The Big Lebowski
"What makes a man?"
Charmant
und athletisch wie Douglas Fairbanks, cool und smart wie Bogey, aufrecht und
hart wie John Wayne, muskelbepackt und zäh wie Stallone: das Kino beantwortet
sie immer auf’s Neue – die Frage, was es heißt, ein richtiger Mann zu
sein.
Die
Ängste, Wünsche, Sehnsüchte einer jeden Generation werden auf
die Leinwand projiziert, nehmen Gestalt an, werden zu Leitbildern, deren flackernder
Widerschein das Publikum verführt. So wie die Helden möchte man(n)
sein; so wie die Helden muß man(n) sein. Als in NORTH
BY NORTHWEST
zu sehen war, daß Cary Grant kein Unterhemd trägt, wäre die
amerikanische Trikotagen-Branche beinahe in den Ruin gegangen.
Jeff
"The Dude" Lebowski (Jeff Bridges) ist ein wahrer Mann unserer Zeit.
Er erwartet nicht viel vom Leben außer seiner Arbeitslosenunterstützung,
genügend Alkohol und ausgedehnten Bowling-Abenden mit seinen beiden Freunden,
dem ebenso gesprächigen wie begriffsstutzigen Donny (Steve Buscemi) und
dem militaristischen Möchtegern-"G.I.Joe" Walter (John Goodman).
Um so überraschter ist er, als zwei Typen in sein Appartment einbrechen,
ihn zusammenschlagen, Lösegeld für seine Frau verlangen und ihrer
Forderung Nachdruck verleihen, in dem sie auf seinen Teppich pissen. Ganz klar:
Ein Fall von verwechselter Identität – wo der Dude doch nicht mal verheiratet
ist. Ebenso klar für Walter: "This aggression will not stand!"
(Jawoll, es ist die Zeit des amerikanischen Golfkriegs.) Laut Telefonbuch gibt’s
in Los Angeles nur noch einen anderen Jeff Lebowski – the "Big" Lebowski,
mehrfacher Millionär – und der soll dem Dude nun seinen schönen Teppich
ersetzen. Womit für den "Little" Lebowski die Verwicklung in
den Entführungsfall beginnt, die ihm bald die mehr oder minder unliebsame
Bekanntschaft mit deutschen Nihilisten, feministischen Malerinnen und alternden
Pornoproduzenten beschert.
Als
es die Frontier noch gab, war alles einfacher: die männliche Identitätskrise
löste man im "wilden" Raum des Westens. Aber irgendwann war man
am Ozean angelangt und konnte der rituellen Zivilisationsflucht vollends nur
noch im Mythos fröhnen. Dann kam der Zweite Weltkrieg und brachte auch
die Bilderwelt durcheinander; die Stadt wurde zur düsteren Wildnis, und
die private eyes des film noir irrten durch gefährliches moralisches Dickicht.
Nur im Kriegsfilm war die echte Männerwelt vorläufig wieder in Ordnung
– bis spätestens Vietnam auch dem ein Ende bereitete.
Die
Gebrüder Coen haben sich in ihrem neuesten Geniestreich all jenen Genres
angenommen, in denen klassischerweise am reinsten das Problem des Mannseins
verhandelt wird. Die Folie für THE BIG LEBOWSKI ist zweifelsfrei THE
BIG SLEEP,
aber neben film noir finden Western und Kriegsfilm gebührend Beachtung,
und selbst Pornos und Busby Berkley-Musicals gehören mit zur Mixtur. Fast
ein kleines Panorama des Hollywood-Kinos der Vierziger Jahre; nur verlegt von
der Zeit des Zweiten Weltkriegs in die des Golfkriegs.
Eine
Zeit, in der selbst die Star-Autoren der Fernseh-Westernserien (letzte Bastion
des ungebrochenen Mythos) nur noch in der eisernen Lunge dahinröcheln;
eine Zeit, in der nichts mehr so funktioniert, wie man es gewohnt ist. Der "Dude"
stolpert verwirrt durch ein sich immer absurder verkomplizierendes Netz an Fährten,
die die Coens genüßlich allesamt ins Leere laufen lassen; einer der
unsouveränsten Helden der Kinogeschichte, stets allen anderen einen Schritt
hinterher. In regelmäßigen Abständen wird er unsanft außer
Gefecht gesetzt – was die Coens nutzen, um wunderbare, surreale Traumsequenzen
zu inszenieren (herrlichste Höhepunkte in einem an herrlichen Höhepunkten
nicht armen Film).
Das
Verhältnis des Dudes zu Sex und Gewalt, jenen Feldern der Ehre für
jeden echten amerikanischen Helden, ist von reichlicher Hilflosigkeit geprägt.
Als
es ihm beinahe ans Gemächte geht und seine Widersacher seine Männlichkeit
ganz anatomisch konkret bedrohen (welcher Moment wäre für einen wahren
Helden des Hollywood-Kinos traumatischer!), muß er sich von seinen Freunden
ganz ehrlich fragen lassen, wozu er diesen Körperteil denn so dringend
brauche. Denn Frauen zu erobern, das versuchen die Männer in THE BIG LEBOWSKI
nicht einmal mehr. Sie haben ja Bier und Bowling.
Und
wenn es dann schließlich eine Leiche gibt, dann geschieht das so ganz
anders als erwartet: Dann schlägt der Tod nicht nach den Regeln des Genres
zu, dann geht es nicht um Kino-Gewalt, sondern um das sinnlose, absurde, plötzliche
und schockierende Sterben eines Menschen.
Heroisch
zelebriert wird von den Bildern nur eins: Bowling. Da ziehn die Coens dann all
jene filmischen Register, die üblicherweise für die Darstellung von
Sex oder Gewalt – oder die Verrichtung sonstiger Heldentaten – reserviert sind.
Bei
aller Demontage und Boshaftigkeit offenbaren die Coens jedoch auch wieder jene
Qualität, die sie gegenüber dem blanken Zynismus manch ihrer Kollegen
auszeichnet: ihre Menschlichkeit. Zwar trägt THE BIG LEBOWSKI diese nicht
so deutlich zur Schau wie FARGO (und ist auch nicht ein so sympathischer Film
wie dieser), aber auch hier werden selbst die absurdesten Charaktere nie denunziert;
schwingt in ihrer tiefen Lächerlichkeit stets ein Moment der Größe;
findet sich anstelle von Verurteilung eine staunende Bewunderung und Neugier
angesichts der Palette menschlicher Möglichkeiten.
Dazu
gesellt sich, wie ebenfalls üblich, überbordender, spielerischer Einfallsreichtum;
ein enorm genaues Ohr für den Jargon (weshalb von der Synchronfassung noch
mehr als üblich abzuraten ist); Gespür für bizarre Details und
diebische Freude über das Ausstreuen falscher Fährten für alle
akademischen Interpreten.
Und
vor allem ist THE BIG LEBOWSKI, wie jeder Film der Gebrüder Coen, ein nicht
nur vielschichtiges und intelligentes, sondern auch höchst unterhaltsames
Vergnügen.
Thomas Willmann
Diese Kritik ist zuerst erschienen bei: artechock : FILM- UND KUNSTMAGAZIN
Zu diesem Film gibt es im filmzentrale-archiv mehrere Kritiken.
The Big Lebowski
USA 1997
Regie:
Joel Coen
Kamera:
Roger Deakins
Drehbuch: Ethan Coen, Joel Coen
Besetzung: Jeff Bridges, John Goodman, Steve Buscemi, Julianne
Moore u.a.