zur startseite

zum archiv

Auf der anderen Seite

Der Film beginnt ohne Titel. Kurz vor dem Ende, auf einer Tankstelle irgendwo in der Türkei. Es ist Bayram, muslimisches Opferfest, und Opfer wird es geben.

 

Im Folgenden erzählen zwei Episoden vom Tod zweier Frauen. Yeter arbeitete als Prostituierte in Bremen. Einer ihrer Freier, der ältere, seit dem frühen Tod seiner Frau sehr einsame Ali, bietet ihr Geld dafür, bei ihm zu bleiben. Als Yeter Alis Sohn, den Germanistik-Professor Nejat, kennenlernt, ziehen die beiden schnell die Eifersucht des alten Mannes auf sich. „Hast du sie gebumst?“ Der Vater und der Zuschauer bekommen auf diese Frage keine Antwort. Nachdem Ali Yeter im Streit erschlägt, bricht Nejat alle Beziehungen zum Vater ab und macht sich auf den Weg in die Türkei, um Yeters Tochter Ayten zu suchen.

 

Lotte studiert an der Uni Hamburg, wo sie Ayten kennenlernt, die als Aktivistin einer Widerstandsbewegung in der Türkei politisch verfolgt wurde und mit falschen Papieren nach Deutschland geflohen ist. Bereitwillig hilft sie Ayten und nimmt sie bei sich auf. Die Liebesbeziehung, die sich zwischen den beiden entwickelt, findet in einer nächtlichen Polizeikontrolle ein abruptes Ende. Ayten wird verhaftet, vor Gericht wird ihr das Recht auf Asyl verwährt und man schiebt sie in die Türkei ab. Entschlossen ihr zu helfen, reist ihr Lotte hinterher.

 

Die beiden Episoden spiegeln einander. Am Ende der ersten reist ein Sarg aus Deutschland in die Türkei, am Ende der zweiten reist ein Sarg aus der Türkei nach Deutschland. In dem Verhältnis Nejats zu seinem Vater, dessen Macho-Allüren er mit leisem Spott begegnet, spiegelt sich die angespannte Beziehung Lottes zu ihrer Mutter, die sie spießig und ‚deutsch’ findet. Spiegeln tut auch ein Land das andere, den Auswüchsen der türkischen Bürokratie, die der Regisseur im Presseheft als „kafkaesk“ bezeichnet, stellt er die deutsche Justiz entgegen, die Ayten abschieben lässt, obwohl ihr in ihrem Heimatland Verfolgung und Gefängnis droht. 

 

Auf der anderen Seite bildet das Mittelstück in Fatih Akins Trilogie „Liebe, Tod und Teufel“, deren Anfang Gegen die Wand war. Die Wege der Protagonisten zwischen der Türkei und Deutschland kreuzen sich, ohne sich zu berühren. Die Figuren leben nebeneinander her und laufen aneinander vorbei, sie suchen einander und finden sich nicht. In den beiden Episoden, die die erste Hälfte des Films bilden, geht es um das Leben in der Fremde und den Tod, der per se das ewig Fremde im Leben jedes Menschen bleibt. Es geht um die Entfremdung und verschiedenen Arten, mit ihr umzugehen. „Ich vermisse Deutschland“, sagt der Besitzer eines deutschen Buchladens in der Türkei, „ich vermisse auch die deutsche Sprache, obwohl ich von ihr umgeben bin, doch hier ist sie irgendwie tot, wie Latein.“ Den beiden muslimischen Fundamentalisten, die Yeter wegen ihres Lebenswandels bedrohen, klingt das vermeintliche Wort ihres Gottes in der Fremde umso lauter, weil es sie vor ihr beschützen soll und treibt sie dabei nur immer weiter in ihre Isolation.

 

Die zweite Hälfte des Films beginnt wieder mit einem Zwischentitel: Auf der anderen Seite. Das Jenseits, in das der Film uns, Lottes letzter Reise folgend, bringt, ist ein Jenseits des Todes und der Schuld, die er über die Menschen bringt. Akin führt seine Figuren, wenn auch in ganz unerwarteten Konstellationen zueinander. 

 

Am Ende, das ein Anfang sein könnte, sitzt ein Sohn am Strand und wartet auf seinen Vater. Man mag an das Ende von Akins Debüt Kurz und Schmerzlos denken, hier sagt ein Vater zu seinem Sohn, dass das Leben, genau wie ein Film, irgendwann vorbei ist. Am Ende bleibt eine Leerstelle. Ob der Vater kommt, erfahren wir nicht. Ein wunderbarer Film.

 

Nicolai Bühnemann

 

Zu diesem Film gibt’s im archiv der filmzentrale mehrere Texte

 

Auf der anderen Seite

Deutschland / Türkei 2007 Regie und Drehbuch: Fatih Akin Darsteller: Baki Davrak, Nursel Köse, Hanna Schygulla, Tunçel Kurtiz, Nurgül Yesilçay, Patrycia Ziolkowska, Yelda Reynaud – FSK: ab 12 – Länge: 122 min. – Start: 27.9.2007

 

zur startseite

zum archiv