„Wenn
im Sommer am Neckar die Motorbooten entlang fließen…“ – Dietmar
in „Die Bettwurst“
Dietmar,
ein Hilfsarbeiter, und Luzy, eine ältere Sekretärin, begegnen sich
an einem heißen Sommertag in der Kieler Förde, und es soll für
sie eine Schicksalsbegegnung werden. Zwei einsame Menschen werden Halt bei einander
finden, wenn sie den vorschriftsmäßigen Weg über den „Tanztee“,
(„Wir werden versuchen, ob ich Sie führen kann. Dann sind Sie auf der Plattform
nicht verloren“ (Luzy) „Oh ja, das freut mich wunderbar“ (Dietmar)) den Besuch
in Luzy’s Schrebergarten und das erste Kaffetrinken bei ihr zuhause beschritten
haben. Dann wird Ihr Glück unermesslich sein: „Ich brauche dich jeden Sekunden,
jeden Sekunden, wie der Hauch des Lebens, wie die Luft, wo ich atme..“ (Dietmar);
„Du musst immer bei mir bleiben, hörst du?“ (Luzy)
Dietmar
und Luzy passen eigentlich überhaupt nicht zusammen. Er ist so schwul wie
ein Dreissigmarkschein und sie eben nicht. Aber das macht garnichts, weil „Die
Bettwurst“ Kintopp Pur ist, das heisst, so sehr Fiktion, wie kaum ein anderes
Kinostück. In diesem Film ist vom ersten Augenblick klar: Hier wird gespielt,
und zwar so, wie es die ungelernten Protagonisten eben gerade mal können
oder wissen, nämlich undifferenziert, klischee- und laienhaft. Das Schöne
ist: Sie spielen so arglos und frei von jeglicher Schauspieltechnik, dass –
was sie auch tun oder sagen – sie am allermeisten sie selbst sind – ich glaube,
so, wie es nur die in ihren engen Verhältnissen zwar eingeschränkten,
aber in dieser Einschränkung sicher aufgehobenen und ungebrochenen Menschen
der beginnenden 70-er Jahre sein konnten. Menschen vor der Deklamation einer
Postmoderne, vor der semiprofessionellen Selbstironisierung der Hausfrau, vor
der augenzwinkernden Selbststilisierung des Homosexuellen, vor der Selbstinszenierung
als Mittel zum Zweck gesellschaftlicher Anerkennung. Die Medien sind die Schauspielschule
unserer Zeitgenossen, am Beginn der Siebziger Jahre war der Fernseher gerade
mal bunt geworden, hatte zwei Kanäle, und die Kultur rührte noch vom
Volke und ein klein bisschen vom Kino her.
Deshalb
ist „Die Bettwurst“ auch sehr authentisch, authentischer, als heute irgend jemand
sein kann, weil wir unsere Identität ja mit einigen anderen diskursiv teilen
müssen, weil wir ja eigentlich nicht mehr SIND, sondern es uns schon immer
jemand im Kino oder Fernsehen oder in der Werbung vorgemacht hat, was SEIN ist
und wie SEIN zu funktionieren hat, damit der Ich-Verkauf funktioniert. Jeder
ist inzwischen seine kleine Ich-Werbeagentur.
„Ich würde mich furchtbar sehr freuen, wenn ich Sie wieder treffen könnte!“
So
vergangen, dass wir „Die Bettwurst“ nicht mehr verstehen könnten, ist sie
vielleicht noch nicht, die Spießigkeit der westdeutschen Siebziger Jahre,
die Glanzzeit des Schlagers und des Schrebergartens und des Hoover-Klopfstaubsaugers,
in dessen Funktionen Luzy ihren halb verwahrlosten Dietmar pedantisch einweist,
wie überhaupt in ihre kleine intakte Welt, die für sie bürgerlicher
Lebensstandard ist, doch für ihn die schiere Rettung bedeutet. Jedes Kissen
hat seinen Platz und „Brandlöcher haben auf dem Teppichboden nichts zu
suchen, hörst du?“ belehrt sie ihn, wie seine Mutter es vielleicht getan
hätte, wäre sie nicht zu früh gestorben. Und Dietmar fühlt
sich geborgen.
„Gegen meine Junggesellenwohnung in Berlin ist das hier direkt ein Himmelreich.“
Dietmar
und Luzy sind weitgehend sie selbst, mögen auch die Rahmenbedingungen ihrer
kleinen Geschichte von Herrn von Praunheim erdacht sein. Luzy Kryn (die Tante
von Praunheims) eine übergesiedelte Polendeutsche, die vor kurzem ihre
Mutter verloren hat und die nun sichtbar stolz auf jedes Einrichtungsstück
ihrer kleinen Wohnung der Kamera unverhohlen sich inmitten ihrer Ado-Gardinen,
ihres Schaukelstuhls, ihrer modernen Küchengeräte präsentiert,
und darüber fast vergißt, dass sie die weibliche Hauptrolle in einem
Liebesdrama zu spielen hat, guckt immer wieder in die Kamera, fragt ab und an
verstohlen, was sie nun zu tun habe, und aus dem Off erfolgt dann Praunheims
Regieanweisung. Luzy, verwachsen mit Kitsch und Plüsch und ihrer wasserstoffblonden
Perücke („Deine Haare, deine Augen, dein Körper, dein Busen: Ich liebe
alles an dir Luzy!“ – Dietmar) ist begeistert von den Statussymbolen des westlichen
Wohlstands und erfüllt von ihren traditionellen Lebensweisheiten.
Dietmar
Kracht dagegen ist ein Vollblutschauspieler, der nicht nur wie Luzy am liebsten
„Was bin ich?“(noch vor Robert Lembke) „am“ Fernseher „hört“, sondern schon
mal „Verdammt in alle Ewigkeit“ oder „Asphalt Cowboy“ im Kino gesehen hat. Dietmar
gibt für seine Rolle alles – was eigentlich immer zuviel ist. Dieses Zuviel,
ohne das „Die Bettwurst“ nicht „Die Bettwurst“ wäre. Dietmar ist der Star
des Films, mit seinen Zahnlücken, mit seinen übertriebenen, schwuchteligen
Gebärden und vor allem seiner – immer ernsthaften – Leidenschaftlichkeit.
Aber auch er ist beides gleichzeitig, seine dramatische Filmrolle und seine
echte Biografie („Ich hab’ noch nie einen richtigen Weihnachten erlebt“) ein
Heimkind mit einer typischen Heimkindkarriere, haltlos, ohne Schulabschluss
oder Ausbildung, in seiner Vergangenheit Zuflucht suchend bei „schweren Jungs“
und „leichten Mädchen“, wegen seiner gutmütigen Naivität ausgenutzt
und „abgerutscht“ ins Kriminellenmilieu, inklusive Knastaufenthalt. Dietmar
übertrifft Luzys Liebe zum Kitsch sogar, wenn er ihr einen textilen Wandbehang
mit dem Brustbild einer Animierdame zum Geschenk macht.
So
wie hier zwei Personen, die offenbar vor den Dreharbeiten wenig miteinander
zu tun hatten, zu einander hin inszeniert werden, treffen auch ihre beiden Lebensgeschichten
im Film zusammen, ohne dass man plötzlich unterscheiden kann, welcher plot
hier noch in einem Drehbuch stand und welcher aus ihren Persönlichkeiten
heraus eine ganz eigene, natürliche Dynamik und Geschichte entwickelt.
Denn durch ihre gestalterischen Freiheiten werden Luzy und Dietmar zu Machern
eines „authentischen“ Films, weil dessen Geschichte beider Leben (oder das,
was beide für ihre Biografie halten) schrieb und weil sich diese Biografien
in ihren, auch den von ihnen gespielten, Charakteren manifestieren. Und sie
verschmelzen vor der Kamera ihre Erfahrungen, ihre Sehnsüchte, ihre unreflektierten
Werte und Normen mit fiktiven Vorbildern und Liebesgeschichten-Klischees. Schliesslich
wird aus beidem ein Film: Aus dem Kitschroman vom Glück und dem realen
Leben in der BRD Anfang der 70er.
Das
macht „Die Bettwurst“ zu einem – sieht man einmal von reinen Dokumentarfilmen
ab – der seltenen (bundesrepublikanischen) Spielfilm-Zeugnisse privater, aber
einzigartigerweise auch überhaupt kleinbürgerlicher Verhältnisse
und Vorstellungen,- eigentlich in seiner Art nur vergleichbar mit Fassbinders
„Warum
läuft Herr R. Amok?“
von 1969 und mit dem 1970 von einem Frankfurter Autorenkollektiv produzierten
„Zwickel
auf Bizyckel“,
welcher erst 1998 fertiggestellt wurde und in die Kinos kam.Bemerkenswert ist,
dass alle drei Filme innerhalb von drei Jahren entstanden.
Erst
der 2001 von Ulrich Seidl in Österreich gedrehte Film „Hundstage“,
worin Laiendarstellern ein ähnlich großer Freiraum für Improvisationen
gelassen wurde, arbeitet wieder mit dieser lebensnahen Integration des Privatesten
der Darsteller in den Film.
Die
„Bettwurst“ um die es sich hier dreht, ist übrigens ein wurstförmiges
Nackenstützkissen, das Dietmar von seiner Luzy zu Weihnachten geschenkt
bekommt, und eben eines der vielen nützlichen und geschmacklosen Accessoires,
die die Ordnung dieser betulichen zweisamen kleinen Welt zum „Himmelreich“ werden
lassen.
„Das erste Mal, wo ich jetzt so richtig glücklich bin: So eine nette Frau, und so eine warmherzige, warmblütige Frau.“
Luzy
und Dietmar sind unaussprechlich peinlich und unfreiwillig komisch – was nicht
wenig zum allgemeinen Erfolg der „Bettwurst“, Praunheims viertem und bis heute
(neben „Nicht der Homosexuelle ist pervers, sondern die Situation, in der er
lebt“ (1971)) bekanntestem Film beigetragen haben mag. Und doch stellt der Film
seine Darsteller nicht bloß. Er denunziert sie nicht. Er nimmt an ihnen
und ihren geschmacklichen Perversionen (fast masochistischen) Anteil und nimmt
sie in jeder Beziehung ernst, weil sich auch von Praunheim wirklich gnadenlos
und restlos für Luzy und Dietmar interessiert. Jedenfalls hat den beiden
die allseits gelobte Uraufführung im ZDF 1971 nicht den Spaß an ihrer
„Bettwurst“ verdorben, denn in von Praunheims „Berliner
Bettwurst“
erfuhr die Geschichte von Dietmar und Luzy 1974 eine Fortsetzung. Und das Progressive
Rock-Konzeptalbum zum Film gibt es seit dem Jahr 2000 endlich auch: Inquire:
„The Neck Pillow“.
Andreas
Thomas,
17.3.2003
Dieser
Text ist nur in der filmzentrale erschienen.
Zu diesem Film gibt’s im archiv der filmzentrale mehrere Texte
BRD
1971, 16mm, Farbe, 78 Min.
Regie,
Buch, Kamera: Rosa von Praunheim
Schnitt:
Rosa von Praunheim, Gisela Bienert, Bernd Upnmoor.
Darsteller:
Luzy Kryn, Dietmar Kracht, Steven Adamczewski
Auf DVD ist "Die Bettwurst" zusammen mit dem Sequel "Berliner Bettwurst" erhältlich bei: AbsolutMedien