
/ Deutschland / Großbritannien 2006 – Originaltitel: Zwartboek – Regie:
Paul Verhoeven – Darsteller: Carice van Houten, Sebastian Koch, Thom Hoffman,
Halina Reijn, Waldemar Kobus, Derek de Lint, Christian Berkel – FSK: ab 16 –
Länge: 142 min. – Start: 10.5.2007
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