zur
startseite
zum
archiv
Big
Business
Big
Business
– mit Laurel und Hardy. Eine
Analyse von Komik und Wirkung
Es
gibt tatsächlich Leute, denen muss man immer noch erklären, wer Laurel
und Hardy sind bzw. waren. In Deutschland ist es dabei leider ganz und gar unmöglich,
die Beschreibung „Dick und Doof“ zu vermeiden. Was zeigt, dass wir wirklich
keine ausgeprägte Cineastenkultur besitzen. Wie auch immer, „Big Business“
aus dem Jahr 1929 wird als das genuine Kurzfilm-Meisterwerk der beiden Komiker
bezeichnet, und die seltene Gelegenheit, den Two-Reeler einmal im Kino zu sehen,
sollte man keineswegs versäumen.
Wie
sagte der moribunde Komiker: Sterben ist leicht – komisch sein ist schwer! Und
man bemerkt in den als komisch intendierten kontemporären Filmen und Fernsehserien
auch leicht, wie einfach es ist, den schmalen Grad zwischen Witz und Peinlichkeit
zu überschreiten. Laurel und Hardy jedoch konnten offenbar mühelos
und fortwährend das Komische in ihren Filmen klar definieren, und dann
dramaturgisch äußerst geschickt steigern und variieren. Mir scheint,
der Schlüssel zur komischen Wirkung ist: Timing. Dramaturgie, die Inszenierung
der Handlung, die Darstellungskunst der Schauspieler müssen eine perfekte
Einheit eingehen, damit der komische Effekt erzielt werden kann. Für mich
einer der Hauptpunkte, warum deutsche Sit-Coms in der Vergangenheit nicht funktionierten,
sind die Schauspieler. Deutschen Darstellern fehlt das komische Timing, und
jegliche Körperlickeit. Das wird gerne mit Schreien und Herumtoben versucht
zu kompensieren. Was auch nicht klappt, ist das Vorbereiten der „Punch Line“,
das punktierte Herbeiführen der Pointe, das gekonnte verzögernde Spiel
mit dem Witz, um dessen Wirkung noch zu steigern. Darum wissend, lässt
sich die Kunstfertigkeit vieler US-Komiker entschlüsseln. Amerikanische
Komödianten wissen um die Techniken der Komik, und sind bühnenerfahren,
eine unabdingbare Voraussetzung, um auszuprobieren und letztlich zu wissen,
was ein Publikum als erheiternd empfindet. Laurel und Hardy gingen beide durch diese harte Schule der Minstrel-
und Vaudeville-Bühnen-Shows, so wie Keaton, Lloyd, und natürlich Chaplin
auch. Der Übergang vom Bühnenstar zum Filmdarsteller war in den 1910er
und 1920er Jahren ein kleiner Schritt – und der Film brauchte dringend neue
Gesichter. Also erhielten die Produzenten wie Mack Sennett oder Hal Roach bereits
bühnen-und publikumserfahrene Darsteller, die genau wussten, wie sie Lacher
produzieren konnten. Die bis heute nachwirkende extreme Körperlichkeit
der amerikanischen Komik (z.B. Jim Carrey, Steve Martin, Will Ferrell) wurzelt
ebenfalls in den oft sehr direkten und derben Scherzen der Vaudeville-Bühnen.
Der Charakter der dort gepflegten Komik war bedingt durch das Publikum dieser
Bühnen. Nichtenglischsprechende Einwanderer, Analphabeten, Arbeiter und
Farmer, das städtische Proletariat, die Landbevölkerung,
stellte die Zuschauerschaft. Kein Ort für Feingeistiges oder Subtiles.
Die Darstellungskunst von L+H sucht auch in den Filmen den Kontakt, die Erfolgskontrolle
gewissermassen, zum Publikum: Ollies um Mitleid oder Verständnis heischende
Blicke in die Kamera, Stans Weinen. Das Publikum ist auch in allen Filmen des
Duos, wenn die ganze Welt in Form von missleidigen Ehefrauen oder strengen Gesetzeshütern
sich gegen sie verschwört, dessen letzter Verbündeter.
„Big
Business“ wurde in einer Ton – und einer Stummfilmversion gedreht, doch Worte
scheinen in dieser Orgie des Wahnsinns ohnehin überflüssig. Als Regisseur
fungierte ein gewisser James Horne, welcher später noch einen der besten
Langfilme von L+H verantworten würde, „Way out West“, 1937. Drehbuchautor
und Supervisor der Produktion war jedoch Leo McCarey. Hal Roach war ausführender
Produzent. Wer von den Herren für welchen Teil der Filmarbeit zuständig
war, lässt sich nur vermuten. Ein treibender kreativer Faktor bei den Dreharbeiten
war übrigens Stan Laurel. Seine Ideen, Improvisationen und Einfälle
flossen fortwährend in die Inszenierung ein. Den Filmen von L+H aus den
späten 1920er Jahren ist ein gewisser dokumentarischer Wert übrigens
nicht abszuprechen, wurde doch aus Kostengründen oftmals nicht auf einem
Studiogelände gedreht. Das L.A. aus „Big Business“ kann seine Herkunft
als Wüstenkaff nicht verhehlen – kaum befahrene Strassen lassen den Blick
in die freie Prärie erahnen. Das propere Häuschen Finlaysons zeigt
alle Statussymbole einer urbanen Bürgerschaft – elektrische Türklingel,
feine Verzierungen an der reichhaltig geschmückten Haustür, das Klavier
im Wohnzimmer. Der sich anbahnende Konflikt ist auch ein gesellschaftlicher
– mobile Handelsvertreter als Repräsentanten einer aufstrebenden Unterschicht
versus das sich schon länger etablierte städtische Bürgertum.
Doch
wie funktioniert die Komik in „Big Business“ ? Mit einer einfachen Rahmengeschichte:
Stan und Ollie verkaufen Weihnachtsbäume in Los Angeles. Doch ihre Bemühungen
sind nicht von Erfolg gekrönt. Als sie sich ausgerechnet den schlechtgelaunten
Besitzbürger James Finlayson als ultimativen Verkaufstest auswählen,
ist der Grundstein für einen ganz wunderbaren Konflikt gelegt. Denn die
Auseinanderstzung zwischen Verkäufern und Kunde in spe eskaliert. Schauplatz
des Geschehens sind das Haus Finlaysons (welches man nur von außen sieht)
und der Wagen der potentiellen Christbaumverkäufer. Mit dem Abknicken iher
Baumspitze durch die zuschlagende Tür des Finlayschen Heims beginnt die
Zerstörungsorgie. Finlayson zerlegt das Fahrzeug von L+H, diese demolieren
dessen Haus. Die Antizipation des Publikums dessen, was geschehen wird, macht
hauptsächlich die Komik von „Big Business“ aus. Denn das materielle Ziel
des gegenseitigen Destruierens kündigt sich für den Zuschauer vorzeitig
an. Darin also liegt nichts Überraschendes. Es ist das höchst absurde
„Wie“, das erheitert. Denn die Kontrahenten versuchen ja nicht, sich gegenseitig
von ihrem Tun abzuhalten – sie lassen den anderen unbehelligt sein Zerstörungswerk
vollführen. Dann kommt die ebenfalls ungehinderte Revanche – Haus und Auto,
Statussymbole ihrer Besitzer, gehen langsam aber unabwendbar zu Bruch. Es ist
dieses seelenruhige, irreale Abwarten der Streithähne, welches den höchsten
komischen Effekt hat. Inszenierung und Darstellung wissen darum, und verstärken
noch ihre Bemühungen, den Spannungsbogen möglichst bis kurz vor dem
Zerreißen zu strapazieren. Die Filmwissenschaft hat für dieses sich
langsame, aber unabwendbare gegenseitige Hochschaukeln der Ereignisse den Begriff
des „Slow Burn“ geprägt. Eine Technik, die L+H in ihren Filmen zur großen
Meisterschaft, ja Kunstfertigkeit, gebracht haben. Das naive, scheinbar würdevolle
Abwarten der Ereignisse durch die Protagonisten, das Nichtverstehende, ist ein
unabdingbarer Teil des Slow Burn. Diese Technik war eine besondere Spezialität
von Oliver Hardy – der sog. „Double Take“. „Big Business“ ist ein Höhepunkt
im Schaffen von Hal Roach als auch von L+H, eines der lustigsten und absurdesten
Werke der Filmgeschichte. Ein Film, dessen Charaktere und Kernkonflikt wunderbar
universal verständlich sind, und was besonders schön ist, dessen Protagonisten
auch im größten Chaos nicht ihre Würde verlieren.
Dirk
C. Loew
Dieser
Text ist zuerst erschienen in:
Big
Business
USA
1929
19
Min.
Regie:
James W. Horne, Leo McCarey
Drehbuch:
H.M. Walker
Produzent:
Hal Roach
Kamera:
George Stevens
Darsteller:
Stan
Laurel, Oliver Hardy, James Finlayson, Charlie Hall, Retta Palmer, Tiny Sandford,
Lyle Tayo
zur
startseite
zum
archiv