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The Big Red One

 

 

Samuel Fuller beginnt sein Weltkriegsepos virtuos mit der Frage nach der persönlichen Schuld eines Soldaten, im Krieg und danach. Frankreich, November 1918. Unter den leeren Blicken des hölzernen Heiland am Kreuze wird ein amerikanischer Sergeant von einem durchdrehenden Pferd angegriffen. Wenig später ersticht er einen kapitulierenden deutschen Soldaten. Aus der Mütze des Toten schneidet er eine Eins, die große rote Eins steht für die erste Infanteriedivision und leuchtet als einziger Farbfleck im retrospektiven Schwarzweiß des Prologs. Was der Sergeant (Lee Marvin) nicht wissen konnte ist, dass der Krieg bereits einige Stunden vorbei war, als er seinen letzten Feind tötete. Die 150 folgenden Minuten lassen die Virtuosität und Bildgewalt dieses Prologs nur noch gelegentlich erahnen und verneinen die Frage nach der persönlichen Soldatenschuld kategorisch. Zumindest wenn von US-Soldaten im Krieg gegen Hitler die Rede ist, wie Fuller es selbst einer war.

 

Ein Vierteljahrhundert später haben der Sergeant und die Big Red One, über der er nun väterlich thront, wieder beruflich in  Europa zu tun. Der harte Kern der Einheit kämpft sich unversehrt von Tunesien, über Sizilien, Frankreich, Belgien, Deutschland bis zur Befreiung eines tschechischen KZs. Die Neuen hingegen, der Nachschub aus der Heimat, sterben so schnell, dass nicht einmal Zeit bleibt, ihre Namen zu lernen. In einem seiner philosophischen Momente sinniert der Erzähler, der sich für den „Hemingway aus der Bronx“ hält und Material für einen Kriegsroman sammelt, darüber, dass das wohl auch besser so sei. „The only glory of war is survival”, sagte Fuller und so werden in The Big Red One nicht das Töten, nicht der Krieg an sich, wohl aber die überlebenden Krieger glorifiziert.  

 

Die Aufgabe der Soldaten ist es, Europa vom Übel des Faschismus zu befreien. Da für die Supersoldaten vom Feind keine existenzielle Gefahr auszugehen scheint, die militärische Überlegenheit also offenbar nicht zur Debatte steht, stellt sich die Odyssee durchs verwüstete Europa vor allem als Abfolge von Prüfungen dar, in denen sie ihre moralische Überlegenheit zu beweisen haben. Die sexuell ausgehungerten Männer sollen ein französisches Kind zur Welt bringen. Die ländliche Seniorenliga von Hitlers „Volksarmee“ versperrt tollkühn mit Mistgabeln und Spaten den Weg. Ein Heim psychisch Kranker soll geräumt und ein 12-jähriger Scharfschütze gestellt werden. Die Entscheidungen, die die Soldaten in diesen Situationen treffen, ihr Berufsethos und dessen strikte Einhaltung ist das, was sie vom Antagonisten, dem Nazioffizier Schroeder (Siegfried Rauch) unterscheidet, den Fuller als vom Endsieg überzeugten Fanatiker darstellt, der in seinen wenigen Auftritten mehrmals unbewaffnete Landsleute erschießt, weil sie sich über Hitler das Maul zerrissen. Diese Gleichung lässt sich auch problemlos umkehren: Eben weil die Amerikaner in diesem Krieg „die Guten“ waren, verstehe es sich von selbst, dass sie keine Frauen vergewaltigen, keine schlecht bewaffneten alten Männer und keine wehrlosen psychisch Kranken töten, auch ein Kind, das gerade einen ihrer Soldaten erschossen hat, nicht an die Wand stellen, sondern ihm den Hintern versohlen, bis es nicht mehr nach dem Heil seines Führers sondern nur noch nach seinem Papi schreit. Überflüssig zu erwähnen, dass dieses krampfhaft patriotische Gut-Böse-Denken, in dem die meisten Deutschen übrigens nicht wirklich böse sind, sondern nur leicht exorzierbare Mitläufer, jede Annäherung an das Verhalten von Menschen in existenziellen Bedrohungssituationen unmöglich macht.  

 

Anstatt auf eine Auseinandersetzung mit der eigenen Vergangenheit setzt Fuller auf schlüpfrige Frontnostalgie, wobei die Inszenierung – gerade des Schlachtengeschehens – über den Standard zeitgenössischer B-Kriegsfilme nur selten hinaus kommt. Eindringliche Momente, etwa bei der Befreiung des KZs, wenn einer der Soldaten, Griff (Mark „Luke Skywalker“ Hamill), der schon vorher als psychisch labiler Zweifler charakterisiert wurde, immer wieder aus nächster Nähe auf einen toten Nazi schießt und der Film zu zeigen vermag, wie hilflos diese verzweifelte Rachegeste im Angesicht des Unfassbaren ist, bleiben die Ausnahme. Am Ende schließt sich der Kreis, wieder ist ein Krieg zu Ende und wieder sticht der Sergeant etwas zu spät auf einen kapitulierenden Feind ein. Doch dieses Mal ist der Deutsche nur verwundet und kann gerettet werden. Auch Jesus sieht dem Sergeant jetzt nicht mehr bei der Arbeit über die Schulter, dafür schultert dieser nun seinen besiegten Ex-Feind, wie jener einst sein Kreuz.

 

Zur DVD:

Die phantastische Special Edition, in der Warner nun diesen Film in einer rekonstruierten Version, die gegenüber der Kinofassung eine knappe Stunde länger ist, herausgebracht hat, ist meiner Meinung nach Perlen vor die Säue. Die Scheibe lohnt sich allerdings schon (fast) wegen der umfang- und materialreichen Dokus über Fuller, der einige sehr viel bessere Filme gedreht hat, sowie über die Rekonstruktionsarbeit. 

 

Nicolai Bühnemann

 

The Big Red One

USA 1978

Länge: ursprünglich 109 min; rekonstruierte Fassung (2005): 156 min

FSK: ab 16

Erstaufführung: 24.07.1980

Regie und Buch: Samuel Fuller

Musik: Dana Kaproff

Darsteller: Lee Marvin (Sergeant); Mark Hamill (Griff); Robert Carradine (Zab); Bobby DiCicco (Vinci); Stéphane Audran (Waloon); Siegfried Rauch u.a.

 

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