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Bergkristall
Die
Ankündigung eines neuen Films von Joseph Vilsmaier weckt immer besondere
Erwartungen. Lange vor der aktuellen Begeisterung für Hitler und Historie
hatten Vilsmaier-Filme die deutsche Geschichte als privaten Hobbykeller entdeckt,
in dem sich nach eigenen Wünschen so manches Artefakt – von "Herbstmilch"
und "Stalingrad" über "Comedian Harmonists" bis zu
"Marlene" und "Leo und Claire" – zurechtklittern ließ.
Nur so konnte uns das ganze Leiden unserer Landser an der Ostfront erreichen,
die unmögliche Liebe des großen Reichspublikums zu "ihren"
Comedian Harmonists unterm Hakenkreuz drapiert werden und Marlene Dietrich am
Sterbelager eines Wehrmachtssoldaten einen Frieden mit Nazideutschland schließen,
den sie nie vollzog.
Vilsmaiers
"Bergkristall" soll nun "vor einzigartiger Bergkulisse"
und mit "Bildgewalt" Vergangenheit und Gegenwart "verweben".
Ein Bergfilm steht zu erwarten, es winkt die Tradition der 1920er-Jahre von
Arnold Fanck und Leni Riefenstahl. Wir sind vorbereitet, vielleicht wappnet
sich der Blick mit Kracauers Fragen zum Bergfilm als Vorläufer der NS-Zeit.
Jetzt kann "Bergkristall" kommen – aber es kommt nichts.
Dabei
wird die gleichnamige Adalbert-Stifter-Novelle in Vilsmaiers Adaption extra
in eine Rahmenhandlung eingepasst, in der die Mobiltelefon-Moderne der Erhabenheit
der Berge begegnen soll. Im eingeschneiten Bergdorf Gschaid erzählt Pfarrer
Ernst (Max Tidorf) seiner angereisten Verwandtschaft (unter anderen Katja Riemann
und Herbert Knaup) bei Kerzenlicht eine Geschichte von "vor über hundert
Jahren": Weil die Feindschaft der Dörfer Gschaid und Millsdorf die
Ehe des Gschaider Schusters Sebastian (Christian Nickel) und der Millsdorferin
Susanne (Dana Vavrova) zu zerstören droht, machen sich deren Kinder am
Heiligabend auf ins "Herz des Berges" – auf die Suche nach dem Bergkristall,
"der getrennte Herzen wieder zusammenbringt".
Größe
umflort die Geschichte, "Naturkatastrophen, Liebe und Hass, Leben und Tod"
verspricht der Erzähler. Doch Bedeutung und Berg als ewige Antwort auf
soziale Fragen türmen sich hier nur auf, um sich im nächsten Augenblick
in Luft aufzulösen. "Bergkristall" gelingt nichts von dem, was
er sich vornimmt, weil er schon handwerklich scheitert – der Berg ruft nicht,
er lebt noch nicht einmal.
Kein
Bild ist stark genug, um mehr als nur reine Bebilderung zu sein, alles ist reale
Kulisse, in der die Akteure mit ihren Texten ringen. Zu guter Letzt könnte
man fast Mitleid haben mit der Hilflosigkeit dieser Produktion, denn "Bergkristall"
hätte wirklich ein Bergfilm werden können, wenn er überhaupt
erst einmal ein Film geworden wäre. Aber er kommt dem Kino nicht näher
als irgendeine muffige ZDF-Episode der "Weißblauen Geschichten".
Jan
Distelmeyer
Dieser
Text ist zuerst erschienen in der: taz
Bergkristall
Deutschland
2004 – Regie: Joseph Vilsmaier – Darsteller: Dana Vávrová, Daniel
Morgenroth, Josefina Vilsmaier, François Göske, Max Tidof, Katja
Riemann, Herbert Knaup, Frederick Lau – Prädikat: besonders wertvoll –
FSK: ab 6 – Länge: 93 min. – Start: 18.11.2004
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