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Audition
Takashi Miikes Horrorfilm umgeht und zerstückelt
das Genre, um dann doch mitten ins Grauen vorzustoßen: Ein Thriller sondergleichen.
Und ganz sicher nichts für Zartbesaitete. Ganz, ganz sicher.
Der Witwer Aoyama (Ryo Ishibashi) ist auf der Suche
nach einer Frau. Als TV-Produzent hält er gemeinsam mit seinem Freund und
Kollegen (Miyuki Matsuda) ein Vorsprechen für eine Serie ab mit dem Hintergedanken,
eine Lebenspartnerin zu finden. Schon aufgrund der Bewerbungsunterlagen hat
die hübsche, stille Asami (Eihi Shiina) sein Interesse geweckt. Er arrangiert
weiter Treffen mit ihr und eine Romanze beginnt. Doch zugleich offenbaren sich
Ungereimtheiten in ihrem Lebenslauf. Und tatsächlich hält die Dame
noch ganz andere Überraschungen in petto.
Mit Audition legt der japanische Regisseur Takashi Miike die
ultimative Lektion in Zuschauermanipulation vor: Nicht zu Unrecht begleitet
seinen Film ein legendärer Ruf in Horrorkreisen. Und dabei geht alles gut
achtzig Minuten ruhig, fast verhalten vor sich, allenfalls Realitätsbrüche
in der Erzählung geben Hinweise darauf, dass etwas kommen wird. Und das
kommt. Eine halbe Stunde lang. Und rechtfertigt jeden legendären Ruf in
Horrorkreisen.
Audition
ist – abgesehen von den klassischen Qualitäten in Miikes hervorragendem
Auge für Komposition und schöner, eisiger Photographie durch Hideyo
Yamamoto – von Beginn an mit Verfremdungstaktiken vollgepfropft. Die Eröffnungsszene
zeigt Aoyamas Sohn Renji, wie er seine Mutter im Krankenhaus besuchen will –
die ist bereits tot. Die Handlung setzt sieben Jahre später ein, während
Aoyama noch immer eine Frau sucht. Die Eröffnungsszene ist also gewissermaßen
hinfällig – und legt doch einen Schatten des Todes über die Handlung.
Solche Strategien wird Miike im Laufe des Films immer wieder auskosten. Sein
genüssliches Manipulieren des Zuschauers geht Hand in Hand mit den Manipulationsmanövern
im Film. Nicht zufällig gibt das Vorsprechen, das Aoyama arrangiert, dem
Film den Titel: erstens ist es ein abgekartetes Spiel (Aoyama hat sich schon
von vornherein entschieden), andererseits bricht Miike die Situation. Zwischen
der Montage der Bewerberinnen kommen immer wieder Einstellungen von Aoyama und
seinem Freund: ihr Verhalten wird dem Zuschauer gewissermaßen zur Ansicht
dargereicht – eine frappante Umkehrung des eigentlichen Geschehens.
Mit diesem Plan arbeitet sich Miike durch den Rest
von Audition
– zuerst ganz behutsam: eine stille Romanze mit ein paar komischen Einlagen
beginnt, die zunehmend den Bezug zur Realität verliert. Szenen kehren in
doppelter, widersprüchlicher Ausführung wieder, niemand ist, was er
zu sein scheint: am allerwenigsten die entzückende Asami, hinter derer
schüchterner Art sich bald Abgründe auftun. Miike zieht dem Zuseher
graduell den Teppich unter den Füßen weg: Was ist Erinnerung? Was
Traum oder Einbildung? Und von wem? Besonders perfide ist das, weil sich immer
wieder Subtexte einzuschleichen scheinen, die man nicht festmachen kann: gelegentlich
scheint Audition
von japanischem Rollenverhalten zu erzählen, von der Unterdrückung
der Frau oder dem Selbstbild des Mannes. Und dann kommt die Spiegelsequenz und
dreht alles um.
Das ist aber letztendlich nur Vorbereitung für
die letzte halbe Stunde, die die Meßlatte für zukünftige Thriller
hoch legt. Nicht einmal, weil die Gewalt so blutig wäre. Sie ist vielmehr
ruhig, realistisch und erschreckend präzise. Miike lässt seine Hauptfigur
der Folter anheimfallen und gleichzeitig zersplittert die Erzählung in
Fragmente: Die Zerstückelung betrifft das Realitätsgefüge, jede
mögliche Interpretation und den Körper des Helden zugleich. Eben deswegen
ist Audition
die beste selbstreflexive Versuchsanordnung über Film der letzten Jahre:
der Zuschauer wird konditioniert, das Schlimmste zu erwarten – und als es dann
eintritt, findet er sich zu seiner Überraschung völlig im Recht. Er
braucht nicht einmal Nadeln unter die Augen gestochen zu bekommen wie der Held
(der bewegungslos aber bei völligem Bewusstsein – ganz wie der Zuseher
– mitansieht, was mit ihm geschieht): Audition stellt ohne den erhobenen Zeigefinger von Funny Games oder NBK das ganze Missbrauchspotential des Kinos aus, spielerisch
und wunderschön. Als kriegte man ein besonders fein gedrechseltes Brett
über den Kopf gezogen.
Christoph Huber
Dieser Text ist zuerst erschienen
in: www.allesfilm.com
Zu diesem Film gibt’s im archiv der
filmzentrale mehrere Texte
Audition
Japan
1999 – Originaltitel: Odishon – Regie: Takashi Miike – Darsteller: Ryo Ishibashi,
Eihi Shiina, Miyuki Matsuda, Renji Ishibashi, Jun Kunimura, Ren Osugi – Länge:
115 min. – Start: 25.1.2001
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