zur
startseite
zum
archiv
Bärenbrüder
Der
Bär ist tot
Es
besteht eine frappierende Ähnlichkeit zwischen dem Disney-Konzern und der
katholischen Kirche. Von beiden Organisationen las man bisher, sie wären
fabulös reich und hätten die Lizenz zum Gelddrucken (was nur im Falle
der katholischen Kirche stimmt), aber so richtig sicher weiß natürlich
keiner irgendwas. Auf der anderen Seite hörte man in letzter Zeit vermehrt,
die Bedeutung beider Konzerne würde weltweit massiv schwinden, eine Übernahme
durch die Konkurrenz würde drohen und der Chef stünde kurz vor der
Kündigung (was nur im Fall von Disney stimmt).
Der
Respekt vor der Institution Disney jedenfalls schwindet rapide, erst recht nach
dem Ausscheiden der Tochterfirma Pixar. Das Animationsstudio pumpte seit "Toy
Story" mit einem Hit nach dem anderen kräftig Subventionen in die
Zeichentrickabteilung von Disney, die ihrerseits seit dem letzten großen
Erfolg mit "König der Löwen" zunehmend auf dem Zahnfleisch
geht. Und jetzt auch noch das: In den USA wurde "Bärenbrüder",
das jüngste Werk aus dem Haus mit der Maus, als letztes Röcheln einer
todgeweihten Animationsmethode verhöhnt.
Was
also ist dran am neuen Disney-Film? Ist dies das Ende des Zeichentrickfilms,
wie wir ihn kennen? Ist Disney noch zukunftsfähig? Bevor der Rezensent
solchen komplexen Fragen nachgehen kann, muß er sich erst mal durch ein
kreischendes Gedränge von Kindern schlagen, die allesamt an ihm vorbei
ins Kino stürmen. Denn, man höre und staune: Im Zuge einer arg fehlgeleiteten
Verleihpolitik werden in letzter Zeit immer wieder Schulklassen in die Pressevorstellungen
deportiert, was das Verhältnis von anwesenden Kritikern und Kindern auf
1:4 kippen läßt.
Aber
was wie ein schlecht verschleierter Manipulationsversuch beginnt, endet im PR-Desaster:
Das Publikum ist gnadenlos. Wer immer diese Jungs und Mädchen eingeladen
hat, hatte keine Ahnung, wie man die heutigen Kinder unterhalten muß.
Wer immer diesen Film gedreht hat, übrigens auch nicht. Die ersten Lichter
von "Bärenbrüder", der sich schnell als psychedelische Farborgie
herausstellt, werden noch mit Ahs und Ohs begrüßt, aber schon in
den Eröffnungsszenen, vollgestopft mit hübschen, aber gräßlich
unsympathischen Hüpfmenschlein und peinlichen Dialogen über schamanistisches
Urchristentum, schwindet die Aufmerksamkeit. Denn schon hier wird klar: Die
postmoderne Ironie und der hektische Slapstick, der noch in "Ein Königreich
für ein Lama" herrschte, ist von Disney kurzerhand abgesetzt worden.
Biedere
Ernsthaftigkeit ist angesagt und gräßlich verlogener Ethnokitsch
über eine Zeit, in der man angeblich noch mit der Natur im Einklang lebte,
in der man allerhand Getier schlachtete und daraufhin mit einem kessen Liedchen
beschloß, daß die Geister der Viecher unsere Freunde sind. Wie man
außerdem in einem Film, der so etwas wie die Völkerverständigung
zwischen Mensch und Bär predigt, das Lächerlichmachen von fremden
Kulturen und Akzenten rechtfertigen will, spiegelt ebenfalls die Ratlosigkeit,
mit der Disney offensichtlich der heutigen Jugend gegenübersteht: Bären
töten = uncool, Russen verarschen = cool.
Die
Kinder um mich herum sind von solchen Überlegungen zwar weit entfernt,
doch auch sie haben schnell begriffen, das hier nicht viel drin ist mit guter
Unterhaltung: Nach einer halben Stunde gehen die ersten Jungs, um sich noch
mehr Popcorn zu holen. Die Mädchen bleiben sitzen und kommentieren das
Gesehene mit unfreundlichen bis vulgären Kommentaren. Nach 60 Minuten beginnt
das allgemeine Strecken und Gähnen, jetzt beteiligen sich auch die Lehrerinnen
an den Unterhaltungen. Aber der Höhepunkt der Vorstellung steht uns allen
noch bevor. Phil Collins hat in "Tarzan" schon einmal den bemitleidenswerten
Versuch unternommen, deutsche Texte über seine süßlichen Akkorde
zu stammeln, und daß ihm das seither keiner aus dem Kopf geschlagen hat,
fällt eigentlich unter grobe Fahrlässigkeit.
Auf
jeden Fall versucht er es unerschrocken noch einmal in diesem Film (was die
Frage aufkommen läßt, ob man wohl keinen namhaften deutschen Interpreten
dafür gekriegt hat), und plötzlich herrscht doch noch einmal höchste
Aufmerksamkeit und ungläubiges Schweigen im Saal. Dann erntet das unbeholfene
und außerdem vollkommen unverständliche Gejammer des Popstars die
größten Lacher der Vorstellung. Das Publikum tobt, der Bär ist
tot und der Film auch. (Es war ein weiter Weg von den ersten Genesis-Alben bis
zu dem Punkt, an dem man von Siebenjährigen ausgelacht wird, aber Phil
Collins scheint endlich angekommen.)
Nach
einer katastrophalen Vorstellung hat der Rezensent zwar immer noch keine Antworten
auf seine Fragen nach der Zukunft des Zeichentrickfilms und der wirtschaftlichen
Lage Disneys, aber immerhin herrscht nun die Gewißheit, daß dieses
Machwerk für Zuschauer über 5 Jahren ungeeignet ist. Und noch mal
herzlichen Dank an den Verleih, daß ich den Beweis hierfür im direkten
Feld- und Menschenversuch miterleben durfte.
Daniel
Bickermann
Dieser
Text ist zuerst erschienen im:
Bärenbrüder
USA
2003. Brother Bear. R: Aaron Blaise, Bob Walker. M:
Mark Mancina, Phil Collins. P:
Walt Disney Pictures. Sprecher:
Daniel Brühl, Moritz Bleibtreu, Gedeon Burkhard, Johannes Bachmann 85 Min.
Buena Vista ab 18.3.2004
zur
startseite
zum
archiv