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Auch
Zwerge haben klein angefangen
Die
Werke des Autorenfilmer-Starregisseurs Werner Herzog wissen von Haus aus sowieso
nur eingefleischte Arthouse-Freunde zu würdigen. Einen Schritt weiter geht
sein zweiter Langfilm aus dem Jahr 1970. Die kulturpessimistische Groteske „Auch
Zwerge haben klein angefangen“ ist nur hartgesottenen Herzog-Anhängern
nachhaltig zu empfehlen. Doch die werden den Film lieben, weil es so viele interessante
Details zu erkunden gibt, dass es eine echte Freude ist. Das Faszinierende:
Wer die wahre Qualität von „Auch Zwerge haben klein angefangen“ entdecken
will, muss den unterschwelligen Subtext des Films sezieren. Ein universeller
Sinn des Ganzen ergibt sich erst zwischen den Zeilen bzw. Bildern…
Die
Bewohner eines Erziehungsheimes in einer abgelegenen kargen Provinz planen einen
Ausflug. Aus disziplinarischen Gründen dürfen einige der kleinwüchsigen
Insassen nicht teilnehmen. Die Zurückgelassenen nutzen die Abwesenheit
des Direktors und der meisten seiner Zöglinge zum Ausbruch aus der gewohnten
Ordnung. Ohne angreifbaren Gegner von außen reagieren die Zwerge mit blinder
Wut und ziellosen Vernichtungsaktionen. Der Aufsicht führende Erzieher
nimmt einen der Rädelsführer in Gewahrsam und verschanzt sich auf
dem Gelände. Als die Aggression der Aufrührer auch untereinander zunimmt
und sinnlose Aktionen im Kreis laufen, bricht die Revolte schließlich
zusammen. Der Film schildert den eigenwilligen Ausbruchsversuch aus den Hierarchien
und Konventionen der umgebenden Ordnung.
„Auch
Zwerge haben klein angefangen“ markiert den zweiten Teil einer inoffiziellen
Trilogie Herzogs, die mit der Dokumentation „Die fliegenden Ärzte von Ostafrika“
(1969) begann und mit der eigenwillig-faszinierenden Wüsten-Meditation
„Fata
Morgana“
(1971) endete. Diese düstere Phase des jungen Herzog (Jahrgang 1942) prägte
vor allem seine bei Dreharbeiten zuvor erlittenen Leiden. Er erkrankte ernsthaft
an Malaria und Bilharziose, was die Stimmung des Films nach Herzogs Aussage
nachhaltig beeinflusste. Wer sich der Drama-Groteske inhaltlich nähern
will, muss zunächst einmal Schwerstarbeit verrichten. Das, was der Münchner
Regisseur seinem Publikum in Schwarz/Weiß anbietet, ist verstörend
und teils surreal. Der Clou: Unterhalb dieser irritierenden Bilder liegt eine
zweite inhaltliche, gesellschaftskritische Ebene, die es in Form einer Parabel
zu enträtseln gilt.
In
dem Film treten ausschließlich kleinwüchsige Darsteller auf. Hier
geht es jedoch nicht vordergründig um die Probleme und das Leben von Zwergen
und wie sie sich mit der Gesellschaft arrangieren. Die Liliputaner symbolisieren
die normalen Menschen in einer übergroßen Welt, der sie nicht mehr
gewachsen sind. Sie treten in eine blinde, gewalttätige Rebellion gegen
eine Welt, die sie nicht geschaffen haben und deren Konventionen sie sich widersetzen.
Herzog destilliert aus dem scheinbar kindischen Gebären der Zwerge das
universelle Verhalten von Menschen heraus und stellt dies schonungslos zur Schau.
Wie
üblich bei Herzogs Werken („Aguirre
– Der Zorn Gottes“,
„Fitzcarraldo“, „Mein
liebster Feind“,
„Rad der Zeit“, „The White Diamond“) hagelte es damals Kritik von verschiedenen
Seiten. Besonders die Tierschützer wetterten heftig gegen den Film. In
diesem Fall einmal durchaus zurecht. Um das Ausbrechen der Rebellion zu dokumentieren,
vergehen sich die Zwerge in roher Gewalt an den Tieren, die in der Anstalt gehalten
werden. Zwei blinde Insassen, die mit Holzstöcken gegeneinander kämpfen,
reiten auf einem toten Schwein, an dem zuvor noch kleine Ferkel versucht hatten,
Milch zu trinken. Herzog ließ das Tier vor Ort schlachten, ohne dass es
aber im Film zu sehen ist. Auch die Hühnerszenen sind äußerst
ambivalent. Die aufständischen Zwerge schnappen nach ihnen, zerren daran
und werfen sie schließlich durch ein Fenster dem Anstaltspersonal entgegen.
Den Vorwurf der Tierquälerei muss sich Herzog gefallen lassen, nimmt ihn
aber in Kauf, da seine beklemmenden Bilder sonst nicht funktionieren würden.
Herzogs
Theorie, dass jeder Film ein unverwechselbares Bild haben muss, das sich auf
ewig in das Gedächtnis des Publikums einbrennt, wird in „Auch Zwerge haben
klein angefangen“ ebenfalls zelebriert. Hier ist es der doppelte Tabubruch zu
Ende des Films. Ein kleiner Affe, der an ein Kreuz gefesselt ist und von den
Zwergen unter Rauchschwaden durch den Anstaltshof getragen wird, markiert dieses
Vorgehen. Neben den Vorwürfen der Tierschützer kritisierten Kirchenleute
die bittere Blasphemie dieser Sequenz. Das ging soweit, dass der Regisseur wegen
dieser Szene, die das totale, urbane Chaos symbolisiert, Morddrohungen erhielt.
Die
Schauspieler, die Herzog für den Film einsetzt, sind allesamt Laiendarsteller,
denen es aber nicht an Ausdruckskraft mangelt. Besonders hervorzuheben ist Helmut
Döhring („Jeder für sich und Gott gegen alle“) als Hombre. Sein infernalisches,
selbstmörderisches Lachen, das den Film beschließt, wird niemand
vergessen, der ihn je gesehen hat. Herzog: „Das Gelächter in dem Film,
von dem kleinsten Zwerg am Schluss – das minutenlange Gelächter – das ist
eben das Gelächter überhaupt, es gibt kein Gelächter drüber
raus. So wie es Essig gibt und Essigessenz, so sind diese Zwerge Menschenessenz,
eine Konzentrationsform. An der Schärfe dieser Essenz sehen wir auf einmal
deutlicher die Umrisse von dem, was wir sind.“ [1] Aber auch Paul Glauers („Bildnis
einer Trinkerin“) Monologe als verbliebener Erzieher werden sich im Hirn der
Betrachter ebenso festfräsen wie der Gesichtausdruck von Gerd Nickel als
gefesselter Rädelsführer Pepe. Um seine Darsteller zu motivieren und
alles aus ihnen herauszuholen, griff Herzog wieder einmal zu einem Kniff. Wenn
alle die Dreharbeiten schadlos überstehen, versprach er den Liliputanern,
mit Anlauf in einen riesigen Kaktus zu springen und seinen Teil der Leidensfähigkeit
beizusteuern. Natürlich hielt der Münchner Wort und ließ sich
dabei von den Zwergen-Darstellern auf deren 8-Millimeter-Kameras filmen.
Mehr
noch als alle anderen Werke Herzogs spaltet „Auch Zwerge haben klein angefangen“
das Publikum. Lediglich Anhänger des radikalen Filmemachers werden den
für 200.000 Dollar in der Ödnis Lanzerotes gedrehten Film goutieren
können. Herzog selbst sieht diesen Kulturpessimismus, den einige als Endpunkt
der 68er Revolte definierten, als tiefschwarze Komödie, was sich in absurder
Komik gepaart mit tiefgründiger Tragik herauskristallisiert. Wer Herzogs
Filme, die eines Jean-Luc Godard oder Rainer Werner Fassbinder liebt, sollte
einen Versuch unternehmen, „Auch Zwerge haben klein angefangen“ zu entdecken.
Wem es gelingt, den Zugang zu erlangen, der wird mit einem außergewöhnlichen
– im herkömmlichen wie übertragenen Sinne – Film belohnt. Herzog für
Fortgeschrittene quasi…
[1]
Herzog-Zitate aus einem Gespräch mit Kraft Wetzel in: „Herzog/Kluge/Straub“,
1976).
Carsten
Baumgardt
Diese
Kritik ist zuerst erschienen bei: www.filmstarts.de
Auch
Zwerge haben klein angefangen
(Even
Dwarfs Started Small)
Deutschland/Spanien
1970
Start:
02.02.1971
Regie:
Werner Herzog
Drehbuch:
Werner Herzog
Schauspieler:
Helmut Döring, Gerd Nickel, Paul Glauer, Erna Gschwendtner, Gisela Hertwig,
Gerhard Maerz, Hertel Minkner, Gertrud Piccini, Marianne Saar
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