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As
Tears Go By
Kar-wai Wongs mehr als bemerkenswertes Debüt:
ein bis zum Anschlag stilisierter Gangsterfilm mit den HK-Stars Andy Lau, Jacky
Cheung und Maggie Cheung.
Wah (Andy Lau) und Fly (Jackie Cheung) sind Bandenmitglieder
in einem Hongkonger Gangstersyndikat. Fly, der Jüngere, will seinem bewunderten,
harten "Bruder " nacheifern – nur bringen ihn sein unbesonnenes Verhalten
und seine vorlaute Klappe immer wieder in gefährliche Situationen, die
Wah dann bereinigen muss. Während Wah Besuch von seiner Cousine Ngor (Maggie
Cheung) erhält, ist es wieder einmal soweit: Fly bricht einen Streit in
der Billardhalle vom Zaun, Wah muss eingreifen. Ngor, die schüchterne Schönheit
aus der Provinz, sieht, wie ihr Cousin blutüberströmt heimkommt. Dennoch
beginnt sie Sympathien für ihn zu hegen – schließlich besucht er
sie auf der Insel Lantau und eine Liebesaffäre beginnt. Doch der unberechenbare
Fly provoziert inzwischen neue, immer heftigere Auseinandersetzungen.
Kritik
Das erste Bild im Schaffen von Wong Kar-Wai, der
nicht zu Unrecht als einer der bedeutendsten Regisseure der 90er gilt: links
hinten eine Straße, vorne rechts groß eine spiegelnde Bildschirmfläche.
Man ist versucht, Wongs ganzes Folgewerk hineinzuinterpretieren: Die großstädtische
Entfremdung, sein Hauptthema, ebenso wie die Spiegelwelten, die sich seine Figuren
aus Verzweiflung darüber immer wieder aufbauen. Und fremd ist auch das
erste Bild: Maggie Cheung, die Göttin (deren Darstellung hier ihr endlich
den Ruf einer respektablen Schauspielerin verschaffte, nachdem als ehemalige
Miss Hongkong gern auf sie herabgelächelt wurde), vor der Tür eines
verkommenen Appartements, unkenntlich: eine Atemmaske hat sie auf. Als würde
das die unkommunikative Zeit, die sie bei ihrem Cousin (Andy Lau) verbringen
würde, schon vorwegnehmen. Bevor Wong zur (Genre-)Sache kommt, findet er
schon die ganze Tristesse des anonymen Großstadtdaseins: Der wortkarge
Held in einer Wohnung voller dreckiger Gläser, ständig in Großaufnahme
neue Zigaretten anzündend, das Rauschen des Fernsehers als Dauerhintergrund.
(Wie viele Protagonistinnen Wongs wird Maggie ihre Sehnsucht später dadurch
ausdrücken, dass sie still die Wohnung putzt.)
Die Gangsterstory, die sich parallel entfaltet, ist
natürlich ein Tribut an Martin Scorseses Mean
Streets: Lau ist das Äquivalent
von Harvey Keitel, Jackie Cheung gibt explosiv die Alternative zu De Niros Johnny
Boy. Und wie der braucht er nur die Möglichkeit, einen Fehler zu begehen,
zu ahnen – und er wird es tun: Dass dieser Film nicht gut enden kann, ist von
Anfang an klar. Die erste Auseinandersetzung erfolgt ganz im Geiste der Reverenz
in einer Billardhalle: Aus einem kindischen Scherz bricht unvermittelt die Gewalt
hervor und Lau und Cheung bleibt nur die atemlose Flucht: ein Spießrutenlauf
zur haltlos parallelfahrenden Kamera. Geschickt zeigt sich schon das Spektrum
von Wongs stilistischer Innovation, hier noch im Dienste einer pessimistischen
Gangsterstory: Die Kamera fängt die Kinetik der Aktionen in Zeitlupenschlieren
ein, herausgestrichene Details rhythmisieren die blutigen Konfrontationen. As Tears Go By
ist auch ein Film der delirierenden Zuspitzung: Nicht umsonst wurde sein packender
Umgang mit dem Genre zur Blaupause fürs Hongkong-Kino der nächsten
paar Jahre. Wong hingegen bewegte sich weiter, in die Zurückhaltung und
Komplexität, und wurde mit einem Flop gestraft: Days
Of Being Wild, sein erstes Meisterwerk,
erfüllte nicht die Erwartungshaltungen.
Und auch As
Tears Go By bewegt sich ein (langes,
wundervolles) Mal weg von der Genre-Erwartung, weg von den brillanten und extrem
heftigen Auseinandersetzungen, die den fatalistischen Trieb seiner Helden periodisch
ins Zelluloid brennen: Zwischen Maggie Cheung und Andy Lau entspinnt sich eine
Liebe, ganz langsam zuerst. "Warum schläfst du nicht, es ist schon
spät", sagt sie und fast berühren sich ihre Hände, als er
ihr die Zigarette abnimmt. Als sie wieder heim nach Lantau fährt, lässt
sie ihm einen Satz neuer Gläser da: "Ich weiß, dass du sie alle
früher oder später zerbrechen wirst. Darum habe ich eines für
dich versteckt. Ruf mich an, wenn du es brauchst." Das erste der unzähligen
Objekte, in denen Wongs endlos melancholische Figuren ihre tragischen Emotionen
zu sublimieren suchen.
Und kurz scheint die Liebe nicht vergeblich zu sein
in dieser düsteren Gewaltballade. Strukturiert zu einem Canto-Pop-Stück,
das sich Lau aus der Jukebox drückt, dreht Wong in seinem Erstling eine
Szene, wie sie die meisten Regisseure ihr Lebtag nicht hinbekommen. Lau reist
zu Maggie, die schon eine neue Beziehung hat, weil sie glaubt, er hätte
sie vergessen. Stop-And-Go: Das Lied setzt immer wieder ein, wenn Hoffnung keimt,
um dann unvermittelt abzubrechen und ewiges Wasserrauschen und andere Umgebungsgeräusche
der vergeblichen Alltäglichkeit in Enttäuschung freizugeben. Abwechselnd
suchen sich die Liebenden, verfehlen sich wieder und wieder, schließlich,
alles scheint zu spät, wirft Lau das mitgebrachte Glas über Bord.
Aber das Platschen und Maggies einsames Harren am Pier werden noch einmal von
der Musik überwältigt: Die beiden finden sich, für einen einzigen
Kuss und die Leinwand taucht sich rauschhaft in die Farbe des Lichts: Wong gönnt
seinen zur Traurigkeit verdammten Protagonisten ein Verschwinden ins Weiß.
Wong erzählt die Liebesgeschichte fast nur über
Bewegung und Raum: "Bleibst du heute Nacht bei mir?", fragt Lau und
Maggies Gesicht erscheint in Großaufnahme. Es muss nichts gesagt werden.
Ebenso wortlos erfolgt der Abschied: Fly hat wieder Mist gebaut und Lau fährt
zurück nach Hongkong. "Keiner passt auf ihn auf, wenn du es nicht
tust." Er wird zurückkehren, verspricht Lau und lügt seiner Liebe
ins Gesicht. Sie weiß es: Während er den Bus besteigt, versucht sie
zu Lächeln, dann läuft sie dem Vehikel nach und schlägt noch
einmal ans Fenster, neben dem er sitzt: Die ganze vergebliche Wut in einer kleinen
Geste.
Der Showdown ist aber wieder Bigger Than Life: Die
fahrenden Busse färben schon vorher die Leinwand rot, und Lau folgt Cheung
ganz selbstverständlich in den Untergang. Aus einem vagen Pflichtgefühl
heraus, das Bild der Welt verzerrt wie der Blick durchs Gelb des knatternden
Vorhangs, durch den die finale Szene eingeläutet wird: Wie immer bei Wong
wiegt die Erinnerung schwerer als die Vernunft.
Christoph Huber
Dieser Text ist zuerst erschienen
bei: www.allesfilm.com
Zu diesem
Film gibt’s im archiv der filmzentrale mehrere
Texte
As
Tears Go By
AS TEARS GO BY
WANGJIAO
KAMEN
Hongkong
– 1988 – 102 min. – Erstaufführung: 4.6.1998 – Produktion: Alan Tang, Rover
Tang
Regie:
Wong Kar-wai
Buch:
Wong Kar-wai
Kamera:
Andrew Lau
Musik:
Danny Chung
Schnitt:
Peter Chiang, Hai Kit-wai
Darsteller:
Andy
Lau (Ah Wah)
Maggie
Cheung (Ah Ngor)
Jacky
Cheung (Fly)
Alex Man (Tony)
Wong Un (Mabel)
Lam Gao
(Ah Kung)
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