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Aus
der Ferne
Ein wahrer Dokumentarfilm ist eine im Grunde tautologische
Sache: Man sieht, was man sieht, so wie es gezeigt wird. Das ist, im besten
Fall, kein Mangel, sondern gerade der Reichtum einer Dokumentation. Es ist und
wird und bleibt eine Sache des "Da Seins", mit allen Komplexitäten,
die in dieser Wendung stecken. Und da das eine Sache des Zeigens und nicht des
Erzählens ist, bedarf sie nicht vieler Worte. Thomas Arslans "Aus
der Ferne" ist ein großartiger Dokumentarfilm, der uns etwas zu sehen
gibt, indem er unserem Blick Richtungen gibt, aber keine Vorschriften macht.
Was die Kamera registriert, gibt sie uns, "Aus der Ferne" so nah,
auf dass wir es sehen.
Thomas Arslan gehört zu einer Gruppe von deutschen
Filmemachern – unter ihnen auch Angela Schanelec und Christian Petzold -, die
von der Kritik als "Berliner Schule" bezeichnet wurden. Was sie gemeinsam
haben, ist ein ungewöhnliches Maß an ästhetischer Reflexion.
Das spürt man – als Abwesenheit von Klischees und Dummheit – in jedem Bild
dieses Films, der in Istanbul beginnt und sich dann in die östlichsten
Gegenden der Türkei bewegt. Es gibt ein bezeichnendes Bild, das wiederholt
auftaucht, bei jedem wichtigen Schritt auf dieser Reise. Es ist eine Einstellung,
aus Zimmern ins Freie gefilmt. Was man sieht in diesen Einstellungen, ist ein
offenes Fenster und ein Blick, aber auch der Rahmen des Fensters, den es braucht,
damit das "Da" zum Kinobild wird. Ein wahrer Dokumentarfilm ist ein
Fenster zur Welt, das nie verleugnet, dass es kein Bild gibt ohne Rahmen und
ohne Verfahren des Rahmens. Die Stimme des Regisseurs fügt diesen Einstellungen
nur die Fakten hinzu und die Position des Erzählers.
Thomas Arslan ist in der Türkei geboren und
zur Grundschule gegangen. Er kam nach Deutschland, als sein Vater die Heimat
verließ – eine Heimat, in die Arslan zwanzig Jahre lang nicht zurückgekehrt
war. So viel erfahren wir über ihn. Die Türkei ist das Land seiner
Kindheit und das könnte erklären, warum er vorzugsweise Kinder zeigt
in seinem Film. Kinder, die versunken sind in Spiele und Handlungen, aber auch
Kinder bei der Arbeit und Kinder im spielerischen Umgang mit der Gegenwart der
Kamera, die so deren Abwesenheit spürbar machen, die Abwesenheit dessen,
was uns zeigt, was da ist.
Arslans Kamera bewegt sich nicht viel. Sie folgt
der Bewegung Richtung Osten, indem sie die Straßen filmt und die Landschaften
auf dem Weg. Und ein paar Mal eröffnet sie Plätze in Städten
und Räume mit wundervollen Schwenks, die dem Zuschauer einen Eindruck vermitteln
nicht nur der Offenheit für das "Da Sein" der Welt, aber auch
für die Kraft der Dokumentation, dieses "Da" sichtbar zu machen
– in den Grenzen, versteht sich, des tautologisch Möglichen.
Ekkehard Knörer
Dieser Text ist zuerst erschienen
in:
Aus
der Ferne
Deutschland
2005 – Regie: Thomas Arslan – FSK: ohne Altersbeschränkung – Fassung: O.m.d.U.
– Länge: 89 min. – Start: 23.3.2006
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