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Der Bienenzüchter

 

Bei Théo Angelopoulos wird die Mehrdimensionalität des Kinos gleich in mehrfacher Hinsicht Wirklichkeit: Nicht nur gestaltet er die Räume und deren Inszenierung wie kein zweiter, bei ihm wird auch noch die 4. Dimension zum filmischen Ausdrucksmittel: Die Zeit. Seine langen, ganze Szenen umspannenden Einstellungen scheinen den Film vom Joch der Montage befreien zu wollen. Der Schnitt erfolgt nur als zweckmäßige Verbindung zwischen den Handlungsorten. Die Schauspieler erhalten so die Gelegenheit, ihre Rollen auszuspielen und mit subtilen Feinheiten zu versehen. Sie bewegen sich in Bildern von elementarer Aussagekraft, die den bekannten Alltag in ein phantastisches Reich überführen, dessen symbolische Macht die Charaktere sukzessive zu verinnerlichen scheinen. Der Bienenzüchter ist der immer wiederkehrende Protagonist A., ein Alter Ego des Regisseurs Angelopoulos. Bewegend vollzieht Marcello Mastroianni die letzte Reise eines alten Mannes, der spürt, daß seine Zeit abgelaufen ist und der seinem Leben ein Ende setzen will.

 

Mastroianni portraitiert das langsame Ende eines pensionierten Lehrers, der nach der Scheidung von seiner Frau auch noch die Tochter durch Heirat verliert. Er ist so in seinen einsamen Schmerz zurückgezogen, daß er gegenüber der jugendlichen Vitalität eines Mädchens, dem er unterwegs begegnet, erstarrt und seine Liebe zu ihm schließlich in verzweifelten Gefühlseruptionen bekennt.

 

Wie in Ingmar Bergmans Wilde Erdbeeren ist die Reise durch die Heimat eine Reise in die eigene Vergangenheit. Er schließt mit ihr ab und gibt sich dem Tod hin. 1995 wiederholte Angelopoulos in Der Blick des Odysseus diese Reise in eine ungewisse Vergangenheit, diesmal mit Harvey Keitel in der Hauptrolle. Die Bilder seiner Filme haben eine solche Kraft, daß sie die Grenzen der Leinwand überwinden: Angelopoulos läßt oftmals Teile der Handlung außerhalb der Kadrierung durch das Kameraobjektiv ablaufen – und folglich vor dem inneren Auge des Zuschauers.

 

Johann Georg Mannsperger

 

Dieser Text ist zuerst erschienen in:  Jerry’s Archiv

 

Der Bienenzüchter (O Melissokomos) FRA/GR/ITA 1986

R: Théo Angelopoulos D: Marcello Mastroianni, Nadia Mourouzi

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