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Atash
Eine
ehrenwerte Familie
Im
Niemandsland namens Palästina: „Atash“
Oft
sind es die schönsten Gegenden, in denen die unheimlichsten Geister wohnen.
Nun, einen wirklich schönen Ort möchte man die Einöde nicht nennen,
in der sich die fünfköpfige palästinensische Familie Shukri in
ein paar Betonhütten vorläufig eingerichtet hat. Ein spektakulärer
Ort aber ist es schon: karg und so einsam gelegen, dass nicht einmal ein Wasseranschluss
existiert. Das Land gehört den israelischen Behörden – wenn deren
Patrouille vorbeikommt, versteckt man sich im Wald, aus dem sonst Holz geholt
wird für den kleinen Kohleofen im Hof. Denn die Menschen sind nicht legal
hier, geflohen aber nicht vor den Soldaten, sondern der eigenen Gemeinschaft
und deren engstirniger Moral.
Vater
Shukri, ein Patriarch im besten Großvateralter, hat seine Familie in diese
Einsiedelei gebracht: Die ältere Tochter Gamila hat einmal, was immer das
heißen mag, die Ehre verletzt, und nun soll sie laut Stammesrecht dafür
bestraft werden, mit dem Tod. Eine Art Schutzhaft also, doch ist solch ungelebtes
Leben wirklich besser als der Tod? Die drei Geschwister – zwei Töchter
und ein Sohn – wollen sich den Verhältnissen nicht fügen. Sie sehnen
sich aus der zwangsauferlegten Askese hinaus nach Bildung, nach Sinneslüsten
und außerfamiliärer Gemeinschaft.
Gegenwart
eben, von Zukunft nicht zu sprechen. Doch die latente Gewaltdrohung zwingt die
kleine Gruppe zusammen und erzeugt auch inneren Druck. Erst nach und nach ergibt
sich dabei in Tawfik Abu Waels Spielfilm „Atash/ Durst“ eine Ahnung möglicher
Hintergründe des familiären Traumas. Wobei die Metaphern einer unter
äußerem Druck implodierenden patriarchalen Gemeinschaft leichter
zu verstehen sind als die emotionalen Triebkräfte innerhalb der Familie.
Auch die Kamera von Assaf Sudri bringt die Weite der Halbwüstenlandschaft
durch eine schnell geschnittene Tele-Optik in klaustrophobische Nahansichten,
die trotz Breitwandformat mehr verbergen als offenbaren.
Wie
viele palästinensische und israelische Künstler seiner Generation
siedelt der 1976 geborene arabisch-israelische, in Tel Aviv ausgebildete Regisseur
sein Freiluft-Kammerspiel konsequent im Niemandsland diesseits üblicher
politischer Demarkationslinien an. Gedreht hat er – fast ausschließlich
mit lokalen Laiendarstellern – auf einem nach Bevölkerungsprotesten stillgelegten
Militärgelände in der Nähe seiner israelisch-arabischen Heimatstadt
Um El-Fahim. Vor diesem regionalen Kontext arabischer Kulturtraditionen mag
manches auf der Hand liegen, was uns bis zum Schluss aufdringlich verrätselt
scheint. Immerhin, die offiziellen Ehrungen für „Atash“ reichen weit –
vom israelischen Academy Award für die beste Kamera bis zum Fipresci-Preis
der Semaine de la Critique in Cannes.
Silvia
Hallensleben
Dieser
Text ist zuerst erschienen im: Tagesspiegel
Atash
(Durst)
Pal/IL 2004 R: Tawfik Abu-Wael D: Roba Blal, Hussein Yassin Mahajne, Amal Bweerat,
Jamila Abu Hussein, Ahmad Abed el Gani
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