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Berüchtigt
Maskerade
und Demaskierung sind zentrale Momente in Hitchcocks Filmen. Im Fall von
„Notorious“ („Berüchtigt“) kommt noch ein Betrug hinzu: 1950 kam der Film unter
dem Titel „Weißes Gift“ auf deutsche Leinwände. Aus den Nazis im Film wurden
Drogenhändler, aus dem radioaktiven Material Rauschgift, aus der Deutschen
Alicia Hubermann eine Schwedin und aus dem Bösewicht Sebastian ein Herr
Sebastini. Erst später erhielt der Film eine neue deutsche Synchronisation und
aus den Drogendealern wurden wieder die ursprünglichen Nazis. (Auf der DVD von
„EuroVideo“ ist leider nur die verfälschende deutsche Synchronisation benutzt
worden. Englische Untertitel sind nicht vorhanden – alles in allem
unverständlich, zumal die DVD auch kein weiteres Zusatzmaterial enthält.)
Allerdings spielt diese Fälschung – so sehr sie auch etwas über den Umgang in
Deutschland mit der eigenen Vergangenheit verraten mag – in bezug auf die
Geschichte, die der Film erzählt, so gut wie keine Rolle. Denn Hitchcock legte
mit „Notorious“ vielleicht seinen „einfachsten“, auch visuell in jeder Hinsicht
überzeugenden Film vor, in dem die Konstellationen sich im wesentlichen auf
drei Personen und ihre Mentalität und Gefühlswelt reduzieren lassen – und auf
die „mit Leben gefüllten“ Objekte, die in Hitchcocks Filmen eine entscheidende
Bedeutung spielen.
• I N H A L T •
Die
Geschichte ist denkbar einfach. Die Tochter eines wegen Spionage für die Nazis
verurteilten Herrn Hubermann, Alicia (Ingrid Bergman), wird vom US-Geheimdienst
in Gestalt von T. R. Devlin (Cary Grant) angeworben, einen geheimen Ring von
nach Brasilien geflüchteten Nazis in Rio aufzuspüren. Alicia, die das Treiben
ihres Vaters verabscheute und Amerika liebt, ertränkt ihre Verzweiflung in
Alkohol und Männern. Trotzdem lässt sie sich anheuern und fliegt mit Devlin
nach Rio, um sich in das Vertrauen von Alexander Sebastian (Claude Rains)
einzuschleichen, den sie aufgrund der Beziehungen ihres Vaters zu Sebastian von
früher kennt. Er war schon vor Jahren in Alicia verliebt. Als sie jetzt in Rio
bei ihm auftaucht, hat er nichts anderes im Sinn, als Alicia zur Heirat zu
bewegen – trotz Protestes seiner Mutter (Leopoldine Konstantin), die der jungen
Frau nicht traut.
Was
Sebastian nicht weiß: Alicia ist in Devlin verliebt. Devlin, der sich
einerseits zu Alicia hingezogen fühlt, sie andererseits wegen ihres bisher
lockeren Lebens und Alkoholkonsums verachtet, treibt sie in die Arme
Sebastians. Alicias Hoffnungen auf eine Verbindung mit Devlin schwinden, als
der ihr erklärt, sie solle Sebastian ruhig heiraten.
Alicia
findet heraus, dass Sebastian und sein Kreis radioaktives Material besitzen,
das sie in Weinflachen im Keller des Hauses verstecken. Als Sebastian durch ein
Missgeschick Devlins im Weinkeller hinter die wahren Absichten Alicias kommt,
beschließt Sebastians Mutter, Alicia langsam und unauffällig mit Arsen zu
vergiften. Wenn Sebastians Organisation dahinter kommen würde, dass er einen
entscheidenden Fehler durch die Heirat mit Alicia gemacht hat, wäre dies sein
Todesurteil …
• I N S Z E N I E R U N G •
Alicia
scheint verloren – zwischen der Vergangenheit ihres Vaters und der Zukunft als
Helfershelferin der amerikanischen Behörden. Dazwischen liegt der Alkohol. In
einer Szene zu Anfang des Films sieht man sie im Bett liegen. Sie fühlt sich
schlecht, weil sie am Abend zuvor zu viel getrunken hatte. Vor ihr steht ein
Glas mit Alka-Seltzer. In der Tür steht Devlin, im Dunkeln, fordert sie auf,
das Glas auszutrinken. Alles im Raum wirkt für Alicia undeutlich, verschwommen,
es dreht sich. Später, viel später in Rio trinkt Alicia aus einer Tasse mit
Goldrand Kaffee, in dem sich eine geringe Dosis Arsen befindet, das sie langsam
umbringen soll.
Der
Alkohol steht für die Selbstaufgabe einer Frau, der Kaffee für den Stoß, den
ihr andere versetzen wollen. Dazwischen stehen zwei Männer, die
unterschiedlicher nicht sein könnten. Devlin, gut aussehend, charmant, der
Mann, der für das Gute steht, der Alicia dafür benutzt, um das Ziel der
Behörden zu erreichen, die Nazi-Gruppe hochgehen zu lassen. Er begegnet Alicia
vor allem mit Misstrauen und Verachtung. Auf der anderen Seite Sebastian, der
Bösewicht, der – obwohl elegant – lange nicht so gut aussieht wie Devlin, der
allerdings Alicia wirklich liebt und ein enormes Vertrauen in sie setzt. Rains
wird nicht nur bitter enttäuscht. Sein Vertrauen wird ihm den Tod bringen.
Devlins Misstrauen hingegen führt zum Erfolg: die Bande ist zum Schluss am
Ende.
„Notorious“
ist vor allem anderen eine Liebesgeschichte mit Hindernissen, Zerwürfnissen und
Maskerade. Niemand ist ehrlich in diesem Spiel bis auf Alicia, deren Liebe zu
Devlin echt ist. Devlin versteckt sich hinter seiner Pflicht und benutzt
Alicia. Alicia lässt sich auf ihre Undercover-Rolle ein, aber weniger aus
patriotischen Gefühlen, sondern vor allem aus Liebe zu Devlin. Sebastian wühlt
im Untergrund. Alicia gaukelt ihm Zuneigung vor. Sebastians Mutter ist
skrupellos und zu allem entschlossen. Das alles würde in eine totale
Katastrophe führen: Alicia würde langsam an dem Arsen zugrunde gehen, Sebastian
würde mit radioaktivem Material Unheil anrichten, Devlin würde mit einem
schlechten Gewissen wegen Alicias Tod leben müssen, wenn nicht, ja wenn nicht
Devlin dem Maskenball ein Ende setzen würde. Er holt Alicia aus dem Haus
Sebastians und fährt sie ins Krankenhaus. Der Schlüssel zum Weinkeller von
Sebastian erweist sich letztlich als Schlüssel zum engen Portal, durch das
Devlin Alicia aus dem Hause führt – heraus aus der Verzweiflung und der
Todessehnsucht.
„Notorious“
enthält den bis dato längsten Kuss der Filmgeschichte. Ein mehr oder weniger
ungeschriebenes Gesetz lautete damals, ein Kuss dürfe nicht länger als drei
Sekunden dauern. Hitchcock zieht die Kuss-Szene über drei Minuten. Beide
umarmen sich über die gesamte Zeit, unterbrochen von Küssen, die nicht länger
als drei Sekunden dauern, und sprechen dazwischen miteinander:
„Alicia: It’s nice out here. Let’s not go
out to dinner. Let’s stay here.
Devlin: We have to eat.
Alicia: We can eat here. I’ll cook.
Devlin: I thought you didn’t like to cook.
Alicia: No I don’t like to cook, but I
have a chicken in the icebox and you’re eating it.
Devlin: What about all the washing up
afterwards?
Alicia: We’ll eat it with our fingers.
Devlin: Don’t we need any plates?
Alicia: Yes, one for you and one for me.
Devlin: You mind if I have dinner with you
tonight?
Alicia: I’d be delighted. Where are you
going?
Devlin: If you’re going to stay in, I have
to telephone the hotel, see if there are any messages.
Alicia: Do I have to?
Devlin: I have to. (They walk inside to
the telephone where he dials the hotel for messages.)
Alicia: This is a very strange love
affair.
Devlin: Why?
Alicia: Maybe the fact that you don’t love
me.
Devlin: …When I don’t love you, I’ll let
you know.
Alicia: You haven’t said anything.
Devlin (kissing her): Actions speak louder
than words.“
• F A Z I T •
Das
Gift und der Alkohol sind am Ende unwichtig geworden. Hitchcock, der Regisseur
der Paarbeziehung, lässt ein Happyend zu, feiert das Paar, das zu sich selbst
gefunden hat – und überlässt Sebastian seinem Schicksal. Ein ganz anderer
Schluss als etwa der in „Vertigo“, als James Stewart den Tod einer Frau, die er
liebt (oder die er zu lieben glaubte) sozusagen zweimal erleben muss. Ihm
bleibt nur die Befreiung von Höhenangst – ein schwacher Trost. Oder das Ende in
„To Catch A Thief“ (sprich: wie angle ich mir einen Mann). Cary Grant und Grace
Kelly umarmen sich im Hause des Ex-Diebes, und Kelly meint, ihrer Mutter würde
es hier bestimmt sehr gut gefallen. Ein Happyend mit Pferdefuß, was Grants
Gesicht unzweifelhaft zum Ausdruck bringt.
Wertung:
10 von 10 Punkten (Platz 96 unter den Top-Movies in der IMdB).
Ulrich
Behrens, 2003
Dieser
Text ist zuerst erschienen bei: ciao.de
Zu
diesem Film gibt’s im archiv der filmzentrale mehrere Kritiken
Berüchtigt
(Notorious)
USA
1946, 101 Minuten
Regie:
Alfred Hitchcock
Drehbuch:
Ben Hecht
Musik: Roy Webb
Director of Photography: Ted Tetzlaff
Schnitt:
Theron Warth
Produktionsdesign:
Carroll Clark, Albert S. D’Agostino
Hauptdarsteller:
Cary Grant (T. R. Devlin), Ingrid Bergman (Alicia Hubermann), Claude Rains
(Alexander Sebastian), Louis Calhern (Captain Paul Prescott), Leopoldine
Konstantin (Madame Sebastian), Reinhold Schünzel (Dr. Anderson), Moroni Olsen
(Walter Beardsley), Ivan Triesault (Eric Mathis), Alex Minotis (Joseph, Butler)
Internet
Movie Database: http://german.imdb.com/Title?0038787
Weitere
Filmkritik(en):
„Chicago Sun-Times“ (Roger Ebert) (4 von 4
Punkten)
http://www.suntimes.com/ebert/ebert_reviews/1999/01/notori1118.html
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