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Axel
von Auersperg
1. Akt. In einem mittelalterlichen
Kloster sorgt sich die Äbtissin (Peggy von Schnottgenberg = Frank Ripploh)
um die Novizin Sara de Mauper (Gundula von Woyna): »Sara ist mit einer
gefährlichen Macht begabt: mit Intelligenz.« Der Archediakon (Evelyn
Künneke) erteilt der Novizin im liturgischen Bluesrhythmus (sie singt ohne
Musikbegleitung) kirchlichen Rat: »Hör auf, menschlich zu sein; sei
göttlich.« Saras Augen treffen auf die wüst geschminkte Schwester Aloisia
(Milli Büttner). Sara legt das Gelübde der Keuschheit nicht ab. Äbtissin
und Nonnen kreischen laut. Sara entflieht. – 2. Akt. Meister Janus (Michael
Otto), kahlköpfig, nackt, thront im Schneidersitz unter dem siebenzackigen
Stern. Seine okkulte Botschaft: »Sooft du liebst, wird dich der Tod ereilen.
Deshalb richte all deine Gedanken auf das unerschaff’ne Licht.« Sein Zuhörer nimmt
den Rat nicht an. Es ist Graf Axel von Auersperg (Vincent Kluwe). – 3. Akt.
Sara, einerseits auf der Flucht, andererseits auf der Suche nach dem Familienschatz,
zückt den Dolch und stößt ihn in die Augenhöhle eines Totenschädels.
Der Film, schwarzweiß bisher, wird farbig, und alle Schätze der Welt
prasseln auf Axel und Sara hernieder. Geigen schluchzen, und vor dem Teppich-mit-dem-röhrenden-Hirsch
werden beide ein Liebespaar. »Es ist die Vollendung einer Wonne«:
Axel posiert im Stil der Kitschpostkarte. Um das Glück ewig zu bewahren,
treffen ihre Lippen über dem Giftkelch zusammen. Die Rosenscheibe dreht
sich, und die Kamera (Bernd Upnmoor) fährt mit kreisenden Überblendungen
zurück, diese Welt verlassend. Wohl nur versehentlich bleibt ein Scheinwerfer
am linken Bildrand zurück.
Der Atelier- und Kostümfilm,
der nach der Vorlage des Theaterstücks von Villiers de l’Isle-Adam (1838-1889)
im Hochsommer 1973 in Berlin gedreht wurde, sollte nach dem Wunsch des Auftraggebers
(ZDF) die damals anrollende Nostalgiewelle entlarven. Doch Praunheim parodierte
nicht nur den spätromantisch-symbolistischen Schwulst des Theaterstücks,
sondern machte ihn sich gleichzeitig auf die liebevollste Weise zueigen. Der
Film verdoppelt die übergroßen Gefühle und die Worte, die der
Dichter und Nazibarde Hanns Heinz Ewers ins Deutsche übertragen hatte. Das
war out und wurde vor zehn Jahren nicht verstanden. Die Dreiheit Kirche, Mystik,
Liebestod war im AXEL VON AUERSPERG keine ferne, die man hätte »entlarven«
können, sondern eine distanzlos gegenwärtige. Sie sitzt in diesem
Film auf der Haut wie ein Fummel, mit dem man die Obsession öffentlich
macht. Praunheim beruft sich auf Cocteau und Genet, die das Gegenwärtige
der abgelebten großen Gefühle zu formulieren gewußt hätten.
Er braucht jedoch keine Bürgen. Der Film ist ohne Vorbild. Er ist home
made.
Als Filmatelier diente wieder
die Abrißfabrik in einem Hinterhof der Dennewitzstraße. Das Format
war 35 mm, die Arbeit langsam und präzis. Der Regisseur, der das »irgendwie
lernen wollte«, litt jedoch unter der »unspontanen und sterilen«
Atmosphäre. Aufgenommen wurden die Szenen im play back-Verfahren, das heißt:
agiert wurde zu einem vorher fertiggestellten Tonband, das während der
Aufnahmen ablief. Der Archediakon-Darstellerin Evelyn Künneke brachte das
Verfahren ein glänzendes Comeback. Ihre Stimme ist hörenswert. Peggy
von Schnottgenberg (Frank Ripploh) ist sehenswert. Praunheim hatte ihn, der
als politisierter Schwuler aus Münster, der Stadt der ersten deutschen
Homodemo, nach Berlin gekommen war, in einem Stockwerk unterhalb des Filmateliers
kennengelernt, welches er an die Homosexuelle Aktion Berlin untervermietet hatte.
Die Drehzeit wurde eigens für den Lehrer Ripploh auf die Schulferien abgestimmt.
Die Rolle des Grafen von Auersperg war mit einem ungewöhnlich hübschen
Rocker aus Kreuzberg besetzt. Vincent Kluwe nutzte den Geldjob und fraß
alle Schokoladenmünzen auf, die zum Dekor gehörten. Die Professionalität
der Aufnahmen verhinderte, daß solche Disziplinlosigkeiten in den Film
eingingen.
Das ZDF hatte den Film mit 170
000 Mark finanziert, Praunheim gab 27 000 Mark dazu. Das Fernsehen war mit dem
Produkt nicht einverstanden. Nach einer halbjährigen internen Diskussion
kürzte es den Film um eine halbe Stunde, nämlich um den ersten Akt,
der Evelyn Künneke in der Rolle des Archediakons zeigt. Als Praunheim wenige
Tage vor der Sendung (20. Februar 1974) den kompletten Film im hamburger Abaton-Kino
der Presse vorstellen wollte, verhinderte das ZDF diese Aufführung durch
eine Einstweilige Verfügung. Der Zensurakt schlug Wellen in der Öffentlichkeit.
Da rief das ZDF seinerseits die Presse zusammen. In der Konferenz traten die
höchsten Funktionäre auf: der Programmdirektor (Gerhard Prager), der
Fernsehspiel-Leiter (Hajo Schedlich) und der Redakteur vom Kleinen Fernsehspiel
(Christoph Holch). Holch begründete die Streichung des Archediakon-Teils
damit, daß »alles um die Künneke einfach schlecht inszeniert«
sei. Praunheim sah sich dem überraschenden Vorwurf ausgesetzt, der Film
sei rechtskonservativ. Er protestierte gegen Zensur und Willkür. Das Fernsehen
berief sich auf Staatsvertrag und die religiösen Gefühle der Zuschauer.
– Gesendet wurde der Film als »mißlungenes Experiment«; der
erste Akt wurde durch eine verbale Inhaltsangabe ersetzt. Praunheim bekam fünf
Jahre lang beim ZDF nichts mehr zu tun.
In den Kinos lief der Film ungekürzt.
Resonanz fand er in Paris. Dort war im Juni 1974 eine Kopie in der Originalversion
mit – wenigen – französischen Untertiteln im neu eröffneten Le Marais
in der Rue du Temple zu sehen. Die Kritiker rezensierten den Film nach literarischen
und cineastischen Maßstäben. Gilles Jacob empfahl den Film für
Villiers-Kenner, da die Filminszenierung mit den düstren Villiers-Lyrismen
in der Tat Affinität habe. Robert Chazal empfahl dagegen den Film für
eingefleischte Cinephile. Louis Chauvet tat den Film als »bizarre Fantasie«
ab, wobei er der Sache näher kam. Ähnlich stellte Colette Godard Praunheim
als einen von den deutschen sophisticated Regisseuren vor und beschrieb ihn
liebevoll-mütterlich als einen, der »diskret« auftritt, »wie
ein schüchterner junger Mann, mit kurzen Haaren, Lederjacke und T-Shirt« .
Die persönliche Adresse war die passende Antwort auf einen Film, der in
der Tat keine literarischen und cineastischen Meriten erwerben wollte. Die Formulierung,
der Film sei eine »köstliche respektvolle Parodie«, berechtigt
zur Annahme, daß Praunheims Doppelstrategie wenigstens hier verstanden
war.
Freilich fanden nicht alle charmant,
was »kindlich, naiv und penetrant« ist (so Praunheims Selbsteinschätzung).
Praunheim, verunsichert, stellte später aus den 75 Filmminuten – einschließlich
der 30 Minuten des wegzensierten 1. Akts – eine Kurzfassung von 28 Minuten her.
Diese Version ist von den Autoren dieses Bandes besichtigt worden.
Dietrich Kuhlbrodt
Dieser Text ist zuerst erschienen in: Rosa von Praunheim; Band 30 der (leider eingestellten) Reihe Film, herausgegeben in Zusammenarbeit mit der Stiftung Deutsche Kinemathek von Peter W. Jansen und Wolfram Schütte im Carl Hanser Verlag, München/Wien 1984, Zweitveröffentlichung in der filmzentrale mit freundlicher Genehmigung des Carl Hanser Verlags
AXEL
VON AUERSPERG
BRD
1973
Regie
und Drehbuch: Rosa von Praunheim, nach dem Theaterstück von Villiers de
l’Isle-Adam in der Übersetzung von Hanns Heinz Ewers. – Kamera: Bernd Upnmoor.
– Musik: Holger Münzer. – Bauten: Günter Lüdecke. – Kostüme:
Barbara Paede. – Maske: Inka JeanJacques. – Licht: Karl Rostek, Eckehard Heinrich.
– Darsteller: Gundula von Woyna (Prinzessin Sara de Mauper), Vincent Kluwe (Graf
Axel von Auersperg), Evelyn Künneke (Archediakon), Peggy von Schnottgenberg,
i. e. Frank Ripploh (Äbtissin), Milli Büttner (Schwester Aloisia),
Michael Otto (Meister Janus), Willi Perlwitz, Max Müller, Gerhard Nadolny
(Die Veteranen), Kurt Rudolph (Herr Zacharias), Roger Losch (Der Kommandant).
– Produktion: Rosa von Praunheim im Auftrag des ZDF. – Redaktion: Hajo Schedlich.
– Produktionsleitung: Regina Ziegler. – Drehort: Berlin. – Produktions-Kosten:
170 000 DM. – Format: 35 mm, sw & Farbe (Eastmancolor). – Original-Länge:
ca. 75 min; TV-Länge: 45 min; letzte, von Rosa von Praunheim erstellte
Schnittfassung: 28 min. – TV: 20.2. 1974.
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