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A
Tale of Two Sisters
Zwei
tragende Themen gibt es in diesem Film: Die Erinnerung (oder sagen wir: die
Vergangenheit) und das "Dahinter". Und natürlich besteht ein
Zusammenhang: Was, wenn sich etwas hinter der Erinnerung an die Vergangenheit
verbirgt? Eine Vergangenheit etwa, an die sich nicht erinnert werden will. Verdrängung
also, Sigmund Freud, all diese Dinge.
Die
Gegenwart des Films erstickt geradezu am Vergangenem: Der Schauplatz des kammerspielartigen
Geschehens, ein altes Anwesen irgendwo im koreanischen Nirgendwo, könnte
glatt aus dem viktorianischen England stammen. Alles bestickt und geradezu aufdringlich
pittoresk. Dann die Figuren darin (grotesk deplaziert vor diesem Hintergrund
eigentlich): Vater, zwei Töchter und die böse, böse Stiefmutter
(Ja! Genau!). Dass da früher was war, was das Heute nicht so recht funktionabel
gestaltet, wird umgehend klar. Alles neurotisch, hysterisch, paranoid. Wer wem
wann was angetan hat: Kaum ersichtlich. Andeutungen zwar überall, nie aber
Aussagen, Auseinandersetzungen. Ausflüchte und Gemeinheiten am Rande. Stieftöchter
in Schränke sperren beispielsweise, ganz wie das Vorbild aus dem Märchen.
Und dann in alten Kisten Fotos von ganz früher. Als die leibliche Mutter
noch lebte: Schock, Trauma, Gesichter werden durchgestrichen, rausgerissen,
weg damit, weg mit dieser Vergangenheit. Verdrängungsarbeit, man kommt
ja kaum mehr zu was anderem. Es entstehen auf engstem Raum Dynamiken, die ihren
Ursprung in der Vergangenheit haben: "Was zum Teufel hat uns hierher gebracht?",
irgendwann als Frage im Raum, kurz bevor man dem anderen die schwere Statue
über den Schädel zieht. Lieber keine Antworten abwarten, könnte
äußerst unangenehm werden. Draufhauen, aus dem Weg räumen, statt
sich erinnern. Bis es soweit kommt, ist man längst schon im Kinosessel
versunken, ganz tief drinnen in dieser angespannten Welt, auch wenn man selbst
mehr Fragen als Antworten hat. Das ist in dem Moment egal.
Wo
die Vergangenheit, das Erinnerungsvermögen derart trügerisch ist,
darf auch der Raum gut und gerne Gegenstand der Sabotage sein. Dann wird der
Psychothriller zum Horrorfilm. Und der hat dem 19. Jahrhundert wieder sehr viel
zu verdanken. Da ist er ja schon wieder, dieser Sigmund Freud. Das Unheimliche
des "Dahinter", das Unheimliche des seiner Integrität verlustig
gegangenen Raumes. Türe knarzen? Was ist dahinter? Vorhänge wabern?
Und dahinter? Was verbirgt sich unter der Spüle? Und wer stampft da oben,
einen Stock drüber, so laut über den Boden? Ist doch keiner hier!
Dafür aber quillt Blut unter den Dielen hervor, wenn man mal genau hinkuckt
(das macht natürlich nur die Kamera, also wir): Hier hat’s offenbar Leichen
im Keller. Keller, Erinnerung, Vergangenheit, Verdrängung – wir kennen
das Spiel bereits. Und jeder hat seinen eigenen Raum: Selten sieht man mal zwei
in einer Einstellung, mit Ausnahme der beiden Geschwister natürlich, denn
um die geht’s ja, der Rest: isoliert. Über lange Strecken wie’s scheint
sogar komplett verschwunden, wenn der Film sich gerade mal auf wen besonders
konzentriert.
Das
Bemerkenswerte: Man fasst den Horrorfilm ästhetisch wie inhaltlich zusammen.
Das hat man mit Kubricks Shining gemein. Etwas Haunted House, dann Geisterfilm,
verdrängte Schuld, also somit dann auch Poe, doch dann wieder die Kehrtwende
und weg von all dem Hokuspokus: Also moderner Horrorfilm. Wo der Nachbar der
Böse ist. Wie wenig metaphysisch es eigentlich zugeht, sieht man schon
etwa, wenn die expressionistischen Traditionen verpflichtete Ausleuchtung zwar
vorhanden, doch nie aber, wie beispielsweise bei Bava, eine dem Effekt untergeordnete
und gekünstelte ist, sondern ihren Ursprung direkt in der Diegese findet:
Ein Lampenschirm wird umgeworfen, bevor er von unten Gesichter in ein seltsames
Licht kleiden darf. Und wenn am Ende das Projekt der Auflösung des Raumes
weit genug fortgeschritten ist, wenn Verlässlichkeit als Zustand inhaltslos
geworden ist, dann ist die Begegnung mit sich Selbst so naheliegend wie, in
Folge, gruselig. Und jetzt bitte Geigen! Ganz laut, immer der selbe, gellende
Ton. Sie wissen schon.
Thomas
Groh
Dieser
Text ist zuerst erschienen im:
A
Tale of Two Sisters
Janghwa,
Hongryeon
Südkorea
2003
Regie/Drehbuch:
Kim Jee-Won
Darsteller:
Lim Su-Yeong, Mun Geun-Yeong, Yum Jung-Ah u.a.
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