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Baader
Das ist einfach
wow!
"Baader" zeigt den RAF-Boss als Möchtegern-Popstar
Zwei Szenen aus "Baader" bezeichnen den
schmalen Grat, auf den sich dieser radikale Film über Andreas Baader, den
Anführer der ersten Generation der RAF aus den siebziger Jahren, begeben
hat.
Die erste trägt Züge eines Märchens
und variiert das Motiv des Rattenfängers von Hameln. Das Radio trägt
die Nachricht von dreisten Berliner Desperados in die Provinz. Ein junges Mädchen,
Karin Rubner, vernimmt die Kunde am Frühstückstisch. Sie ist im Begriff,
ihr Elternhaus zu verlassen. "Ausgerechnet Berlin", klagt die Mutter.
"Pass auf dich auf!" rät der Vater. In der nächsten Einstellung
rast ein BMW eine Landstraße entlang, wir hören Musik der Politrockband
MC 5. Dann steht Karin plötzlich vor zwei coolen Jungs, die ihr von der
Stadtguerilla erzählen wollen. Karin guckt den deutlich cooleren der beiden
an, grinst und sagt: "Du bist der Baader!" Und er antwortet: "Ich
bin der Baader!" Darauf Karin: "Wow!"
Die andere Szene zeigt die Gruppe auf der Flucht.
Sie sucht Unterschlupf bei einem Schriftsteller. Ulrike Meinhof klagt dessen
Solidarität ein; schließlich habe er geschrieben, dass den revolutionären
Worten endlich Taten folgen müssten! Doch der Schriftsteller windet sich,
reklamiert eine fundamentale Verwechslung von Wort und Tat. Der von Meinhof
zitierte Spruch sei doch nur Fiktion: "Das sagt die Hauptfigur in meinem
Roman. Und der endet tragisch."
Auf solcher Spannung zwischen dem "Wow!"
und dem Beharren auf einem Recht des Künstlers auf Fiktion gründet
der Regisseur Christopher Roth seine filmische Auseinandersetzung mit der schillerndsten
Figur der frühen RAF. Über Andreas Baader kursieren in der RAF-Literatur
und längst auch in der Popkultur einige endlos wiederholte Anekdoten, die
sich aus immer denselben Quellen speisen: Jilian Beckers Buch "Hitlers
Children?" und Stefan Austs Dokumentation "Der Baader-Meinhof-Komplex".
Baader, der Münchner Vorstadtstrizzi, der comiclesende Autoknacker, Macho
und Bohémien; Baader, der 1968 nur am Rande erlebte und von dem als "Mann
der Tat" eine eigentümliche Faszination auf die Intellektuellen ausging.
Das Intelligente an diesem Film ist, dass Roth –
im krassen Gegensatz zu den unzähligen, gern beckmesserischen Zeitzeugen,
die wissen wollen, wie es wirklich war – scheinbar bestätigend auf diesen
kursierenden Bilder- und Anekdotenfundus aufsattelt. Er verwandelt dabei das
Material provozierend antipsychologisch und spielerisch in eine Rückkoppelung
von Oberflächen. Die Geschichte der RAF, der historische Kontext der Studentenbewegung
oder auch die Anekdote über das Beharren auf der schicken roten Samthose
bei der Ausbildung im Palästinenserlager stehen dafür als scheinbar
beliebig abrufbare Datenmenge bereit.
Vor diesen Pop-Art-Hintergrund setzt Roth dann aber
fiktive Akzente. Einerseits zielen diese auf die Essenz der Geschichte (wie
das "Wow!"). Andererseits sortieren sie das Allzubekannte neu, dies
aber nicht in Richtung einer vermeintlich alternativen Authentizität, sondern
vielmehr auf einen alternativen Bilderfundus: Plattencover, Krimifilme, Popkultur.
Roth rekonstruiert den Pop-Mythos "Baader" mit den Mitteln des Pop.
Darin, dass er sich eben dies traut, liegt ein entschieden politisches Moment
des Films.
Zudem – auch dies bewundernswert – gelingt dem Film
eine emotionale Umkehrung, die der zur Pose erstarrten melancholischen Frustration
hinter der frühen RAF auf die Spur kommt. Indem Roth die ohnehin längst
ausdiskutierte moralische Dimension des Stoffes ausblendet, bekommen die Aktionen
der RAF einen fast kindlichen, experimentellen Touch, werden zu einem (gewiss
mörderischen) Räuber-und-Gendarm-Spiel, das von den Strafverfolgungsbehörden
anfangs geradezu amateurhaft mitgespielt wird.
Später wird dann der BKA-Chef Krone (Vadim Glowna),
seinerseits ein geschulter Linker und vielleicht der einzige Materialist dieses
Films, den Outlaws einen Fahndungsapparat entgegensetzen, der ihr Handeln zu
durchschauen und zu prognostizieren vermag. In einer der zauberhaftesten Szenen
kommt es zu einem nächtlichen Treffen der beiden Gegenspieler, die einander
so gut verstehen und die einander bedürfen – wie, vielleicht, Vater und
Sohn. Hier wähnt man sich unvermittelt in einem der Gangsterfilme von Jean-Paul
Melville oder Michael Mann.
Auch der Film lädt zu solchen Vermutungen ein.
Baader wähnt sich in (s)einem Film. Wenn Baader und Ensslin ins Kino gehen,
schauen sie sich Klaus Lemkes "48 Stunden bis Acapulco" an, ein Film,
in dem deutsche Schauspieler recht unbewegt das Genre Gangsterfilm nachspielen
– aus Liebe zum Kino. "Baader" zeigt Baader beim Zitieren von Zitaten.
Am Ende stirbt Andreas Baader in "Baader"
einen spektakulären Filmtod im Kugelhagel der Polizisten, eine Mischung
aus "Bonnie
& Clyde" und "Butch
Cassidy & Sundance Kid". So endet "Baader" anders als in
der Realität mit einem blutigen Theatercoup, denn: "Stammheim, das
ist ein anderer Film", so der Regisseur Christopher Roth. Dies sicherlich
auch als Ausdruck der gewagten These, dass, hätte man der RAF die Möglichkeit
gegeben, Filme zu drehen, die Bomben womöglich ungelegt geblieben wären.
Ja, das mag blanker Unsinn sein, aber es ist (wie der Film "Baader")
eine interessante Verbeugung vor einer Idee vom Kino, die (wie die RAF) von
der Geschichte bekanntlich längst ad acta gelegt worden ist.
Ulrich Kriest
Dieser Text ist zuerst erschienen
in der Stuttgarter Zeitung
Zu diesem Film gibt’s im archiv mehrere Texte
Baader
Deutschland
2002 – Regie: Christopher Roth – Darsteller: Frank Giering, Laura Tonke, Vadim
Glowna, Birge Schade, Michael Sideris, Jana Pallaske, Sebastian Weberstein,
Hinnerk Schönemann, Sarah Riedel – FSK: ab 12 – Länge: 114 min. –
Start: 17.10.2002
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