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Berliner Bettwurst

 

Irgendwie hat sich das Zwei-Personen-Privatflugzeug, mit dem Luzi und Dietmar aus Kiel entschwebt sind, in eine Boeing verwandelt, mit der sie in Berlin Tempelhof landen, um ihre dramatisch-absurde Biografie weiter zu spinnen. In der Tat ist jetzt auch alles größer geworden: Die Stadt, die Ausstattung, die Story, die die beiden mit ihrer Komplexität in die Enge treibt, ihnen die „Luft, wo ich atme“ beraubt, also ihnen buchstäblich den Atem nimmt, ihre Texte zu sagen. Wie gehetzt eilen unsere beiden Lieblinge durch die Kulissen, rufen sie ihre – natürlich immer noch unnachahmlichen – Bemerkungen heraus, aber so, als wären sie sich selbst (und uns) nicht schon immer genug gewesen, um glücklich sein zu können.

 

Denn Berlin ist nicht Kiel. Berlin ist Touristenpostkarte, linkes Basislager und Drogen-Moloch, und weil das alles auch in den Film soll, haben Luzi und Dietmar weniger Platz für das, was die erste „Bettwurst“ so schrecklich und so schön gemacht hat: ihre eigenen, ganz privaten Träume, Erinnerungen, Hoffnungen und Selbstbilder. Auch die Inneneinrichtung der Wohnung des frisch in der Gedächtniskirche getrauten Paares hat nicht mehr viel von der gediegen-erdrückenden Spießigkeit der Kieler Zeit. Die programmatische Steigerung im Sequel mündet in grobem Plüsch, in beißendsten Rosa- und Orange -Tönen, das ist zwar Siebziger-Tendenz auf die Spitze getrieben, aber weniger die Inneneinrichtung einer etwas geschmacksunsicheren aber ordentlichen ehemaligen Danziger Sekretärin, als aggressive Schwulen-Deko – so schön und berechtigt sie auch sein mag.

 

Und weil diese für ihre Zeit sicher notwendige, da revolutionäre Deko (und mit ihr Regisseur Praunheim) eben auch ihr Recht einfordert, als etwas outspaceded Environment, wird Luzi auch ein wenig verschluckt von ihrer schrillen Umgebung, in der sie nicht mehr so zärtlich und stolz die Gardinen streicheln kann, eben weil es nicht mehr wirklich ihre sind. Nahtlos scheint sie mutiert zu sein, vielleicht auch als echter Mensch, vom Menschen der zum Star wurde, zur Rolle, in der sie es wurde. Deshalb wirkt sie fremder, und deshalb fehlt etwas von dem berührenden Charme ihrer Mimikri der „Bettwurst“, hinter der wir nicht nur ihren Hang zu narzisstischen Exaltationen, sondern auch eine Sehnsucht nach Normalität, nach schönem Wohlstand und behüteter Bürgerlichkeit erahnen konnten.

 

Dietmar dagegen lebt hier. Deshalb passt er auch besser – wie ein Stricher mit Kultstatus (wie er nach der „Bettwurst“) eben in seine Umgebung passen kann: Haltlos aber berühmt. Deshalb gerät sein Absturz in die Haschischraucherszene auch umso authentischer, umso absurder er wirkt, oder umgekehrt. In den Szenen mit Dietmar stimmt das Lokal- und Zeitkolorit, er ist Kind dieser portraitierten Stadt, und die Stadt ist der dritte Star, der die beiden Protagonisten zum Teil zu Randfiguren macht, zum Teil sie erläutert.

 

Aber auch Mallorca, der Deutschen liebstes Urlaubsziel, hat – etwa zeitgleich mit seiner Erwähnung in Loriots Fernsehserie „Cartoon“ – seinen standesgemäßen Auftritt. Der bürgerliche Geist ist auch hier erkannt, gar vorhergesehen, aber der Urlaub dort muss genauso schrill scheitern wie der Dromedarritt von Luzi, weil unsere beiden Protagonisten eben keine Kleinbürger sind, sondern, inzwischen oder immer noch, Outlaws innerhalb der deutschen Gesellschaft.

 

Das alles schmälert nicht den dokumentarischen Wert der „Berliner Bettwurst“. Wenn Dietmar mit Transvestiten und Haschern im „Undergrund“ und Luzi, zusammen mit dem vollendeten Playboy Lou van Burg („Der goldene Schuss“), im Luxuskitsch der siebziger Jahre ertrinkt, dann erspart uns das so manche Recherche oder irgendwelche tumben RTL-Retro-Shows. Redundant im besten Sinne ist die „Berliner Bettwurst“, was die kulturellen Bedingungen jener Zeit betrifft, spärlicher erzählt sie über ihre liebenswerten Hauptfiguren, weil gerade die nicht wirklich mehr selbst erzählen dürfen, was sie wollen. Aus trashigen Menschen ist menschlicher Trash geworden.

 

Der selten aufgeführte Film ist als Bonusbeigabe auf der kürzlich neu aufgelegten DVD „Die Bettwurst“ zu sehen.

 

Andreas Thomas

 

Zu diesem Film gibts im archiv mehrere Texte

 

Berliner Bettwurst

BRD 1973    

Regie: Rosa von Praunheim   

Drehbuch: Rosa von Praunheim   

Produktion: Regina Ziegler

Musik: Holger Münzer   

Kamera: Bernd Upnmoor, Aribert Weis, Rosa von Praunheim   

Schnitt: Frau Kramski   

Regieassistenz: Rainer Crone, Michael Tauchert 

 

Darsteller:

Luzi Kryn

Dietmar Kracht

Berryt Bohlen  

Wolfgang Macke  

Lou Van Burg  

 

Auf DVD ist "Die Bettwurst" zusammen mit dem Sequel "Berliner Bettwurst" erhältlich bei: AbsolutMedien

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