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Bitte
laßt die Blumen leben
Dieser Film ist, um es mit einem konjunkturbegünstigten
Wort zu sagen, reichlich peinlich. Leider ist es eine dumpfe und mutlose, keine
schrille Peinlichkeit, die dem Film wenigstens einen Platz unter den Anwärtern
auf einen Golden Turkey sichern würde.
Wie kam sie zustande? Als erstes ist bereits die
literarische Vorlage peinlich. Nicht gemessen an irgendeiner Kunst des Erzählens,
sondern am mehr oder minder soliden Handwerk einerseits und dem kulturellen
Klima andererseits. Die Konstruktion wäre noch tragfähig: Da ist ein
Rechtsanwalt in Paris, der seinen Beruf ebenso satt hat wie die wegen schauspielerischen
Mißerfolgs alkohol- und streitsüchtige Frau. Er überlebt einen
Flugzeugbrand, nimmt eine neue Identität an und lernt in dieser ein junges
Mädchen kennen. Neue Liebe, neues Glück, neue Menschlichkeit. Sie
ist nämlich in einem schnuckeligen kleinen Buchladen beschäftigt,
dessen sich ein zum Bauspekulanten gewordener Zuhälter mit allen Mitteln
bemächtigen will. Zu alldem kommt noch ein durch einen Unfall gehbehindertes
Mädchen. Der Überdrüßling kauft den Buchladen, um ihn zu
retten und dem kleinen Mädchen die Operation in Amerika zu ermöglichen.
Das Glück wird getrübt, weil einerseits die Gangster nicht lockerlassen,
andererseits sein ehemaliger Geschäftspartner ihn erpreßt. Er reist
nach Paris um sich zu stellen, doch bei einem Handgemenge erschießt sich
der korrupte Kompagnon selbst. Unterdessen haben die Gangster den Buchladen-Besitzer
erschossen, und der Verdacht fällt auf den Helden, der mit keinem Alibi
aufwarten kann. Schließlich klärt sich alles auf, und weil seine
Frau sich durch neues schauspielerisches Engagement inzwischen gefangen hat
und ihn freigibt, sieht es nach einem Happy End aus. Weil das aber denn doch
zu trivial schiene, wird die Geliebte auch noch von den Gangstern ermordet,
und dem Helden bleibt nur noch das in Amerika erfolgreich operierte Mädchen.
Das ist, wie gesagt, auch nicht schwachsinniger als
der Unsinn, mit dem wir sonst so unsere Zeit totschlagen. Peinlich wird es wegen
der Charaktere und des Ambiente. Die Simmelsche Beschreibung der großen
weiten Welt aus der Sicht des unzufriedenen Provinzlers kollabiert gewissermaßen;
seine angeödeten Reichen und tragischen Langweiler wirken noch falscher,
seit sich bei uns die Yuppies, TEMPO-Zeitgeistler und Mode- und Konsumfreaks
steigenden öffentlichen Wohlwollens erfreuen dürfen. So seltsam das
bei seiner verdrucksten Konservativität klingt: Simmel hat mit der „Wende",
mit der neokonservativen Kulturrevolution, seine Wirkung großenteils eingebüßt.
Wir wollen keine leidenden Reichen mehr sehen, Reichtum ist geil! Wir mögen
keine vor sich hin weinenden Absteiger aus dem Himmel der Karriereträume,
robuste Aufsteiger sind unsere neuen Helden.
Zur Verfilmung dieses hinter dem Zeitgeist zurückgebliebenen
Romans hat man sich aus Italien Duccio Tessari geholt. Der kann gar nicht ahnen,
wie peinlich Simmels Roman den Deutschen eigentlich schon sein muß. Er
nahm das ganze beim Wort, statt irgendwo gegenzusteuern, und zerlegte den Simmel-Kosmos
in drei Erzählformen, die er kennt: einen durchschnittlichen „giallo"
(zu dem falsch-harte Schnitte ebenso gehören wie Protagonisten, die nicht
„spielen", sondern bloß angezoomt werden), ein Sozialmärchen
(ein Hamburger Buchladen, der aussieht wie aus einem RAI-Kinderprogramm, in
dem seltsamerweise einmal kein sprechender Hund vorkommt) und schließlich
einen Fotoroman (zu dem statische Bilder, eine grandios-lächerliche Schminktechnik
und Comic-Dialoge gehören). Um das ganze zusammenzuhalten, hat Tessari
zu jener Werbefilmästhetik gegriffen, die heute auch schon niemand mehr
sehen will. Nicht einmal mehr in der Werbung.
Der gar nicht heimliche Star dieses Films heißt
LORD EXTRA, eine Zigarettenart, die von den Protagonisten in ausgesprochen gesundheitsgefährdenden
Mengen verbraucht wird. Außerdem machte es Moët et Chandon auch schon
billiger, und Wien ist schöner als Hamburg, und Hamburg ist immer noch
schöner als Paris, und die Welt wäre schön, wenn die Leute nicht
so schlecht wären. Luggi Waldleitner hat einen Film gemacht, der einmal
mehr die Universalität des Provinziellen beweist. Aber wem sagt er das?
Georg Seeßlen
Diese Kritik ist zuerst erschienen
in: epd Film 11/86
Bitte
laßt die Blumen leben
BRD
1986. R: Duccio Tessari. B: Joachim Hammann nach dem Roman gleichen Titels von
J.M. Simmel. K: Charly Steinberger. Sch: Hannes Nickel. M: Frank Duval. Pg:
Roxy/Lisa-Film/Ilse Kubaschewski/BR. V: Tivoli. L: 2723 m (100 Min.). FSK: 12,
ffr. St: 25.9.1986. D: Klausjürgen Wussow, Birgit Doll, Hannelore Elsner,
Gerd Böckmann, Hans Christian Blech, Radost Bokel.
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