Ausnahmezustand
Wochen vor der anglo-amerikanischen Militäraktion “Operation
Wüstenfuchs” hatte AUSNAHMEZUSTAND (The Siege) in den USA für heftige
Diskussionen gesorgt. Noch während der Dreharbeiten hatte sich seitens
Organisationen wie dem „CounciI on American-Islamic Relations” Protest
geregt, und mit dem US-Start wurde AUSNAHMEZUSTAND endgültig zum
Politikum. Man sprach von antiarabischer Hetze, namhafte Journalisten
unterstützten den “Council on American-Islamic Relations” in seiner
Kritik, vor Kinos wurden Flugblätter verteilt. “Die rassistischen
Stereotypen”, erklärte Roger Ebert in der Chicagoer “Sun-Times”, ” sind
so infam wie der Antisemitismus, der die Filme und die Presse der 30er
Jahre in Europa vergiftete.” AUSNAHMEZUSTAND, inszeniert, geschrieben und
produziert von Edward Zwick (LEGENDEN DER LEIDENSCHAFTEN), handelt von
der Bedrohung New Yorks durch “islamische Terroristen”, die ihren
verhafteten Anführer freipressen wollen. AUSNAHMEZUSTAND, vielschichtiger
wie problematischer Blockbuster, der sein Thema nach allen Regeln des
Action-Kammer-Spiels umsetzt, ist zugleich auch ein Film über das und mit
dem FBI.
Wir kennen diese Organisation, oder besser: wir haben Bilder über sie
zur Verfügung. FBI, das ist das aalglatte, undurchsichtige Geflecht von
gut ausgebildeten Helfershelfern der verstaatlichten Lüge und Gewalt in
Filmen wie DIE UNBESTECHLICHEN, JFK und NIXON. Es ist die Vereinigung der
(letzten) guten Jungs, die z.B. in MISSISSIPPI BURNING, oder kürzlich in
DER SCHAKAL mit allen Mitteln und in gepflegt-langweiliger Garderobe
überall (jetzt auch inMoskau) für Zucht und Ordnung sorgen. Das FBI ist aber auch ein Hort seltsamer,
sympa-thisch verschrobener Typen und bisweilen sogar psychischer
Deformationen, die in “Twin Peaks”und TWIN PEAKS: FIRE WALK WITH ME
sichtbar werden oder in DAS SCHWEIGEN DER LÄMMER eine Rolle spielen.
Etwas Geheimnisvolles umgab nicht nur die jeweiligen Fälle, woraus sich
u.a. das Bild der schwermütigen Mysterien-Forscher und -Verwalter
entwickelte, das derzeit Serien wie “Akte X” weltweit exportieren.
Wenn aber diese dunklen Anzüge ohne Privatleben (ein Wunder, wenn nachts
das Telefon mal nicht zum Einsatz ruft) zu unzweifelhaften Helden
avancieren, dann braucht es einen Feind. Den findet Agent Anthony Hubbard
(DenzelWashington) in besagten islamischen Terroristen. Die
angstverzerrten Gesichter von deren Opfern sehen wir lange genug durch
die Scheiben eines gekaperten Autobusses, um die radikalen Methoden
goutieren zu können, die Hubbard anschließend ausrufen wird. Blut auf dem
weißen Kragen. Das nächste Mal, so lautet die Konsequenz dieser
Erfahrung, wird nicht mehr verhandelt: Hubbard schreitet entschlossen und
in heldenhymnischer Zeitlupe auf eine Tür zu, tritt sie ein und erschießt
ohne Vorwarnung (und spätere Vorwürfe) den Entführer unschuldiger
Schulkinder. Bald darauf werden drei offensiv ungepflegte Verdächtige,
die “eine fremde Sprache sprechen und den ganzen Tag fernsehen”, von
unzähligen Kugeln durchsiebt, wonach sich zwei der beamteten Schützen
aufmunternd abklatschen. So wird es weitergehen – neue, brutale und
unberechenbare Anschläge, New York im Würgegriff des fundamentalistischen
Terrors, die Behörden schießen zurück, Brooklyn als Keimzelle der
Verschwörung und das FBI unter Zugzwang.
Indem die Bedrohung im Innern (der USA bzw. New Yorks) angesiedelt wird,
appelliert sie an uralte Ängste vor unsichtbarer Verwandlung, dem
unheimlichen Verlust des Vertrauten. Eine schleichende Metamorphose des
nationalen Körpers, bei der die mutierten Kakerlaken des New Yorker
U-Bahnsystems aus Del Toros Horrorthriller MIMIC durch die
“arabischstämmige” Bevölkerung in Brooklyn ersetzt werden. Entsprechend
wird hier von Terrorgruppen wie von Infektionskrankheiten oder von
Ungeziefer gesprochen, dessen abgetrennte Glieder sich immer wieder
erneuern.
Doch es wird noch schlimmer. Hubbard bekommt es mit dem despotischen
General Deveraux (Bruce Willis) zu tun, der die Bedrohung für seine
Zwecke nutzt und New York im Ausnahmezustand zum Königreich seiner
Willkür erklärt. Die US-Streitkräfte besetzen die Stadt, und die
Brutalität, mit der Hubbards FBI gegen Verdächtige und Überführte
vorgegangen war, wird von Deveraux auf ein Maß gesteigert, das selbst
Hubbard nicht mehr gutheißen kann. Deveraux führt höchstpersönlich die
Folter wieder ein. Außerdem werden alle männlichen “Araber” Brooklyns in
einem Footballstadion interniert. Eine bemerkenswerte Platzwahl –
immerhin hat auch die Brut der letzten so umfassenden Bedrohung New Yorks
ihren Platz in einer Sportarena finden dürfen. Dieses Andere war
ebenfalls assimilierungsunwillig aus südöstlicher Richtung eingewandert
und hieß Godzilla.
Neben Widerpart Deveraux haben noch zwei weitere Personen mit Hubbards
Kampf zu tun: die CIA-Agentin Elise Kraft (Annette Bening) und Hubbards
Partner Frank Haddad (Tony Shalhoub). Wenn Hubbard der gute Schwarze ist,
dann gibt Frank Haddad den guten Araber und Elise Kraft die, wie kann es
anders sein, mysteriöse weiße Frau. Während Frank zwangsläufig zum Opfer
werden muß (aktiv arabisch ist nur der Terrorist), ist Elise auf ihre Art
– und das bedeutet sexuell – zunächst einmal den Tätern näher. Durch sie dringt das Andere bildhaft in das
Eigene ein: Sie schläft mit dem verdächtigen “arabischen Professor” Samir
Nazhde (Sami Bouajila) und muß darum zur Strafe den weiblichen Opfertod
sterben.
Zurück zum Vorwurf des Rassismus. “DieserFilm”, argumentiert Edward
Zwick, “befördert nicht Stereotypen, sondern zeigt gerade, welche
Katastrophen Stereotypen heraufbeschwören. “Wie sehen diese Katastrophen
aus? Menschen werden als gesichts- und geschichtslose Vielzahl
eingegesperrt: “die Araber”, darunter auch der Sohn von Frank Haddad,
hinter Schloß und Drahtzaun, womit die Militärs durchaus in die Nähe des
NS-Regimes gerückt werden. Schließlich entpuppen sich auch die
Terroristen als von den USA ausgebildete und provozierte Polit-Bumerangs
– die Bedrohung als nun ganz und gar hausgemachtes Desaster setzt die
nationale Nabelschau fort. Einerseits formuliert AUSNAHMEZUSTAND damit
Kritik an der politischen und militärischen Führung und Zweifel am
vorangeschickten Bild des arabischen Aggressors. Gleichzeitig aber können
wir Deveraux, den Drahtzieher auf allen Ebenen, wiederum als die
Zuspitzung der Angst vor dem Verlust des Eigenen begreifen. Er
repräsentiert das fortgeschrittene Stadium der schleichenden Verwandlung,
ist bereits der unwissende Handlanger der islamischen Bedrohung:
“Vielleicht wollen die nur”, schreit ihm Hubbard entgegen,”daß wir uns so
verhalten. Wenn Sie das tun, General, dann haben die schon gewonnen.” So
gesehen, erhielten auch die Protestmärsche der aufgebrachten
multikulturellen Gemeinde New Yorks gegen das Vorgehen des Militärs einen
besonderen Beigeschmack. Nicht die Stereotypen an sich, sondern das, was
sie in AUSNAHMEZUSTAND bezeichnen, wären in dieser (Hubbards) Logik die
Ursache der “Katastrophe”.
Diese Stereotypen vermitteln insofern weniger ein Bild “des Arabers” als
vielmehr eines der Hierarchie vom Eigenen und Anderen. Das Andere, das
sich wahlweise über Terroristen, den diabolischen General oder die
“infizierte” Frau visualisiert, und das Eigene, das bemerkenswerterweise
durch einen entsexualisierten und also hinsichtlich Vermehrung
ungefährlichen Afroamerikaner vertreten und geschützt wird, sind hier
durch ihre Unschärfe miteinander verbunden. Was es zu verteidigen gilt,
wird von Hubbard an einer Stelle des Films seltsam unglaubwürdig mit
“Demokratie” gefaßt. Der Kampf der unamerikanischen Terroristen bleibt
ebenso wenig klar motiviert. Es ist eben, wie es ist, oder um es mit
Hubbards Direktive an seine Untergebenen zu sagen: “Ich brauche Namen,
ich brauche Fotografien – und keinen Geschichtsunterricht!”
Die Front liegt nicht in Bagdad, sondern im Innern der USA, und die
“islamischen Terroristen” sind keine Schergen Saddam Husseins. Überdies
ist das Verhältnis zwischen Film als vielleicht wichtigstem Teil der
Massenkultur und konkreter Kriegsführung zu komplex, um AUSNAHMEZUSTAND
in eine Analogiebeziehung zur “Operation Wüstenfuchs” zu setzen. Dennoch
erhält AUSNAHMEZUSTAND vor diesem Hintergrund eine Brisanz, die den
Diskussionen um Edward Zwicks Film eine neue Grundlage verschafft und die
grundsätzliche Frage nach der kulturellen und politischen Bedeutung von
Kino wiederbelebt. In diesem Sinne wäre Zwicks Satz über Stereotypen und
Katastrophen ein interessanter Ausgangspunkt.
Jan Distelmeyer
Dieser Text ist zuerst erschienen Februar 1999 in:
Ausnahmezustand
(The Siege)
USA 1998. R: Edward Zwick. B: Lawrence Wright, Menno
Meyjes. Edward Zwick. P: Lynda Obst, Edward Zwick. K:
Roger Deakins. Sch: Steven Rosenblum. M: Graeme Revell. T:
Allan Beyer. A: Lilly Kilvert, Chris Shriver. Ko: Ann
Roth. Sp: Paul Lombardi. Pg: Fox. V; Fox. L 116 Min.
FSK: 16. ffr. St: 21.1.1999. D: Denzel Washington (Anthony
Hubbard), Bruce Willis (General William Devereaux),
Annette Bening (Elise Kraft/Sharon Bridger), Tony Shalhoub
(Frank Haddad), Sami Bouajila (Samir Nazhde), David Proval
(Danny Sussman), Lance Reddick (Floyd Rose), Liana Pai
(Tina Osu), Mark Valley (Mike Johanssen).