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Die Bettlektüre – The Pillow Book

 

Geschlecht als Medium – Symbolismus und kein Ende

 

Peter Greenaway hat mit “The Pillow Book” einen weiteren Film über

Mythen und das Fazinosum in der Kunst für sein Publikum gedreht. Er

bediente sich dabei erneut des klassischen Symbolismus und

vergeistigter Rollenstereotype. Eine allgemeine Betrachtung zu den

Filmen von Peter Greenaway anhand von “The Pillow Book”.

 

Es wird sein, es wird nicht sein…Jeki-Bud, Jeki Na Bud.

(Märchenbeginn im Persischen)

 

Eines Tages schreibt in Kyoto ein Kalligraph seiner Tochter die Gechichte der Schöpfung auf das Gesicht: Die Schöpfung malte dem Klumpen Nase, Mund, Augen und das Geschlecht auf. So kamen Frau und Mann in die Welt.

Filmdialog

 

In jedem Jahr wiederholt sich für Nagiko dieselbe Zeremonie mit ihrem Vater – solange bis sie als Frau in die Welt zu treten hat und Japan verlässt. Sie sucht die Fortsetzung der Zeremonie, ihre erotische Obsession fixiert sich auf die Bemalung ihres Körpers durch kundige Kalligraphen. Keiner befriedigt sie jedoch langfristig – keine Verbindung währt länger als der Akt des Beschrieben werdens und des anschliessenden Sex, zudem sich Nagiko als Belohnung zur Verfügung stellt. Mit dabei auf ihrer Odysee hat sie ihr “Pillow Book”, ein Buch, in dem sie ihre Eindrücke vom Leben fixiert, und das “Pillow Book” einer Prinzessin, die tausend Jahre vor ihr den Freuden der Beobachtung und des Schreibens fröhnte.

 

Wie die Prinzessin lebt Nagiko als öffentliche, in Besitz genommene Frau: Nagiko ist Modell, die Prinzessin Eigentum eines Herrscherhauses. Jerome, der Übersetzer, der Mann, der im Besitz der Sprachen und ihrer Zeichen ist, wird zum Ersten, der in Nagiko die Lust an einem langfristigen Liebhaber und am eigenen Schreiben auf einem anderen Körper weckt. Das Gemeinsame entgleitet ihnen, sie verlieren sich im Spiel der Intrige und der Eifersucht. Jerome stirbt und wird vom Feind Nagikos, einem schwulen Verleger, gehäutet, um an die einzigartigen Kalligraphien auf seinem Körper zu gelangen. Nagiko zelebriert ihre Rache, tötet den Feind durch dessen Gier nach neuen Geschichten und des Rätsels Lösung nach der Herkunft der Kalligraphien auf der Haut der ihm zugesandten Männer. Schliesslich erhält sie das Pillow Book – die Haut des Geliebten – zurück und verschwindet, zur Mutter geworden, aus der Geschichte.

 

Greenaways Inszenierungen stilisieren Mythologien um dem Wahrscheinlichen näher zu kommen. Er bedient sich dabei einer traditionell britischen, “antinaturalistischen” Ästhetik, in der immer wieder Versatzstücke aus Märchen und alten Glaubensbekenntnissen verwendet werden, um eine zweite Erzählebene, die der inneren menschlichen Wahrheiten, miteinzubeziehen. Greenaways Inszenierungen berufen sich auf den Symbolismus des 18. Jahrhunderts, der sich in England als Gegenbewegung zum Naturalismus vor allem in der Malerei wiederspiegelte. Um die Epochen der Malerei und das Verhältnis des Menschen zu den Künsten rankt sich Greenaways gesamtes Werk. Das dramaturgische Instrument Greenaways zur Annäherung an seine Kunstbetrachtungen ist die Erotik. Dabei weist Greenaway jedem Geschlecht eine spezifische Rolle zu. Frauenfiguren werden zwar bei Greenaway zentral inszeniert, bleiben aber auf das passiv Vermittelnde als Medium begrenzt. Männer forschen aktiv durch die Frau an ihrem Forschungsgegenstand: dem Wesen der Kunst.

 

In “A Zed with two Notes” will der Mann durch Verstümmelung des Körpers der Frau an das Geheimnis der Frauen im Werk Vanmeers gelangen. In “The Belly of an Architect” verwirklicht der Mann durch die Schwangerschaft der Frau seinen wuchtigen Palast. Der tote Liebhaber auf dem Restauranttisch in “The Cook, the Thief..” erinnert in Aufbahrung und Garnierung an die Sezierungsdarstellungen der mit sich ringenden Aufklärung – der Körper wird geöffnet, um nachzusehen wo die Seele hockt. Der Kannibalismus in “The Cook, the Thief..”, ist wie die Häutung des Jerome in “The Pillow Book” eine fetischistische Methode, den begehrten Gegenstand – die Seele, das Wissen – zu transzendieren, indem er einverleibt wird.

 

In “The Pillow Book” taucht nur vordergründig eine kleine Neuerung in dieser Rollenverteilung Greenaways auf. Erstmals steht eine Frau als tragender Charakter im Mittelpunkt der Geschehnisse und ist es eine Frau, die Kunst – aber nur die des Schreibens von Zeichen – begehrt.

Das Einverleiben, das Transzendieren des Geheimnisses aber ist nicht ihre Sache. Später wird sie als Aktive aus der Geschichte gedrängt. Ein Mann entwendet ihr das Kunstwerk, den Fetisch, mit dem sie nichts Transzendierendes anfangen kann. Der Mann bleibt alleiniger Forscher nach den Geheimnissen, als Wissenschaftler, Philosoph oder Künstler. Das zurückerhaltene Pillow Book vergräbt die Frau und wendet sich stattdessen einem Kind zu.

 

Eine tatsächliche Neuerung in der Inszenierung ist Greenaways dramaturgischer Einsatz digitaler Filmtechnik. Bild-in-Bild Sequenzen splitten das Leinwandbild auf, um mehrere Zeitebenen zusammenführen zu können. Das bringt in einem begrenzten Rahmen ein wenig Dynamik in Greenaways ansonsten statische Inszenierungsmethode. Das typische “Mise en Scene” ist sowohl von der Gegenwartskunst mit ihrer Installationsbegeisterung, als auch von alten, von den kolonialisierenden Engländern importierten asiatischen Darstellungen von Bordellen und Sexpositionen entlehnt.

 

In “The Pillow Book” verzichtet Greenaway zugunsten der Stilisierung vollkommen auf seine ohnehin schon immer sehr dürftig einbezogenen Einlagen bezüglich der gesellschaftspolitischen Interaktion von Sex, Kunst und Geld. Gelungen ist ihm mit Einbeziehung digitaler Filmtechnik ein elegantes Werk, das aber nicht mehr ist als sein übliches reines Zitatenkonstrukt. Seine Kunst beruft sich auf den Symbolismus nicht zur Aufhebung sondern zur Vermeidung von abhängigen inneren Realitäten. Eine Seele wird dadurch nicht sichtbar – aber in Bildern ist sowieso nur das zu sehen, was der Betrachter wahrnehmen will. Wahrscheinlich hockt in keinem einzigen Bild eine Seele drin.

 

Kirsten Roya Jakoby 17.12.1996

 

Dieser Text ist zuerst erschienen bei:  telepolis

 

Die Bettlektüre

(The Pillow Book)

Credits: UK, 1995 Regie: Peter Greenaway Darsteller: Vivian Wu, Ewan

McGregor, Yoshi Oida u.a.

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