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Better
Than Chocolate
Das
süße Nichts
An dieser Stelle ist ein Lamento über das lesbische Kino der frühen neunziger Jahre angebracht: Einst mögen Filme wie „Better Than Chocolate“ befreiend und radikal gewirkt haben, inzwischen sind sie kaum noch zu ertragen. Die Zeit ist eben ungnädig gegenüber manchen Filmen.
Um Anne Wheelers wahrlich übersüßte Lesben-Romanze in einen historischen Kontext zu stellen, muss man früher ansetzen: Die hinreißende Dokumentation „The Celluloid Closet“ von Rob Epstein und Jeffrey Friedman schilderte ganz treffend den schweren Stand, den homosexuelle Figuren im amerikanischen Unterhaltungsfilm seit Kriegsende hatten. Während im britischen Kino (und im kontinentaleuropäischen sowieso) schon seit den siebziger Jahren offensiv und zunehmend unverkrampft mit dem Thema umgegangen wurde, waren die einzigen schwulen und lesbischen Charaktere in Hollywood, sofern sie nach jahrzehntem Stillschweigen überhaupt auftauchten, bis tief in die achtziger Jahre hinein zum reuevollen Leinwandtod verdammt, entweder durch Selbstmord oder durch gesellschaftliche Bestrafung für ihre Andersartigkeit. Anfang der Neunziger, mit der einsetzenden Independent-Bewegung, wendete sich dann das Blatt – und wurde in die Gegenrichtung überdreht. Vor allem kanadische Filme dieser Zeit, wie Patricia Rozemas „When Night Is Falling“ oder eben „Better Than Chocolate“, feiern in leicht konsumierbaren Geschichten mal humoriger, mal dramatischer das Coming Out meist weiblicher homosexueller Figuren.
Dabei wird ein immergleiches Strickmuster angewandt: Eine junge und attraktive Frau entdeckt ihre Liebe für andere Frauen, findet eine perfekte Partnerin, meist eine schon erfahrenere und daher burschikosere und offensivere Lesbe, die sie in die Kunst des Frauenliebens einführt. Das beginnt dann meist irgendwie kreativ und spielerisch, mit Körperfarbe oder exotischem Tanz, was dann wiederum zu minutenlangem Petting führt, wie es im modernen Nicht-Porno eigentlich schon gar nicht mehr möglich schien. Nach einer ganzen Reihe solcher Softsex-Einlagen, in denen männliche wie weibliche Zuschauer sich von der harmlosen Freundlichkeit lesbischen Geschlechtsverkehrs überzeugen und sich zugleich ein wenig daran weiden dürfen, fällt irgendwem auf, dass die Hauptperson noch nicht offiziell „out“ ist, und es entsteht ein Streit über Selbst-Anerkennung. Das geht dann fast bis zur Trennung, erst in letzter Sekunde besinnt sich jeder, wie wunderbar diese Liebe ist: Die resignierte Partnerin kehrt zur Hauptperson zurück, die sich inzwischen geoutet hat – und natürlich erleichtert feststellt, dass es gar keinen Aufschrei in ihrer Familie / an ihrem Arbeitsplatz / in ihrer Religionsgruppe gibt.
Dieses konfliktarme Setting, in dem eigentlich jeder jeden lieb hat und niemand irgend ein Problem, findet man in „Better Than Chocolate“ geradezu in Reinform – die Geschichte ist reine Blaupause, die Charaktere bleiben blanke Klischees, die ja niemandem wehtun wollen. Und natürlich findet sich am Ende noch für jedes trans-, homo- oder omnisexuelle Töpfchen irgendein liebevolles Deckelchen und für die allesamt irgendwie verklemmten Heten gibt es wenigstens sexuelle Befreiung mit Hilfe batteriebetriebener Stimulanzmaschinen.
Bei der jungen und attraktiven Maggie (spritzig, aber harmlos verkörpert von Karyn Dwyer) ist es die Familie, vor der sie ihre sexuellen Neigungen verheimlichen will, während sie heimlicherweise mit der burschikosen Künstlerin Kim (Christina Cox) stundenlange Blümchensex-Eskapaden zu leise säuselnder Lilith-Fair-Musik hat. Selbst der geduldigste Zuschauer sehnt sich während solch endloser Knutschereien nach einer wenigstens rudimentären Form von Plot, Konflikt oder wenigstens Narration. Zugleich verärgert die Über-Ästhetisierung des lesbischen Geschlechtsaktes wegen der offensichtlichen Ungleichheit: Eine ähnliche Darstellung männlicher Homosexualität ist bis heute praktisch undenkbar. Dafür kann „Better Than Chocolate“ natürlich nichts, der Film ist mehr Symptom als Ursache eines ästhetischen Ungleichgewichts der gesellschaftlichen Aufklärung.
Selbstverständlich darf man die wichtige historische Vorreiterrolle von Filmen wie diesem nicht unter den Tisch kehren. Man darf aber auch nicht vergessen, dass der lesbische Film sowohl narrativ als auch ästhetisch erst dann eine wirklich annehmbare Qualität fand, als die Filmemacherinnen und Filmemacher Ende der Neunziger die oben vorgezeichnete Standard-Geschichte zwar als Prämisse übernahmen, aber in komplett andere Richtungen vorantrieben: „High Art“ von Lisa Cholodenko machte erstmals deutlich, dass dieser zuckrige Ansatz durchaus auch in der Tragödie enden kann, „Bound“ von den Wachowskis transformierte die gleiche harmlose Geschichte auf halbem Wege in einen hundsgemeinen Reißer um Geld und Macht, und „Kissing Jessica Stein“ von Charles Herman-Wurmfeld wagte es erstmals, wahre sexuelle Freiheit zu propagieren, indem die Titelheldin sexuell nach dem Coming-Out auch ein Coming-In-Again (als sogenannte „has-bean“) haben darf, ohne als rückschrittlich abgestempelt zu werden. Das liberale „anything goes“, von dem die Vorreiterfilme träumten, ist inzwischen viel besser vertreten, als man es sich in der Phase des Schwarzweiß-Denkens Anfang der Neunziger anscheinend auch nur vorstellen mochte.
Was aber nun anfangen mit Filmen wie „Better Than Chocolate“ oder dem ähnlich süßlichen, aber deutlich besser gespielten „When Night Is Falling“? Bei Wieder-Ansicht erschreckt gerade bei ersterem Film nicht nur die einfallslose Kamera, sondern auch die handwerkliche Unausgewogenheit ausgerechnet in Szenen der absichtlichen Über-Ästhetisierung und ein teils lustloses Agieren der Schauspieler. Hauptproblem aber bleibt natürlich das grausig naive Drehbuch von Peggy Thompson: Die Titelthese, dass Sex besser sei als Schokolade, wird hier bis weit über die Magenverstimmung hinaus übertrieben.
Daniel Bickermann
Better than Chocolate
Kanada
1998.
R: Anne Wheeler. B: Peggy Thompson. K: Gregory Middleton. S: Alison Grace. M:
Graeme Coleman. D: Wendy Crewson, Karyn Dwyer, Christina Cox, Ann-Marie MacDonald,
Peter Outerbridge u.a. 90 Min.
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