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Beyond
the Sea
The
Devil and Daniel Johnston
verschwende
deine jugend.doc
Wir
waren niemals hier
Die
letzten Psychopathen
Verspätete
Sinatras, schleimige Krankenteufel und eine starke Dosis deutscher Punk-Geschichte
– die Popfilme der Berlinale drehen auf
Nichts
ist so intim wie Popmusik. Klar, eine große öffentliche Sache, viel
Geld, Technologie, Investitionen und Kulturkämpfe. Und doch haben die Regisseure
von Biopics und Doku-Dramen Recht, die ihren Stoff in den Lebensläufen
von Musikern, Szenen, Bewegungen und Bands suchen. Denn der Job der Popmusiker
heißt in der Regel, aus den wenig bearbeiteten Macken und Psychosen, Traumata
und Tragödien der eigenen Person marktgängige Ware herzustellen, um
dann daran umso marktgängiger dramatisch zu scheitern. Das altbackene bürgerliche
Künstlerdrama aus Genie und Wahnsinn ist der banale Alltag ihres zum biopolitischen
Gesamtkunstwerk, zur Überschreitung der Kunst-Leben-Schranke drängenden
Genres. Das Problem der Filmemacher sind nur die katastrophalen Konventionen,
die grauenhaften Gewohnheiten, die den Musikfilm seit den Siebzigern fest mit
ihren Klauen umklammern: Backstage-Mystik, Rock-Urviech-Metaphysik und die Mär
von den jungen Leute aus üblen Verhältnissen, die es mit viel Fleiß
geschafft haben.
Mit
diesem Elend hat aber erfreulicherweise nur der schwächste unter den hier
zur Diskussion stehenden Popmusikfilmen ein bisschen zu kämpfen. Doch ein
gewisses Reflexionsniveau zeichnet sogar Kevin Spaceys Film Beyond The Sea aus:
eine Hommage an Bobby Darin, zu sehen im Panorama der Berlinale. Spacey singt
dabei den bekannteren Teil von dessen Repertoire, spielt die Hauptrolle und
führt Regie. So trifft auch die Rahmenhandlung etwas, in der der Darsteller
des jungen Darin dem wirklichen und alten beziehungsweise toten Darin erklärt,
wer er eigentlich war. Natürlich ist der kesse, aber aufrichtige junge
Mann ein ebenso unerträgliches Stereotyp wie der die Last der Welt schleppende
ältere Schnulzier. Aber die unsicher gespürte Notwendigkeit, Möglichkeit
und Methoden eines solchen Biopics infrage zu stellen, adelt die folgende Aneinanderreihung
von Innenaufnahmen aus dem Designmuseum mehr als Spaceys wackeres Bemühen,
als Sänger aller von Bobby Darin berührten Genres zu glänzen.
Von den auf kleine, lange im Voraus absehbare, rampensäuische Gratis-Pointen
zugeschnittenen Dialogen ganz abgesehen.
Die
Sexualität, die Drogen und der andere satanische Kram
Bobby
Darin war schon ein Rock-’n’-Roll-Sänger auf dem Wege zum Erfolg, als er
dann doch lieber der neue Sinatra werden und Standards in Nachtclubs singen
wollte. Und Erfolg hatte, obwohl er auf das vom Weltgeist abgehalfterte Pferd
setzte: Alles, was die Geschichte zum Untergang verdammt, kriegt ja zunächst
noch ein paar fette Jahre.
Bobby
Darin verhielt sich zu Elvis wie Arnold Gehlen zu Adorno. Kein Wunder, dass
ihm diese neokonservativen Zeiten endlich ein Denkmal setzen wollen. Politisch
aber war er – eine besondere Perfidie des Lebens – ein linker Demokrat, der
sich für die Bürgerrechtsbewegung einsetzte, nach einer Lebenskrise
sein Hab und Gut den Ghetto-Bewohnern von Watts stiftete und nun ausgerechnet
in Nachtclubs mit maximal einfältigen Protestsongs gegen den Vietnamkrieg
bestehen wollte. Spacey muss dieses entsetzliche, aber bezeichnende Showbiz-Schicksal
natürlich als Ein-Mann-muss-tun-was-ein-Mann-tun-muss-Story heroisieren.
Darins
eigentliches Problem – und das scheint denn doch eine Konstante des Pop-Business
– soll indes seine Mutter gewesen sein. Das war nämlich eine andere, als
er gedacht hatte. Trauma. Versöhnung. Tränen. Triumphe in Vegas.
Auch
Daniel Johnstons kreative Karriere beginnt mit einem versuchten Muttermord.
Der kleine Daniel, der seit frühester Kindheit rasend kreativ Milliarden
von Comic-Zeichnungen, Tape-Recorder-Literatur, Musik und Super-8-Filmen produzierte,
debütierte als Zehnjähriger mit einem Slapstick-Minidrama über
einen von seiner Mutter drangsalierten und schließlich Rache übenden
Knaben, in dem er virtuos beide Rollen spielte. Jeff Feuerzeigs The
Devil And Daniel Johnston (ebenfalls
im Panorama) hat sich den Gattungsnamen Dokumentarfilm wohlverdient. Mit Johnstons
Tape-Tagebüchern, Filmen und Zeichnungen verfügt er über genügend
Material, um der Legende um den manisch-depressiven, wiederholt gemeingefährlich
auffälligen Monomanen auf den Grund zu gehen.
Der
leicht linkische Hochbegabte mit den christlich fundamentalistischen Eltern
verliebt sich jung in ein – lustigerweise an einen angehenden Begräbnisunternehmer
vergebenes – Mädchen und schreibt anschließend einige Millionen Songs
für sie. Bis heute. Die anderen handeln vom Teufel, den Beatles und seinem
faszinierenden Paralleluniversum. Seit den mittleren Achtzigern weiß das
Independent-Music-Amerika von ihm und versucht ihn herumzureichen. Das scheitert
regelmäßig an psychotischen Schüben und religiösem Wahnsinn.
Schallplatten erscheinen, MTV interviewt, Sonic Youth laden nach New York. In
dreijährigen Abständen wiederholen sich die Erfolge, dazwischen liegt
ein versuchter Totschlag – er will einer alten Dame ihre Dämonen austreiben,
die vor Angst aus dem Fenster springt – und ein erheblicher Eingriff in den
Luftverkehr: Er bringt die von seinem Vater geflogene Cessna zum Absturz, weil
er sich für Casper, das freundliche Gespenst hält (beide überleben
knapp). Psychopharmaka schwemmen ihn auf den dreifachen Leibesumfang auf.
Doch
jede Rückkehr wird bombastischer. Kurt Cobain wechselt wochenlang vor den
Kameras der Welt ein Daniel-Johnston-T-Shirt nicht, und alle wollen diese absolut
ungeschützten Lieder dieses irren Genies. So faszinierend diese Geschichte
und ihre Anekdoten, so unterentwickelt deren Analyse. Johnston, so erfahren
wir, wird von seinen durchaus kultivierten, aber nun mal leider christlich-fundamentalistischen
Eltern großzügig gefördert. Nur die Sexualität, die Drogen
und den anderen satanischen Kram in all der vom kleinen Daniel verschlungenen
und reproduzierten Popmusik, Comic-Kultur und B-Movie-Welt bekämpfen sie.
Der Trick, den sich die Kinderseele ausdenkt und dem sie bis heute hoch psychotisch
folgt, besteht darin, alles genau so weiterzumachen, nur mit dem Vorsatz, gerade
mit den verbotenen Sachen nun erst recht den Satan zu bekämpfen. Er deutet
die Spielsachen im Sinne der Eltern um und hofft, sie behalten zu dürfen.
Johnston
studiert also Kunst, hängt mit den Butthole Surfers rum und dreht das erste
Mal dank LSD so richtig durch – aber all das nominell nicht, um sich von den
Eltern zu emanzipieren, sondern ganz im Sinne eines christlichen Kreuzzugs.
Schuldgefühle und eine für jeden Amateurpsychologen kenntliche Sexualpathologie
(Zeichnungen mit Christus/Daniel mit einem erigierten Kreuzphallus, den ein
schleimiges Krakenteufeltier zu verschlingen droht et cetera) tragen ihren Teil
zu immer neuen Zuspitzungen bei. Der Film ächzt dazu unter seiner positivistischen
Dokumentenbegeisterung und denkt sich nicht viel, kniet nur immer wieder vor
Johnstons Genie nieder. Das wird (bei aller, gerne vom Rezensenten mitgetragenen
Begeisterung) mit den Epitheta »größer als Dylan und Robert
Johnson« oder »viel wichtiger als Brian Wilson« überbewertet.
Heute
ist Johnston halb entmündigt zu seinen Eltern zurückgekehrt und hat
sich beruhigt. Sein Vater kümmert sich um ihn bei Welttourneen, die bis
zur Berliner Volksbühne führen und das volle Haus bezaubern. Dies
ist auch einer der nicht gerade zahlreichen Triumphe, auf die eine Berliner
Band verweisen kann, die das Problem, das Johnston und Darin mit sich herumschleppten,
durch einen Abwehrzauber aus der Welt geschafft hat: Die Band nennt sich nämlich
Mutter. Und ihr erstes Album warf sich mit Verve in die Pose kindlicher Reue.
Ich schäme mich Gedanken zu haben, die andere Menschen in ihrer Würde
verletzen – der seltsamste Albumtitel in der Geschichte deutschsprachiger Rockmusik
hatte für die folgende Nichtkarriere die Funktion eines FSK-Siegels: Wir
haben euch gewarnt.
Mutter
gewinnen ihre Tiefe und Intensität nicht durch Regression, sondern durch
ein lautes Insistieren auf den peinlichen wie politischen Seiten des Seelischen.
Intelligente Monumente für emotionale Dummheit. Antonia Ganz’ Dokumentarfilm
Wir
waren niemals hier
(Berlinale-Panorama) beginnt langatmig und unschlüssig, offensichtlich
in die Intimität von Backstage- und Tourbus-Situationen verliebt. Doch
dann baut sie die vier Gründer nach und nach als Figuren auf, die einen
plötzlich, ganz unabhängig von den künstlerischen Leistungen
der Band, einnehmen: ein gelegentlich als Psychopath in Splatterfilmen auftretender,
aber mit Bundesfilmpreisen ausgezeichneter Filmproduzent als Drummer, ein zeichnender
Poet und Punkfilmer als Sänger, an der Gitarre ein melancholischer Mitarbeiter
von David Lynch und schließlich ein Bassist, der als Bordellbote begonnen
hat und bis heute stolz das beste aller Punk-Pseudonyme trägt: Kerl Fieser,
seine Freunde nennen ihn Kerl. Bald überwiegt das menschliche Interesse
an dieser Männergruppe, und es wird von der Regisseurin auf einen entscheidenden
Höhepunkt gebracht, den ich noch in keiner Popmusik-Dokumentation gesehen
habe: Ein Gründungsmitglied steigt vor laufender Kamera aus. Die Männergruppe
in der Pizzeria: ratlos. Niemand erklärt diese habituellen Lakoniker besser
als Alfred Hilsberg, seit 20 Jahren Schallplattenverleger des erratischen Ensembles.
Mutter würden, seit er sie kenne, grobe, schwere Felsen produzieren, von
ihm erwarte man dann, dass er sie zum Publikum trage. An diesen Felsen hätte
auch die Regisseurin sich verhoben, wenn sie nicht die List gefunden hätte,
die Beteiligten als Spielfilmfiguren zu porträtieren.
Avantgarde
oder Hooliganismus, Dada oder HSV?
Ähnlich
war ja auch Jürgen Teipel bei seinem Doku-Roman über die deutsche
Punk-Geschichte vorgegangen. Das künstlerisch zuweilen kaum rekonstruierbare
Material wurde auf die Lebensgeschichten von prägnanten Einzelnen runtergebrochen.
Blixa Bargeld, Gabi Delgado, Jäcki Eldorado, Tommi Stumpff. Diese Methode
dreht Teipel nun in einem brillanten Filmexperiment (verschwende
deine jugend.doc [nicht
zu verwechseln mit: Verschwende
deine Jugend –
der fz-Chef], im Internationalen Forum des Jungen Films) um. Für eine nur
mit weitgehend schwarz-weißen Fotodokumenten, O-Tönen und wenigen
ungekürzten Musikbeispielen auskommende, zum Film erklärte Dia-Show
hat er sein Material neu montiert. Nun stehen nicht mehr Personen, sondern musikalische
Ideen (Kontinuität zum Glam-Rock, Frequenz der konzeptuellen Umstürze,
gezielte Unzulänglichkeiten wie absichtlich ausgesuchte schlechte Gitarren)
und gesellschaftliche Kontexte (RAF-Faszination, Hippie- und Sozialdemokraten-Hass,
Hausbesetzungen) im Vordergrund. Die zu Wort kommenden Mittvierziger sind so
engagiert wie vor einem Vierteljahrhundert, aber sie haben einen großen
Vorteil gegenüber wilden Musikern in der Blüte der Jahre: Sie können
sich artikulieren. Zwei dieser wahrhaftig stückprägenden Umstände
bleiben allerdings unerklärt:
1.
Warum schlagen sich immer alle so viel um 1980? Die Antwort: Punk war die letzte
klassenübergreifende Subkultur. Die Bürgerkinder, die hier zu Wort
kommen, und die Prolls kämpften mit Sprüchen und Fäusten damals
noch darum, was es sein soll: Avantgarde oder Hooliganismus, Dada oder HSV.
Und am besten war es, als es beides war. Wirklich verschwendet haben ihre Jugend
dabei aber nur die, die längst tot oder unumkehrbare Alkoholiker sind,
die anderen haben ihre Jugend auch in eine Karriere investiert. Heute sind sie
Künstler, Filmmusikproduzenten, Legenden oder schreiben Texte wie diesen
für Blätter wie dieses.
2.
Was sollte die ganze Apokalyptik, die Rede von Stalingrad, Weltuntergang, Katastrophenstaat?
Bilder der deutschen Vergangenheit werden projiziert auf die tatsächlich
bevorstehende Zukunft der eigenen Szene: die Regierung Kohl, das langsame Austrocknen
der Gegenkultur, das Verschwinden von Lebensformen edler Verantwortungslosigkeit
und politischer Maximalismen.
Diedrich
Diederichsen
Dieser
Artikel ist zuerst erschienen in: Die Zeit
Zu "Wir waren niemals hier" gibt es im archiv mehrere Texte
Beyond
the Sea
Deutschland
/ Großbritannien 2004 – Regie: Kevin Spacey – Darsteller: Kevin Spacey,
Kate Bosworth, John Goodman, Bob Hoskins, Greta Scacchi, Caroline Aaron – Prädikat:
besonders wertvoll – FSK: ohne Altersbeschränkung – Länge: 114 min.
– Start: 17.2.2005
Wir
waren niemals hier
Deutschland
2005 – Regie: Antonia Ganz – Darsteller: Max Müller, Frank Behnke, Kerl
Fieser, Florian Koerner von Gustorf, Tom Scheutzlich, Jörg Buttgereit,
Regina Hoppe, Françoise Cactus, Edith Müller, Diedrich Diederichsen,
Wolfgang Müller – Länge: 100 min. – Start: 20.10.2005
verschwende
deine jugend.doc
wasting
one’s youth.doc
Deutschland
2005
Buch,
Produktion: Jürgen Teipel, Sigrid Harder
Fotos:
ar/gee Gleim, Carmen Knoebel, Franz Bielmeier, George Nicolaidis, Michael von
Gimbut, Sabine Schwabroh u.v.a.
Mitwirkende:
Blixa Bargeld, Gudrun Gut, Inga Humpe, Markus Oehlen, Peter Hein, Gabi Delgado
u.v.a.
Format:
DigiBeta PAL, Farbe
Länge:
87 Minuten, 25 Bilder/Sek.
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