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Aviator
Martin
Scorseses großes amerikanisches Biopic
Obwohl
er einer der größten Regisseure seiner Generation ist, muss Martin
Scorsese um seine Produktionsbedingungen und sein Publikum kämpfen. Nach
dem Misserfolg der GANGS OF NEW YORK übernahm er den Howard-Hughes-Stoff
von Michael Mann. Und verwandelte ihn sich so vollständig an: AVIATOR ist
nicht bloß ein typischer Scorsese-Film geworden, sondern auch einer der
besten.
Es
gibt wohl kaum einen Filmemacher, der so quer zur Stimmung des Mainstream der
USA in den Zeiten der Bush-Administration liegt wie Martin Scorsese. Das heißt
nicht nur, dass Scorsese gegen die reaktionäre Wende in Politik und Kultur
ist, wie der Großteil Hollywoods auch, es heißt, dass dieser Regisseur
die amerikanische Geschichte einer beständigen Revision unterzieht, dass
seine Filme sich ebenso zu einem Selbstporträt wie auch zu einer Gegen-Geschichte
seines Landes formen. Von BOXCAR BERTHA über THE AGE OF INNOCENCE, GOODFELLAS und
CASINO führt
eine Linie zu GANGS
OF NEW YORK:
Konstruktion und Dekonstruktion von Geschichte und Traum-Geschichte der USA.
AVIATOR
zeichnet das Leben des abenteuerlichen Millionärs, Konstrukteurs, Filmemachers
und Kranken Howard Hughes nach, das exemplarisch genug für die Möglichkeiten
von Größe und Elend in Amerika sein mag, in der großen mythischen
Erzählung vom Kampf des Einzelnen gegen das System – und im System. Scorseses
Film konzentriert sich auf die Jahre zwischen 1930, Hughes’ Einstieg ins Filmgeschäft,
und 1947, dem Jahr der ersten Testflüge mit der Blue Spruce. Aber die erste
Einstellung und die letzte weisen auf eine magische Lebensgeschichte. Sie geben
der Metapher der politischen und sexuellen Ökonomie, die im Plot entwickelt
wird, die transzendentale Anreicherung. Wir sehen den kleinen, ernsten Jungen,
der im gigantischen Haus der Familie Hughes von seiner Mutter im Badezuber gewaschen
wird, wie in einem heiligen, erotischen Ritus vorbereitet auf eine Welt, die
sich ihm zugleich als unterwürfig und feindselig zeigen wird, und wir sehen
Hughes, nun 42 Jahre alt, gleichsam stecken geblieben zwischen seiner Krankheit
und seiner Kraft zum Visionären.
Hughes,
von einem bewundernswert disziplinierten Leonardo DiCaprio dargestellt, hat
von seinem Vater, der starb, als er 18 war, ein Vermögen geerbt. Aber Hughes
Tool Co. genügt ihm nicht, er kommt nach Los Angeles wird Filmproduzent,
lanciert Filme wie HELL’S ANGELS, THE FRONT PAGE und SCARFACE, Karrieren wie
die von Jean Harlow. Der Fliegerfilm HELL’S ANGELS, in den Hughes all seine
Leidenschaft und sein Geld steckt, wird 1928 als Stummfilm begonnen und nach
einer komplizierten Produktionsgeschichte einer der ersten großen Tonfilmerfolge.
Es ist die erste einer Reihe von Wiedergeburten.
In
Hollywood blieb Hughes dennoch ein Außenseiter, nicht nur, weil er sich
immer um andere Wirtschaftszweige und seine zweite Passion, den Flugzeugbau,
kümmerte. Sondern auch, weil er stets einen bemerkenswerten Kampf gegen
die etablierten Kräfte führte – er war so etwas wie ein rebellischer
Unternehmer, Erfüllung und Alptraum in der Mythe des amerikanischen Kapitalisten,
der seine Macht stets nur für den nächsten Schritt in die Zukunft
und nicht für die Zementierung der korrupten Strukturen benutzt. Dieser
Mythos, so zeigt es der Film von Martin Scorsese, funktioniert indes nur in
seiner eigenen Zerstörung.
So
konzentriert der erste Teil, so variantenreich aufgelöst ist der zweite:
eine Liebe – zu Katharine Hepburn -, ein Ziel – die Einheit von Ästhetik
und Technik, Film und Konstruktion, Erotik und Maschine – im ersten, Auflösung
der Liebes-, Unternehmens- und Wahrnehmungsgeschichte im zweiten Teil. Nach
dem Bruch mit Hepburn wechselt Hughes zwischen der jungen Faith Domergue und
Ava Gardner, werkelt an dem Western THE OUTLAW und stürzt mit der experimentellen
CF-11 -Maschine auf die Straßen von Beverly Hills. Er überlebt knapp
– der dritte Teil behandelt eine neue, die extremste Art von Wiedergeburt.
Die
für den Howard Hughes des Films bedeutendsten Liebesgeschichten sind die
mit Katharine Hepburn (Cate Blanchett) und Ava Gardner (Kate Beckinsale); was
die historische Genauigkeit anbelangt, lässt das Script ziemlich viel aus,
was weiteren Glamour-Stoff abgegeben hätte. AVIATOR konstruiert offensichtlich
einen Familien- und Liebesroman, der weniger mit Howard Hughes als mit einer
weiteren Untersuchung über Männer und Frauen im Scorsese-Reich der
Sinne und der Dinge zu tun hat. John Logan und Scorsese waren offensichtlich
nicht an einer vollständigen Biographie, sondern an einem „Modell"
interessiert.
Was
AVIATOR unternimmt, ist nicht weniger als der technischen Projektion der Moderne
und der Konstruktion des amerikanischen Kapitalismus auf den sexuellen Grund
zu gehen. Unerschöpflich dabei die Verwandlungen von Körpern und Maschinen.
Am Anfang könnte man einfach sagen, Hughes sei einer, der Flugzeuge wie
Frauen, und Frauen wie Flugzeuge behandelt, und der sein Begehren wie eine Kamera
und seine Kamera wie ein Begehren verwendet, aber dann werden die Verhältnisse
komplizierter. Und wie in diesem Howard Hughes ein Selbstporträt von Martin
Scorsese steckt, so stecken in den mehr oder weniger historischen Frauen-Bildern
des Films Liebeserklärungen des Regisseurs. Wie Katharine Hepburn bleibt
Ava Gardner Hughes gegenüber unabhängig; sie weist alle seine Geschenke
zurück, aber sie erweist sich in den entscheidenden Momenten als Freund.
Gwen Stefani, Pop-Star, ist perfekt in der Rolle der Jean Harlow, noch nicht
Traum und nicht mehr Mensch, und Kelli Garner gibt die junge Faith Domergue,
die sich vom großen Howard Hughes gleichsam als Frau erfinden lässt.
Ganz direkt und einigermaßen aggressiv begegnen sich da die Frauen, die
Hughes „gemacht" hat, und die, die ihn „gemacht" haben. Es sind die
wechselseitigen Schöpfungsgeschichten, welche die Dynamik des Mythos ausmachen.
Darin wird die Kette des Scheiterns dialektisch, Macht und Liebe gruppieren
sich in immer neuen, falschen Verhältnissen.
An
Psychoanalyse, gerade auch der Hauptfigur, ist Scorsese nicht viel gelegen.
Viel wichtiger ist die Krankheit der Zeit. In einem Amerika, das sich durch
den Krieg beschleunigt, technifiziert, ausbreitet und fetischisiert, in dem
das Gestaltlose und Maskierte obsiegt, und in dem Kapital und Politik einen
neuen Pakt geschlossen haben, ist einer wie Howard Hughes zugleich Opfer und
Täter. AVIATOR ist ein Film darüber, wie Amerika wurde, was es ist,
und nicht, was es hätte werden können. Die Geschichte der USA (und
die Geschichte der Freiheit) ist nicht die von Legalisierung und Zivilisierung,
sondern eine Spirale der Barbarei.
AVIATOR,
der in einer neuen Welle der Biopics aus Hollywood kommt, steckt voller Scorsese-ismen.
Aber dem Regisseur ist es hier gelungen, die mehrfache Lesbarkeit seines Films
für ein breiteres Publikum offen zu halten. Das liegt sicher auch am Star-Appeal
und an den eindrucksvollen technischen Effekten mit sehr behutsamen Übergängen
zwischen CGI und traditionellen Stunts, es liegt daran, wie der Film seine Zeit
rekonstruiert, daran, wie man die Verhältnisse in den Dingen spüren
kann, und wie jede Einstellung zugleich „Stimmung" und „Diskurs" vermittelt.
Selbst die Farbe, der Wechsel vom two-tone-Technicolor aus Hughes Zeiten zum
three-tone-Prozess des modernen Films, hat zugleich ihre historische Richtigkeit
und ihre ästhetisch-moralische Tiefenstruktur. Scorsese nimmt die Zuschauer
dieses Mal behutsamer und zärtlicher an der Hand. AVIATOR ist ein Film,
in dem man die Veränderung des Sehens begreift, aber auch einer, der nicht
verbergen will, dass die Wahrnehmung durch den technischen Fortschritt zwar
reicher, aber keinesfalls klarer wird.
Georg
Seeßlen
Dieser
Text ist zuerst erschienen in:
Zu
diesem Film gibt’s im archiv
der Filmzentrale mehrere Kritiken
Aviator
THE
AVIATOR
USA
2004. R: Martin Scorsese. B:
John Logan. P: Michael Mann, Sandy Climan, Graham King, Charles Evans Jr. K:
Robert Richardson. Sch: Thelma Schoonmaker. M: Howard Shore. T:
Peter Hiddal, Philip Stockton. A: Dante Ferretti, Daniel Ross, Robert Guerra.
Ko:
Sandy Powell. Sp:
R, Bruce Steinheimer. Pg: Warner/Miramax/Initial Entertainment/ Cappa/IMF. V:
Buena Vista. L: 166 Min. Da: Leonardo DiCaprio (Howard Hughes), Cate Blanchett
(Katharine Hepburn), Kate Beckinsale (Ava Gardner), Jude Law (Errol Flynn),
Gwen Stefani (Jean Harlow), Alec Baldwin (Juan Trippe). Start: 20.01.2005
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