zur startseite

zum archiv

Beruf: Reporter

David Locke (Jack Nicholson) ist ein britischer Fernsehreporter, der in der Sahara immer weniger von dem erreicht, was sein Beruf ihm vorschreibt: dokumentarische Bilder vom Krieg zwischen Rebellen und Regierungssoldaten in dieser Region Afrikas zu finden. Seine Methoden führen in die Irre. Er glaubt, Vertrauen über Zigarettenspenden zu erkaufen, aber sein einheimischer Führer zeigt ihm dafür undefinierbare Karawanen am Horizont und verschwindet. Lockes Landrover bleibt in den Sanddünen stecken, er kann sich allein nicht helfen, ein einsamer Kamel-Reiter zieht unbeeindruckt vorüber.

 

Zu Fuß und dem Verdursten nah zurückgekehrt in sein Quartier in einer abweisend stillen Wüstenstadt, läßt ihn der Zivilisationskomfort des kleinen Hotels im Stich: Locke findet Kakerlaken, aber keine Seife in der Dusche und wendet sich an seinen Zimmernachbarn. Er findet ihn tot auf dem Bett liegen.

 

Locke nutzt die Chance und steigt in das Leben dieses ihm kaum bekannten Mannes um. Seine äußere Ähnlichkeit mit dem britischen Geschäftsmann scheint den Tausch zu erleichtern. Er wechselt das Bild im Paß des Fremden gegen seines aus, nimmt dessen Terminkalender mit verschlüsselten Botschaften – Daten, Namen, Ortsangaben – an sich, schleift den Toten in sein Zimmer und gibt sich selbst als Robertson aus, der David Locke für verstorben erklärt.

 

Sein neues Leben wiederholt auf einer anderen Ebene kaum greifbarer Realität die fatale Zirkelbewegung des alten. Beim Versuch, Robertsons Terminkalender einzuhalten und sich ein Bild von seiner Funktion zu machen, gerät seine Reise über London, München, Barcelona und zuletzt durch ein Spanien, das Afrika immer ähnlicher wird, zu einer doppelten Flucht. Afrika holt Locke in Europa ein: aus Robertsons Verabredungen läßt sich folgern, daß er in der Wüstenstadt Waffenverkäufe an die Guerilla vorbereitete. Deren Agenten stellen Locke in München und kaufen ihm Papiere aus der Hinterlassenschaft ab, die in einem Gepäckfach am Flughafen deponiert waren. Locke besaß zwar den Schlüssel dazu, aber keine Kenntnisse über ihre Bedeutung. Der Rollentausch funktioniert, Locke wird für Robertson gehalten und handelt sich auch einen Gruß an »Daisy« ein, ein weiterer Hinweis auf ein im Notizbuch vermerktes Treffen in Spanien.

 

Die Logik von Zusammenhängen, nach denen Robertsons Geschäfte ihn auch mit Guerilla-Gegnern in Kontakt bringen oder deren Verfolgung aussetzen – der Gruß also eine Warnung ausspricht -, ist aus Fragmenten rekonstruierbar, die aber unabhängig, wie jenseits von Lockes Wahrnehmungshorizont in Rückblenden und Vorblenden erzählt sind. Der Film bricht die Muster einer linearen Fiktion.

 

Die Afrikaner, die Locke seit der Rückkehr nach Europa observieren, sind ununterscheidbar, – die Situationen geben ihr Geheimnis nicht preis. Der unsichtbare Hintergrund seiner neuen Existenz und die Tatsache der Verfolgung zwingen Locke auf die Reise, die aber nie zweckbestimmte Erkundung und Aufklärung wird, sondern in Momente zerfällt, in denen Locke beobachtet wird und beobachtet. 

 

Die doppelte Thriller-Motivik – Identitätstausch und Agentengeschäfte – ist zu einer Geschichte von Blockierungen und Deformationen verschachtelt. Lockes Handlungsspielräume und Erfahrungen erschöpfen sich im Zuschauen, ohne fixieren zu können. Die neue Rolle wird nie zur neuen Identität. Die geheimnisvolle Gefahr von außen vergrößert nur das Bild eines Mannes, der ständig neben sich steht und die Ereignisse wahrnimmt, die sein Verschwinden/Auftauchen auslöst. Es ist die einzige Erlebnisform, die ihm bleibt. In London, dem ersten Stop, beobachten Afrikaner Locke, wie er ein Haus beobachtet, das erst später in Rückblenden als seines zu erkennen ist. Er geht seiner Frau Rachel (Jenny Runacre) aus dem Weg, der Identitätstausch bedeutet auch die Trennung von ihr.

In Barcelona begegnet Locke seinem Kollegen Martin Knight (Ian Hendry), der informiert Rachel und löst ihre persönlichen Nachforschungen in Spanien aus. Locke flüchtet vor ihr, als er sie in der Telefonkabine seines Hotels bemerkt. Es gibt keine direkte Begegnung zwischen ihnen, am Ende erkennt sie den toten Locke nicht wieder.

 

Diese Frauenfigur ist – umgekehrt analog zu den Frauen früherer Antonioni-Filme – integriert in die Ordnung technisch pragmatischer Realität. Sie macht sich ein Bild von Lockes Leben in Afrika, indem sie seine Filme – Fragmente zunehmender Sprachlosigkeit, Teile seines nicht realisierten Dokumentarfilms – in einem Fernsehstudio sichtet und mit diesem Material über die Umstände des Todes spekuliert. Ihr Freund Stephen (Stephen Berkoff) kommentiert: »Wenn du dich anstrengst, kannst du ihn vielleicht neu erfinden Sie setzt die Maßstäbe für Reporter-Qualitäten, die Logik von Frage und Antwort, Recherche und Ergebnis als subjektive Norm. Eine Rückblende zeigt, wie sie Locke kritisiert, weil er in einem Interview nicht beharrlich genug nachgefragt habe. Sie schaltet die Polizei ein, um das Rätsel des Verschwundenen zu lösen, ihre Suche ist eine Verfolgung, und Locke und Robertson sind darin austauschbare Objekte. Der Film demonstriert ihren pragmatischen Realismus, indem er ihre Aktivität ins Leere laufend zeigt: sie kommt zu spät, aber das entgeht ihr, weil sie einem Phantom nachspürte.

 

Eine andere Frau (Maria Schneider) kreuzt Lockes Weg. Sie ist die Gegenfigur zu Rachel. Namenlos tritt sie in den Film ein als Deja-Vu, ohne eigene Geschichte, einfach anwesend. Im Bloomsbury-Center in London, wo Locke über Rolltreppen von Etage zu Etage ziellos die neon-kühl ausgeleuchteten Geschäfts-Areale durchstreift, bleibt sein Blick an der Vorübergehenden hängen. In der Rundbogen-Architektur Gaudis, auf der Dachterrasse des Milá-Hotels in Barcelona, ist sie plötzlich da, eine Phantasie-Gestalt, autonom und bewegungsfrei.

 

Beide Orte zeigen Locke in Situationen, an denen er wie aus dem Handlungszusammenhang hinauskatapultiert ist. Die so unterschiedlich zeichenüberladenen Schauplätze werden nicht zur Szenerie eines Helden. Jack Nicholson bewegt sich darin langsam mit einem unauflösbaren Gestus von Langeweile und Gespanntheit.

 

Das Mädchen hilft Locke auf der Flucht vor Martin Knight, Rachel und der Polizei, schafft sein Gepäck aus dem Hotel, macht keinen Unterschied zwischen seiner Vergangenheit und Gegenwart, begleitet ihn auf der Reise zu dem »Daisy«-Geheimnis, hört zu. Einmal sieht man das Paar aus großer Entfernung, wie es in dem weiten maurischen Prachtbau eines Hotels umhergeht und später zusammen auf dem Bett liegt. Beide scheinen verschluckt von den rot, braun und golden glühenden Dekors, die ein Moment stillstehender Zeit ausstrahlen.

 

Am Eingang des Dorfes, wo im »Hotel del la Gloria« das Treffen mit »Daisy« stattfinden soll, bittet Locke sie zu gehen. Sie steigt in einen Bus, der in der Mittagshitze hinter einem weißen Kreidefelsen auftaucht. Lockes Situation erinnert an die Anfangsszene in der Wüste: das kahle Außen spiegelt nichts wieder, worin sich dieser Mann bestätigt finden könnte. Er ist um eine Spirale seinem Ende näher.

 

Das Mädchen ist im Hotel des Dorfes doch wieder bei ihm. Seine Rolle wirkt wie das Zitat eines Kino-Engels aus den Zwischenräumen von Realität und Traum. Es lebt in den Momenten mit Locke, bleibt abstrakter Entwurf unmittelbarer Sinnlichkeit. Maria Schneiders Anteil an den Flucht-Aktionen ist physische Unterstützung, die ohne Sprache auskommt. In den Gesprächen ist sie Medium für Lockes indirekte Selbst-Verweise. Einmal setzt er an zu erklären, warum er vor seiner Frau und den Fernsehbossen flüchtet; sie meint dazu gelassen: »Jeden Tag verschwinden Leute«, er bemerkt: »Jedesmal wenn sie aus dem Zimmer gehen Am Ende, im Hotelzimmer, schaut sie in den Spiegel und aus dem Fenster.

 

Locke fragt sie mehrmals, was sie sehen kann, während er sich müde aufs Bett legt und die Geschichte eines Blinden erzählt, der erst als erwachsener Mann durch eine Operation die Sehkraft erhält und von den Eindrücken so schockiert wird, daß er sich in ein abgedunkeltes Zimmer zurückzieht und nach einiger Zeit Selbstmord begeht.

 

Die Dialoge zwischen Locke und dem Mädchen binden die auseinandertreibende Dramaturgie der mysteriösen Doppel-Verfolgung nicht. Es gibt keine Komplizenschaft gemeinsamen Wissens zwischen ihnen. Lange Passagen des Films konzentrieren sich dialoglos auf eine Geräusch-Komposition, die aus den akustischen Räumen der Landschaften, Städte, Häuser aufsteigt. Sie erweitern die Suggestionskraft der Bilder auf das, was außerhalb der Cadrage liegt. Die Dialoge sind so eher Bildunterschriften zur visuellen Film-Sprache, die mit schweifenden Kamera-Bewegungen (unabhängig von der Funktion, entfernt liegende Handlungselemente im Mise-en-Scene zusammenzuführen), in komplexen Montagen und Reportage-Zitaten den Helden demontiert, ihn als Mittelpunkt der Ereignisse zum Verschwinden bringt. Das Thema von PROFESSIONE: REPORTER (BERUF: REPORTER)verschiebt sich vom Action-Sujet in einen filmischen Versuch über die Kraft und Grenzen von Bild/Eindrücken.

 

Die beiden Dialogszenen des Reporters mit dem Mädchen kommentieren abstrakt die zentrale Erfahrung, daß die Phänomene nachwirken, wenn sie aus dem Gesichtskreis verschwunden sind. An der Leerstelle entsteht eine – auch zerstörerische – Kraft, die den Wunsch nach Kohärenz ausdrückt, nach Übereinstimmung zwischen äußerer und innerer Wirklichkeit. Aber die Bilder geben für sich allein keine Erklärung, stellen Realität nicht zur Verfügung. Die komplexen optischen und akustischen Erzählmittel von PROFESSIONE: REPORTER wenden die Motive des Verschwindens, der Doppelungen von Realität und Realitätsinszenierungen und des Identifikationsverlustes der Hauptfigur und geben diesem elementaren Wunsch nach Kohärenz plastische Imaginationskraft. Der Film versucht, was Lockes Autismus und die bloße Abbild-Fixierung der Fernseh-Reporter Rachel und Knight nicht schaffen: aus dem Beobachten, dem Abschweifen, dem Hören, – das die Seherfahrung komplettiert -, Realitätserfahrung als Prozeß einer schwierigen Spurensuche zu beschreiben.

 

Während des ersten der beiden Dialoge sitzen Locke und das Mädchen vor einem Straßencafe irgendwo auf dem Land, aber die Weite ist nur hörbar als atmosphärischer Raum. Die Aussicht ist versperrt durch Wände aus aufeinandergestapelten, grellbunten Cola-Kisten. Wenn Locke die Geschichte von dem Blinden erzählt, ist auch seine Geschichte fast zu Ende. Er zieht sich aufs Bett zurück, während das Mädchen schaut, auf die Zufallsmomente draußen achtet. Das schmale Hotelzimmer ist fast ganz ausgefüllt von einem Bett, einem Schrank und einem Waschbecken. Die bunten Muster auf Tapeten und Bettdecke engen den Blick zusätzlich ein. Einzige Ausflucht ist das Fenster, hinter dessen Gitter ein weiter leerer Platz in der grellen Sonne zu sehen ist, begrenzt von der weißen Mauer einer Stierkampfarena. Eine untergründige Spannung entsteht, weil Außen und Innen wie zwei gegensätzliche Interieurs aufeinander bezogen sind. Die Szenerie ist eine stille Schock-Montage, sie repräsentiert Lockes Abgeschlossenheit und geht zugleich nicht darin auf, anthropozentrisch die subjektive Befindlichkeit zu spiegeln. Zusätzlicher Kontrast in den surrealen Versatzstücken ist ein Phantasie-Objekt über dem Bett: ein kitschiges Landschaftspanorama mit einem See.

 

Die sieben Minuten lange Schlußsequenz des Films verbindet beide Räume, zieht mit einer aufnahmetechnischen Innovation eine Kreisbahn von Locke fort und zu ihm zurück. Sein Tod als Schlußpunkt einer außergewöhnlichen Geschichte geht auf in den Zufalls-Ereignissen draußen, geschieht außerhalb des Kamera-Blickwinkels und ist doch in den Zeichen enthalten.

 

Technik zur Reproduktion von Wirklichkeitsausschnitten ist bei Antonioni nie dichotomisch getrennt in Instrumentarien des Realitäts-Ersatzes und in Gestaltungsmittel reiner Imagination. Wie die Fotographie in BLOW-UP nutzt er in PROFESSIONE: REPORTER die Fernseh-Dokumente, um die Grenzen ihrer Aussagekraft neu zu definieren, freilich nicht reflektiert im Bewußtsein der dargestellten Personen, sondern als deren Erlebnisform.

 

Zu Beginn von PROFESSIONE: REPORTER ist einmal auch ein Tondokument das Bindeglied zwischen Realität und Imagination. Locke läßt ein Tonbandgerät laufen, während er in Robertsons Zimmer sein Bild in den fremden Paß montiert. Man hört ein Gespräch zwischen den beiden, die Kamera bewegt sich fort von dem Gerät, über Lockes Rücken hinweg zum Fenster, in dessen Rahmen dann die Rückblende der Gesprächssituation erscheint. Die Männer stehen auf der Terrasse des Wüstenhotels, Locke will wissen, wie man es schafft, das Vertrauen der Afrikaner zu bekommen, Robertson bezweifelt, daß dieser Anspruch realitätstüchtig ist, weil er den Gegensatz der Kulturen überspielt.

 

Die Dokumentariilmfragmente innerhalb des Films sind hart geschnittene Sprünge in Lockes Vorgeschichte. Sie werden so montiert, daß sie Abbilder seiner Erinnerungen sein könnten an Leerstellen der Handlung (wenn Locke z. B. mit einem alten Mann in einem Park in Barcelona zusammensitzt.) Und sie sind Rachels Form, sich ihren Mann ins Gedächtnis zu rufen. Die Ausschnitte zeigen mehr als nur Indizien eines persönlichen Orientierungsverlustes, sie dokumentieren Realitätsinszenierungen, die schockierend aufbrechen. Der erste ist ein Interview mit einem Guerillaführer, der eine undurchdringliche Fassade der Selbstdarstellung präsentiert, ein Medienbewußtsein. Die Bilder der Hinrichtung eines jungen Unabhängigkeitskämpfers stehen in krassem Kontrast dazu. Das Erschießungskommando marschiert auf wie zu einer rituellen Zeremonie, verbannt aber nicht die Brutalität, das qualvoll langsame Sterben des Mannes aus den Bildern. Ein dritter Ausschnitt beginnt wie das live-Erlebnis einer vor der Präsenzebene des Films liegenden Situation und schrumpft von der Rückblende in ein Monitor-Bild vor Rachel im Fernsehstudio. Locke versucht einen afrikanischen Zauberer zu befragen, die Kamera nähert sich dem im Schatten sitzenden Alten, man hört ihr Laufgeräusch. Der Alte wehrt Lockes Insistieren ab mit einer Bemerkung, die sich auf sein Reporter-Verhalten und sein lineares Sprachverständnis bezieht. Er beschreibt die Sprache als Kommunikation, bei der der Sender vom Empfänger seine eigene Botschaft in umgekehrter Form empfängt. Die Kamera weicht zurück, Lockes irritiertes Gesicht kommt ins Bild, er macht Zeichen, die Aufnahmen abzubrechen.

 

Diese Bruchstücke eines nicht realisierten Projekts erscheinen Rachel als nicht entzifferbare Spur; bald gibt sie es auf, das Rätsel zu lösen und versucht den Doppelgänger oder Wiederaufgetauchten persönlich ausfindig zu machen. Die komplexe Konstruktion ineinandergeschobener Zeit- und Wahrnehmungsebenen verhindert, daß ein Fragment über andere dominiert und zum Interpretationsschlüssel wird.

 

In München leiht sich Locke ein Auto. Er fährt durch die Stadt, die Kamera verläßt seine Blick-Perspektive und zeigt die vorüberziehende Straße. Eine weiße Hochzeitskutsche kommt ins Bild, Locke folgt ihr ein Stück. Dann geht er über einen Friedhof, man hört Gebete aus der nahen Kirche. Die Assoziation einer Beerdigung – symbolischer Fingerzeig auf Lockes Tod, der sich in der eingetauschten Rolle Robertsons am Ende wiederholt – löst sich auf, wenn die Kutsche mit dem Brautpaar vor der Barockkirche vorfährt. Locke beobachtet die Zeremonie, bis die Gesellschaft die Kirche verläßt, bleibt allein in einer hinteren Bank zurück. Eine imitierende Rückblende zeigt ihn mit Rachel im Garten ihres Hauses in London, der Moment von Gemeinsamkeit zerbricht, wenn Rachel ins Haus zurückgeht und nur das Bild des leeren Rasens bleibt. Locke wird in der Kirche von den zwei Afrikanern, die ihn zuvor observiert hatten, angesprochen, erscheint wie eingeschlossen von ihren Schultern, gibt ihnen die Papiere aus dem Gepäckfach. Das Geschäft zwischen den fremden Partnern spielt sich in den warmen Lichtfeldern im Mittelgang der Kirche ab. Die Afrikaner geben Locke den mysteriösen Gruß an »Daisy« auf, antworten nicht auf seine Nachfrage, er bleibt allein zurück. Man sieht Rachel in London, – in diesem Fragment der Parallelhandlung sieht sie sich das Interview mit dem Guerillaführer an. Es folgt ein Partikel ihrer Erinnerung oder eine Vorblende, die Szene eines kurzen Treffens zwischen ihr und einem Afrikaner, ein stummer Verweis auf die Spurensuche der Agenten. Die Rückblende einer Autofahrt von Rachel und Locke zeigt einen Splitter der Spannungen zwischen ihnen: Rachel kritisiert seinen Reportage-Stil. Die Zeit- und Wahrnehmungsebene wechselt wieder abrupt: man sieht einen Weißen, den Prototyp des brutalen Agenten, wie er die Afrikaner auf einem Platz in München abfängt, in einer Villa verhört und zusammenschlägt: Darauf Locke in einem Münchner Lokal an der Bar: das schwarz/rote Interieur und die Pausenstimmung, in der Locke als einziger Gast einem Türken beim Abwasch zuschaut, der atmosphärische Gegensatz zur vorhergegangenen Sequenz. Locke telefoniert, bestellt ein Ticket nach Barcelona, klebt zum Abschied den Schnäuzer, ein Requisit seiner Rolle als Robertson, an eine blaue Lampe auf der Theke und ist mit einem Zeitsprung in Barcelona, wo er in einer Seilbahnfahrt über dem Hafen bergan schwebt und dabei die Arme ausbreitet. Mit derselben Geste hatte er zu Anfang des Films aufgegeben, sein Auto aus dem Sand zu graben.

 

Das zur Montage opponierende Erzählmittel des Films, die Kamerakreisbewegungen, beschreibt unabhängig von den dargestellten Subjekten, wie der suchende Blick einer bestimmten Wahrnehmungs-Organisation an einer Außenwelt abprallt, die sich dem rationalen Zugriff, dem linearen Austausch von Frage und Antwort entzieht. Wenn Locke zu Anfang mit dem Auto im Wüstensand steckenbleibt, sich abmüht, schließlich zwischen Seufzen und Fluchen herausschreit, wie egal ihm alles ist, schwenkt die Kamera in einem weiten Bogen die kahle, gleißende Landschaft ab und kehrt zu dem Erschöpften zurück. Sein selbstverständlich vorausgesetzter Anspruch auf Unterstützung bleibt ohne Antwort, wenn der einsame Wüsten-Reiter an ihm vorüberzieht. PROFESSIONE: REPORTER schließt beide Kreisbewegungen – die der Ereignis-Kette und die der visuellen Verschiebungen – in einer Anthologie-Sequenz am Schluß. Locke legt sich – analog zu den Bildern von Robertson vom Beginn des Films – auf das Bett in dem Dorf-Hotel. Sein Treffen mit »Daisy« ist wie der Plan, nach Tanger weiterzureisen, nur noch die vage Idee, vorwärtszukommen. Das Mädchen schmiegt sich nach seiner Erzählung vom blinden Mann bedrückt an ihn. Es verläßt das Zimmer, Locke beginnt zu packen, schaut durch das Fenstergitter, legt sich hin, – nichts in seiner Gestik deutet auf Erwartung hin: der Film inszeniert die Präsenz des Augenblicks, der nichts verrät über seine zukünftige Bedeutung. Die Kamera schwebt langsam über das Bett hinweg zum Fenster und weiter hinaus auf den Platz. Man vergißt das Gitter über der Bildbewegung, die eine Totale des Platzes aus der Fensterhöhe zeigt. Ein Kind, ein alter Mann, zwei Autos, die nacheinander vorfahren. Man hört dumpfe Geräusche, das Klappern von Autotüren, später einen trockenen Laut wie aus einer schallgedämpften Pistole. Aus einem der Autos stiegen ein Afrikaner und ein Weißer, – das kurze Gespräch zwischen dem Mädchen und einem der Männer ist nicht zu verstehen. Die Kamera schwebt langsam auf die Mitte des Platzes zu, das Mädchen spricht weit entfernt einen alten Mann an der Mauer der Arena an, ein Auto fährt weg, Polizeisirenen kommen näher, die Kamera schwenkt hoch, so daß für kurze Zeit ein Stück Himmel über dem Rund der Arena zu sehen ist, und dreht zurück zur Fassade des Hotels. Polizisten steigen aus, das Mädchen nähert sich erschreckt und erstaunt wieder dem Haus, Kinder umringen das Polizeiauto, aus dem Rachel aussteigt. Die Kamera nimmt den gleichen Weg zurück, bleibt in der Schwebe vor dem Fenster. Durch das Gitter ist Locke auf dem Bett zu sehen, er ist erschossen, Rachel steht im Zimmer und kann ihn nicht identifizieren, das Mädchen sagt, sie habe ihn gekannt. Das Polizei-Auto fährt ab, es ist Abend geworden, das Hotel ist von innen beleuchtet. Der Wirt setzt sich im letzten Abendlicht auf die Treppe seines Hauses. Die Bilder der Schlußsequenz werden von einer melancholischen katalanischen Volksmelodie begleitet.

 

Antonioni ließ für die 7-Minuten-Einstellung eine, Anfang der Siebziger Jahre entwickelte Kamera-Hängevorrichtung, das Gyroscope, an die Bedingungen einer 35-mm-Kamera anpassen. Im Zimmer glitt die Kamera an einer Deckenschiene entlang und wurde im Moment, in dem das Fenstergitter aus ihrem Blickwinkel wich, von dem, an einem Kran hängenden Gyroscope übernommen. Die Gitter-Konstruktion öffnete sich zu diesem Zweck wie ein Fensterladen. Über Hebelarme konnte die Kamera in der Hängevorrichtung geführt, in der Mitte des Platzes gedreht und der Hotel-Fassade wieder angenähert werden. Während des langsamen Vorwärtsschwebens in der Blickachse des Fensterausschnitts, schlossen Bühnenarbeiter die Gitter-Hälften wieder, so daß Locke hinter dieser optischen Absperrung erscheint, wenn die Kamera von außen das Zimmer und die Entdeckung seiner Ermordung zeigt.

 

Die Dreharbeiten für diese Plan-Sequenz dauerten elf Tage, weil die Windverhältnisse auf dem Platz die authentische Kontinuität des Tons störten und das Licht auf dem Platzrund nur für wenige Nachmittagsstunden die Kamera-Drehung möglich machte.

 

Das Script zu PROFESSlONE: REPORTER stammt von Mark Peploe, der schon an der Konzeption von BLOW LP mitgearbeitet hatte. Es wurde Antonioni von Carlo Ponti angeboten, nachdem sein Projekt eines Films im brasilianischen Dschungel in der Vorbereitungsphase gescheitert war. Ponti brachte die Finanzierung dieses Films mit Jack Nicholson und Maria Schneider als europäische Co-Produktion für MGM zustande und Antonioni ließ sich zögernd auf den fremden Stoff ein. Es war der erste Film, dessen Buch nicht von ihm selbst entwickelt wurde. Die Dreharbeiten standen unter Zeitdruck wegen eines nachfolgenden Engagements von Nicholson. Antonioni änderte aus diesem Grund seine Arbeitsmethode, kürzte die Vorbereitungen an den Drehorten, nahm mehr Material als vorgesehen auf und entwickelte die endgültige Konzeption am Schneidetisch zusammen mit Franco Arcalli (wie bei ZABRISKIE POINT).

 

Ausgehend von der Idee zu der Schlußsequenz erweiterte er das Sujet um die Ebenen visueller Reflektion und verarbeitete darin seine Erfahrungen mit dem Dokumentarfilm CHUNG KUO, für den er sich als Reporter in China einer ähnlichen Situation ausgesetzt gesehen hatte wie Locke in Afrika.

 

Claudia Lenssen

 

Dieser Text ist zuerst erschienen in: Michelangelo Antonioni; Band 31 der (leider eingestellten) Reihe Film, herausgegeben in Zusammenarbeit mit der Stiftung Deutsche Kinemathek von Peter W. Jansen und Wolfram Schütte im Carl Hanser Verlag, München/Wien 1987.

Zweitveröffentlichung in der filmzentrale mit freundlicher Genehmigung der Autorin Claudia Lenssen und des Carl Hanser Verlags.

 

Beruf: Reporter

PROFESSIONE: REPORTER/PROFESSION: REPORTER

Italien/Frankreich/Spanien 1973. Regie: Michelangelo Antonioni – Buch: Mark Peploe, Peter Wollen, Michelangelo Antonioni, nach einer Story von Mark Peploe. – Kamera: Luciano Tovoli. – Kamera-Führung: Cesare Allione. – Schnitt: Franco Arcalli, Michelangelo Antonioni. – Ton: Cyril Collick. – Ton-Schnitt: Sandro Pettica, Franca Silvi. – Ton-Mischung: Fausto Ancillai. – Musikalische Beratung: Ivan Vandor. – Bauten: Piero Poletto. – Ausstattung: Osvaldo Desideri. – Kostüme: Louise Stjensward. – Regie-Assistenz: Enrico Sannia, Claudio Taddei, Enrica Fico; Hercules Bellville (in England); Federico Canudas (in Spanien); Ina Sritsche (in Deutschland). – Darsteller: Jack Nicholson (David Locke), Maria Schneider (Mädchen), Jenny Runacre (Rachel Locke), Ian Hendry (Martin Knight), Stephen Berkoff (Stephen), Ambroise Bia (Achebe), Jose Maria Cafarel (Hotelbesitzer), James Campbell (Medizinmann), Manfred Spies (Deutscher Begleiter Achebes). Jean Baptiste Tiemele (Mörder), Angel Del Pozo (Polizeiinspektor), Chuck Mulvehill (Robertson), Narcisse Pula (Komplize des Mörders; uncredited). – Produktion: Compagnia Cinematografica Champion, Rom/Les Films Concordia, Paris/C. I. P. I. Cinematografica, Madrid für MGM. – Produzent: Carlo Ponti. – Produktions-Überwachung: Alessandro von Normann. – Produktionsleitung: Ennio Onorati. – Gedreht in München, Barcelona, Almeria, Malaga, Algerien und in Londoner Studios. – Format: 35 mm, Farbe (Metrocolor). – Original-Länge: 125 min. – Deusche Version: 125 min. – Uraufführung: März 1975, Rom. – Deutsche Erstaufführung: 16.5. 1975. – TV: 22.10. 1977 (ARD);16.12. 1981 (S 3); 25.3. 1982 (HR 111): 24.6. 1982 (NDR/RB/ SFB III). – Verleih: UIP (35 mm).

 

zur startseite

zum archiv