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Die Aufschneider 

Professor Keller ist ratlos. Auf seinem Chefarztschreibtisch liegen zwei Zigarettenpackungen. „Stellen Sie sich vor“, sagt der Vorsitzende des ministeriellen Gremiums, „die Schachtel mit den ‘Lights’ ist Ihre Eichwald-Klinik, die ‘Kräftigen’ symbolisieren das benachbarte Krankenhaus St. Georg. Eins von beiden muss der Gesundheitsreform weichen.“ Zwar bekommen beide Häuser eine Frist eingeräumt, sich zu bewähren. Aber zehn Tage sind nicht viel, um sich ein tragfähiges Klinik-Konzept aus den Rippen zu schneiden. St. Georg nebenan scheint in Sachen Effizienz und High-Tech-Medizin ohnehin unschlagbar. Bevor das „unabhängige“ Gremium abzieht, wird en passant noch die „Eichwald“-Zigarettenschachtel zerknüllt. Düstere Aussichten für den Chef, seine Klinik und das Team – das in Folge aber so hochgradig gutherzig-deppert auftritt, dass dem Zuschauer die Sorge ums Happy End nicht wirklich Kopfzerbrechen bereiten muss.

 

Lachen ist bekanntlich gesund. Insofern sezieren „Die Aufschneider“ mit Erfolg das Krankenhaus-Genre, das nur noch im Fernsehen feste Sendeplätze einnimmt. Der Kino-Doktor des NS- und Nachkriegsfilms scheint längst ins Koma gefallen zu sein. Von der Leinwand verschwunden sind all die Sauerbruchs und Holts und Prätorius’, die bis in die 1960er-Jahre omnipotent und gütig lächelnd bedürftige Patienten versorgten und mit Hellsicht hochriskante Operationen wagten. An ihnen gemessen, sind selbst die aktuellen TV-Ärzte keine „Halbgötter in Weiß“ mehr. Dieser Typ Doktor überlebt höchstens im Groschenheft, wie ein böser Running Gag in „Die Aufschneider“ bezeugt: Eine betagte Krankenhauspatientin wird regelmäßig achtlos ins Abseits gerollt und hält sich mit Arztromanen bei Laune. Zumindest in der Wahl seiner Klischees ist der Film aktuell. Den liebenswerten Kurpfuschern von der Eichwald-Klinik stellt er die Gefühlskälte geldgieriger Apparatemediziner gegenüber: Das Konkurrenzkrankenhaus St. Georg ist eine hochtechnisierte Zukunftsklinik aus Beton und Glas, geleitet vom skrupellosen, gebräunten, blitzweiß lächelnden Prof. Radwanski, der seine attraktive Stellvertreterin als „Honigfalle“ beim Gegner einsetzt und in schmutzige Organspende-Geschäfte verwickelt ist. Mit dem nächsten Deal soll der Vorsitzende der Krankenhauskommission selbst geschmiert werden. Wenn dieser trinkfreudige, aber körperlich angeschlagene Gesundheitspolitiker nämlich eine neue Leber erhält, kann das Überleben St. Georgs gesichert, der Untergang der Eichwald-Klinik besiegelt werden. Unverkennbar haben die Autoren Carsten Strauch und Rainer Ewerrien Robert Altmans „M.A.S.H.“-Lazarett (fd 16 830) und Lindsay Andersons „Britannia Hospital“ (fd 24 619) einen Besuch abgestattet: Als gleichzeitigen Magengruben- und Lachmuskelangriff lassen sie die erwähnte Spenderleber eine unwahrscheinliche Irrfahrt antreten, die auf dem Gourmetteller zweier Eichwald-Mitarbeiter endet – als Zutat eines piemontesischen Auflaufs, zu dem „Kartoffelpockets“ gereicht werden. Strauch und Ewerrien haben auch die Hauptrollen der sympathisch-dusseligen Eichwald-Ärzte Wesemann und Kunze übernommen, während Cosma Shiva Hagen als herzige, nah am Wasser gebaute OP-Schwester punktet. Die hinreißendste Figur ist aber ein Ex-Animateur namens Werner Vierkötter – der neu engagierte Wellness-Berater der bedrohten Klinik: Theaterprofi Josef Ostendorf verkörpert ihn mit imponierender Leibesfülle und mit ansteckendem kölschem Jeckentum. Vierkötter setzt auf „Zuspruch, Spaß und Alkohol“ und verwandelt die Klinik schließlich in eine Art Karnevalsverein.

 

Bloß schade, dass bei fröhlichem Konfettitreiben und Patienten-Polonaise Burghart Klaußners kongenial verwirrter Oberarzt etwas ins Hintertreffen gerät. Und merkwürdig, dass Stipe Erceg überhaupt mitspielt, denn sein Assistenzarzt bleibt stethoskoptragende Stichwortfigur. Dafür sind der aalglatte Radwanski und seine „Pupsimaus“ Dr. Christiane Tietz dankbare Rollen für Christoph Maria Herbst und Nina Kronjäger. Letztere brilliert in einer hochkomischen Verführungsszene im Sushi-Restaurant, wo sie mit den Waffen einer Frau versucht, ihrem Konkurrenten Kunze Arztgeheimnisse zu entlocken. Zwar bietet der Film, bei Röntgenlicht betrachtet, nur Flickwerk aus filmischen Standardsituationen zwischen Arztserie und Klinikthriller à la „Coma“ (fd 20 904), aber Strauch und Ewerrien wissen die Gemeinplätze zu einem giftigen Cocktail zusammenzurühren, beweisen Talent zur punktgenauen Pointe und können sich auf ein gut aufgelegtes Ensemble stützen. Ob „Die Aufschneider“ ihre verhaltene Kritik an Gesundheitswesen und ärztlicher Verantwortungslosigkeit nicht mit ätzenderer Schärfe vortragen könnten, ließe sich diskutieren. Fest steht: Den nächsten Gallenstein möchte man sich weder in der St. Georg- noch in der Eichwald-Klinik entfernen lassen.

 

Jens Hinrichsen

 

 

Dieser Text ist zuerst erschienen in: film-dienst

 

 

Die Aufschneider

Deutschland 2007 – Regie: Carsten Strauch – Darsteller: Carsten Strauch, Rainer Ewerrien, Cosma Shiva Hagen, Christoph Maria Herbst, Nina Kronjäger, Burghart Klaußner, Stipe Erceg, Bernd Stegemann – FSK: ohne Altersbeschränkung – Länge: 90 min. – Start: 8.2.2007  

 

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