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Auf
allen Meeren
Trauerarbeit
um einen Flugzeugträger
Schon
vor dem Untergang der "Kursk" hatte die russische Marine im Westen
nicht den besten Ruf, wie Kathryn Bigelows U-Boot-Drama "K-19" derzeit
im Kino noch einmal drastisch vorführt. Im Land selbst war das wohl anders.
Besonders der Flugzeugträger "Kiev" galt der sowjetischen Marine
im Kalten Krieg als Symbol nationalen Stolzes: ein Gigant der Meere, 350 Meter
Länge, 40.000 Tonnen schwer. Am 26. Dezember 1972 vom Stapel gelaufen,
wurde sie 1994 außer Dienst gestellt, lag auf Reede in Murmansk und wurde
im Januar 2000 nach China verkauft.
Ein
Film ausgerechnet über ein Kriegsschiff, einen Flugzeugträger? Ist
das nicht etwas für Militaristen, Gigantomanen und Technik-Fetischisten?
Ein Technik-Freak ist Regisseur Johannes Holzhausen sicher nicht, dazu geht
er zu beiläufig mit den entsprechenden Details um. Es geht ihm um anderes:
Das Schiff, so der Regisseur, sei ihm vor allem "Projektionsfläche,
für Erinnerungen, Phantasien, Verklärungen, Verdrängungen."
Und im Unterschied zu Hartmut Bitomskys ähnlich angelegter "B-52"-Dokumentation
entgeht der 1960 geborene österreichische Filmemacher in seinem Film der
Gefahr, den Verklärungen und Projektionen seines Objekts selbst hinterrücks
zu erliegen. Sicher, auch Holzhausen ist fasziniert. Doch das ist hier nur der
Aufhänger, der Gigant der Meere für den Regisseur nur Anlass zu einer
Suche nach einer real und metaphorisch verlorenen Welt. Film als – stellvertretende
– Trauerarbeit. So haben die "Hinterbliebenen" hier das erste Wort.
Männer, Offiziere meist, die mit und auf der "Kiev" zu tun hatten,
tragische und traurige Gestalten, ihres Lebensinhalts beraubt. Der Regisseur
selbst schweigt respektvoll.
Russen,
wir wissen es, sind sentimental, sie billigen auch einem Stahlberg noch eine
Seele zu. Aber wer würde nicht melancholisch, wenn einem mit der Jugend
auch noch die eigene Geschichte abhanden kommt? Vom sterbenden Schiff ist also
die Rede, vom würdevollen Abgang. Holzhausen schneidet Bilder von der letzten
Fahrt der "Kiev" durchs Nordmeer zwischen die Begegnungen mit den
Männern, die, nicht immer ganz freiwillig, ihre wichtigsten Jahre hier
verbracht haben. Doch der Blick zurück verklärt manches, und kleine
Privilegien gab es auch. Zerzauste Flaggen, gefledderte Erinnerungen. Der Marine-Maler
Valentin Pechatin pinselt in St. Petersburg das Elend der russischen Nation
in allegorische Gemälde. In Kronstadt wässert der letzte "Kiev"-Kommandant
sein Gemüsegärtchen, dann blättert er mit der blondierten Gattin
im Erinnerungs-Album und holt das "Kiev"-Kaffeeservice aus der Vitrine.
Viele
Jahre hat Holzhausen seinen Stoff recherchiert. Lange Zeit sah es nicht gut
aus. Denn die russischen Militärbehörden stellten sich an wie alle
Militärbehörden der Welt. Doch irgendwann hat es doch geklappt, und
er durfte hinausfahren und das Objekt der Begierde auch offiziell drehen. Doch
da waren die größten Teile des Films mit den Gesprächen schon
im Kasten. 1995 schon entstand auch "Das letze Ufer", ein 58-Minuten-Video
mit ähnlich gelagertem Thema.
Doch
Auf
allen Meeren
ist ein 35-mm-Film und der Flugzeugträger überraschenderweise auch
fotogen. Zu unserem Glück haben einige der Männer das damalige Foto-
und Filmverbot missachtet: Soldaten beim Sonnenbaden und Ballspielen auf Deck.
Altes Propagandamaterial gibt es auch, das mit Kunstholz-Austäfelungen
und verblichenem Glanz betört. Ein Chor, Balalaikas und Trachtenmädchen,
die von Liebesleid seufzen. Im Gegenschnitt die Soldaten, von Nationalstolz
und Weiblichkeit gerührt.
"Ein
Glücksschiff" sei die "Kiev" gewesen, heißt es, die
Verluste an Menschenleben gering. Jetzt wird sie von chinesischen Seeleuten
durchs Nordmeer geschleppt, bloß schnell weg von der Küste und dem
Öl. Auch die chinesischen Matrosen singen rührselige Lieder zum Karaoke-Bild.
Das Schicksal des Schiffs scheint unklar: Soll die "Kiev" zu Nägeln
verschrottet werden, wie es das norwegische Fernsehen berichtet? Wollen die
Chinesen mehrere alte Flugzeugträger zu einem funktionsfähigen neuen
zusammenbauen? Oder soll das Schiff die Karriere der "Minsk" teilen,
die in Shenzen zum ersten chinesischen Ozean-Vergnügungspark wurde? In
der "Minsk World" klingelt und blitzt es bunt und lustig, Musik plärrt
aus allen Rohren, und der Yüan rollt. Stahlschrott zu Flugsimulatoren?
Und dann? "Jetzt kennt sich ja keiner mehr aus: Haben wir einen Feind oder
keinen?", sagt einer der ex-sowjetischen Offiziere.
Silvia
Hallensleben
Dieser
Text ist zuerst erschienen in: epd Film
Auf allen Meeren
Österreich/Schweiz/Deutschland
2001. R und B: Johannes Holzhausen. P: Johannes Rosenberger, Johannes Holzhausen.
K: Jörg Burger. Sch: Michael Palm. T: Sergej V. Moshkov. Pg: Navigator/Schoint
Ventschr AG/Peter Stockhausen/ZDF/ Arte. V:
Real Fiction. L: 95 Min. DEA: Berlinale 2002. Mit: Nikolaj Bobrakov, Tatjana
Chervonnaja, Sergej Schrvonnyi, Anton Jakovlev u.a.
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