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Barry Lyndon
Die Geschichte des irischen Landjunkers Barry Lyndon im 18. Jahrhundert.
Wegen eines Duells von zu Hause vertrieben, wird er Soldat und steigt als
Protege eines Falschspielers in den englischen Adel auf. Seine Versuche
dort zu weiterem Ruhm und Ansehen zu kommen scheitern an seiner
Unfähigkeit, sich in der neuen Gesellschaftsschicht einzufügen.
Inhalt
Erster Teil. Irland, 18. Jahrhundert: Nachdem er im Duell den künftigen
Bräutigam seiner Kusine getötet zu haben glaubt, zieht der junge
Landadelige Redmond Barry (Ryan O´Neal) auf der Flucht vor der Polizei
nach Dublin. Schnelles Opfer zweier Räuber schreibt er sich bei der
britischen Armee ein und kommt im Zug des Siebenjährigen Kriegs nach
Europa. Eine Serie von Zufällen und Wendungen führt ihn durch das
veränderliche Klima dieser Zeit. Als Deserteur auf der Flucht fällt er in
in die Hände des deutschen Hauptmanns Potzdorf (Hardy Krüger). Lernfähig
in der Kunst der Verstellung, wird Barry dessen Protege und beginnt so
eine Karrierre beim preußischem Geheimdienst. Diese führt ihn mit dem
Falschspieler Chevalier de Balibari (Patrick Magee) zusammen, an dessen
Seite er sich als Trickbetrüger durch die bessere Gesellschaft Europas
bewegt. Schließlich trifft er Lady Lyndon (Marisa Berenson) kennen und
gewinnt ihr Herz – Barrys Traum vom gesellschaftlichen Aufstieg wird
wahr.
Zweiter Teil. Barry kehrt nach England zurück, wo das frisch ererbte
Vermögen nach erlerntem Lebenswandel durchbringt, während er Lady Lyndon
wie eine Gefangene zu Hause hält, damit sie sich um sein einziges
Herzblatt – ihren gemeinsamen Sohn – kümmert. Seine gleichzeitigen
Bemühungen um einen Pairssitz scheitern und der verschuldete Barry
verscherzt sich die Gunst seines Standes, als er seinen Widersacher –
Lady Lyndons Sohn aus erster Ehe, Lord Bullingdon (Leon Vitali),
öffentlich demütigt. Verschuldet und verlassen muss Barry den Tod seines einzigen Kindes mitansehen und
wird schließlich von Lord Bullingdon zu einem letzten Duell gezwungen.
Kritik
Eine in berauschende Farbtöne gekleidete Totale: zwei Männer stehen sich
in weiter Ferne zu einem Duell gegenüber. Der Erzähler informiert uns,
dass einer der beiden der Vater des Titelhelden ist, und weiter “Ohne
Zweifel hätte er es in seinem Beruf zu großem Ansehen gebracht…” – die
Schüsse fallen – “…wäre er nicht bei einem Duell wegen eines Kaufs
einiger Pferde ums Leben gekommen.” In diesem Zwiespalt zwischen
optischer Pracht, ironischer Distanz und tragischer Konsequenz beginnt
Barry Lyndon, der vermutlich persönlichste Film des großen Regisseurs
Stanley Kubrick, ein Werk das trotz seiner Reputation
unverständlicherweise zu den am wenigsten gesehenen dieses Meisters
gehört.
Wie viele Filme des Amerikaners ist Barry Lyndon krass zweigeteilt:
Aufstieg und Fall eines naiven Landjunkers, den die Wirrungen des 18.
Jahrhunderts über pikareske Umwege als Soldat, Glücksspieler und Lebemann
zum heißersehnten Aufstieg in den englischen Adel führen und dessen
persönliche Defekte ihn schließlich alles wieder verlieren lassen. Die
erste Hälfte dieses Films kann man mit Fug und Recht als eine der
schönsten Bilderfolgen der gesamten Kinogeschichte bezeichnen. Redmond
Barrys (dem Ryan O´Neal ein eigenwillig modernes Antlitz leiht) Weg zum
Ruhm ist inszeniert als eine Serie von tableaux vivants – fast jede
Einstellung ähnelt einem Porträt aus jener Zeit, die feinziselierte
Anhäufung von Details in diesem Rahmen ist Legende (der berühmteste
Aspekt davon wohl, dass sich Kubrick eigene Kameralinsen bei der NASA
besorgte, um als erster Aufnahmen ohne Kunstlicht bei natürlichem
Kerzenschein zu filmen – eine Entscheidung, deren rotstichige Resultate
typisch sind für den leicht irrealen, schwebenden Ton, der diesen Film
beherrscht). Und doch, obwohl sich Barry Lyndon scheinbar langsam bewegt
in seinen getragenen Zooms und gleitenden Kamerafahrten ist er alles
andere als langweilig – so vollgestopft ist er mit Handlungshaken,
visueller, musikalischer und erzählerischer Information, dass er fast zu
zerbersten droht in der Fülle von Kleinigkeiten. Barrys Aufstieg ist eine
ironische Meisterleistung – während aus dem ehrlichen, korrumpierbaren
Jungen ein zunehmend erfolgreicher Vertreter der oberen Gesellschaft
seiner Zeit wird, berichtet die stets ironische kontrapunktisch gesetzte
Erzählstimme, die Barrys Voranschreiten in der Welt kommentiert, vom
Gegenteil: seinem persönlichen Verfall. Einen Höhepunkt dieser Distanz
erreicht Kubrick, als er Barry beim Anblick der aristokratischen Pracht
seines zukünftigen Arbeitsgebers, des Kartenhais Chevalier de Balibari in
Tränen ausbrechen lässt – um im Gegenschuss das “erhabene” Antlitz zu
zeigen: eine in weißem Puder begrabene, ausdruckslose Larve mit
Schönheitspflästerchen; fleischgewordener Anblick einer nur aus
Oberflächen bestehenden Welt, die ihre Hohlheit unter dem Deckmäntelchen
damaliger Konfektion begräbt. Voll von solch ironischen Spitzen ist Barry
Lyndons erste Hälfte (etwa eine Schlachtszene, die den unglaublichen
Kampfpraktiken der damaligen Zeit folgt – reihenweise marschieren die
Angreifer ins Sperrfeuer der Gegner, der Erzähler stellt lakonisch fest:
“Obwohl dieses Treffen in keinem Geschichtsbuch aufgezeichnet wurde, war
es denkwürdig genug für jene, die daran teilnahmen.”) und Kubrick beendet
sie mit einer der vielen Symmetrien dieses Films – am Ende steht der
sarkastische Tod von Sir Charles Lyndon, einem greisen, herzkranken
Titelträger, den Barry gerade bei einem Wortgefecht in den Tod getrieben
hat – um alsbald seinen Platz an der Seite der schönen Lady Lyndon
einzunehmen und sich seinen Traum vom Leben als Edelmann zu
verwirklichen.
Vom Scheitern dieses Traums erzählt die zweite, radikal andere Hälfte
dieses dreistündigen Meisterwerks. Oft wortlos, nur getragen von Musik
wird Barry Lyndon zum Film der Innenräume: auf seinem Landsitz versucht
sich Barry einen Adelstitel zu erkaufen – und scheitert in quälend
schmerzlicher Unfähigkeit an eben den Eigenschaften, die seinen Aufstieg
möglich machten: Rücksichtslosigkeit, Machtgier und mangelnde
Selbstbeherrschung treiben ihn schließlich in den Untergang. Minutiös
verzeichnet Kubrick diesen fortschreitenden Verfall – das Zerbröseln der
Hoffnungen, persönliche Schicksalsschläge – und schließlich, in einer
finalen, meisterlich choreographierten neunminütigen Duellsequenz, in der
sich der Sinn für die genaue Beobachtung von – aus historischer Distanz –
absurden Ritualen, die profunde Traurigkeit des zweiten Teils und der
ironische Sinn für die Spiegelwelten des Schicksals des ersten zu einem
einzigartigen Abgesang verbinden, wächst Barry über sich hinaus und
besiegelt so nur seinen Untergang – aus dem Handlungsträger des
Schelmenromans ist ein tragischer Held geworden.
Es ist diese Zweischneidigkeit, die Barry Lyndon zu einem einzigartigen
Projekt in der Geschichte des historischem Films macht – Kubrick gelingt
es, die Erzählung und die Erzählform zur Deckung zu bringen: Barry Lyndon
ist ein Film, in dem das 19. Jahrhundert, die Selbsteinschätzung dieses
Jahrhunderts und seine Sicht aus jetziger Zeit zu einem großartigen
formalen Experiment zusammenwachsen. Auch wenn das sehr akademisch
klingt, ist Barry Lyndon zugleich das Gegenteil: eine zwischen
hochkomischer Distanz und verzweifelter Musikalität erzählte Geschichte
im eigentlichen Sinn des Wortes – nicht mehr die (im besten Fall
verzeihliche) Bebilderung einer fremden Gedankenwelt (wie fast alle
historischen Literaturverfilmungen), sondern die filmische Umsetzung
einer solchen. Zugleich ist Barry Lyndon ein klassischer Film Kubricks
über seine bevorzugten Themen: Kontrolle, Auflösung des Individuums und die erschreckende Diskrepanz
zwischen der selbstgefälligen Allmacht einer Gesellschaft und ihrer
Vergänglichkeit. “The only heritage to be passed on from generation to
generation…”, würde David Thomas über zwanzig Jahre nach Entstehung
dieses Films singen, dem diese Zeile geradezu gewidmet scheint, “…is an
echo of pain through time.”
Christoph Huber, 26.04.2000
Dieser Text ist zuerst erschienen in:
Zu diesem Film gibts im archiv der filmzentrale mehrere Texte
Barry Lyndon
Barry Lyndon
Groß Britannien, 1975
Mit: Marisa Berenson, Hardy Krüger, Patrick Magee, Ryan O´Neal, Leon Vitali, Diana Körner
Regie: Stanley Kubrick
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