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Assault – Anschlag bei Nacht

 

Dumm du-du du-du. Dumm du-du du-du. Schon allein John Carpenters eigenhändig gefertigter, atmosphärischer Synthie-Soundtrack aus der Reihe "Kraftwerk für Begriffsstutzige" ist Grund genug, sich dieses Frühwerk des Horror-Großmeisters der 70er und 80er zu geben. Ein, zwei andere folgen hiermit:

 

John Carpenter ist kein Minimalist. Er weiß nur, wie man Dinge effizient weglässt. Erklärungen, zum Beispiel. Wie den Exkurs eines Kriminalpsychologen über dessen teenie-mordenden Patienten in "Halloween", den der Film dramaturgisch ansteuert, nur um uns dann mit Beschwörungen abgrundtiefer Bösartigkeit abzuspeisen, anstatt uns psychologische Erklärungsmuster anzubieten.

 

Eine bekannte wie einleuchtende Erörterung Hitchcocks zu verschiedenen Thriller-Techniken lautete: Zwei Menschen sitzen an einem Tisch und reden. Plötzlich explodiert unter dem Tisch eine Bombe. Das ist ein Schock. Zwei Menschen sitzen am Tisch und reden miteinander. Wir wissen, unter dem Tisch ist eine Bombe, die explodieren wird. Das ist Suspense. Wenn nun – so ließe sich diese Spannungsgrammatik weiterdeklinieren – Menschen, als sie an einem Tisch gesessen sind und geredet haben, plötzlich von einer Bombe zerrissen wurden und man erfährt nie, wieso – das ist nachhaltige Verunsicherung. Dieser irrationale Rest, der sich nicht im Handlungsgefüge aus Ursache und Wirkung auflöst, macht die Bedrohungen bei Carpenter so unerbittlich. Und diese Unerbittlichkeit macht aus Carpenter-Filmen Horrorfilme, selbst wenn sie gar keine sind.

 

"Assault on Precinct 13", zum Beispiel, Carpenters zweiter Langspielfilm (er übernahm Regie, Drehbuch, Schnitt und Musik), 1976 herausgekommen, ist eigentlich ein Western. Der Film überträgt, als Hommage an Howard Hawks’ Spätwestern "Rio Bravo", vor allem dessen Erzählkern und damit dessen Raumordnung in die unruhige urbane Gegenwart der 70er Jahre. Vom Aufrechterhalten einer letzten Bastion der Ordnung inmitten einer in Gesetzlosigkeit verfallenden Zivilisation erzählt der Film politisch nicht unbedenklich: Die Gewalt einer ethnisch gemischten Straßengang in L.A. eskaliert, als sechs Gang-Mitglieder von der Polizei erschossen werden. Mit von der Polizei erbeuteten schallgedämpften Schusswaffen ausgerüstet, belagert diese Gang schließlich eine fast verlassene Polizeistation in einem Außenbezirk, deren Insassen (ein Polizist, Sekretärinnen und Gefangene) die Stellung halten.

 

Auch wenn hier der konkrete Anlass für die Gewalttaten der Gang angegeben wird, der Film forciert an der Darstellung ihrer Mitglieder stets das Un- und Übermenschliche, das Zombie- und Maschinenhafte. Und Carpenters Verweigerung einer Erklärung bedeutet eben auch den Verzicht auf die Darstellung sozialer Zusammenhänge. Seine Horror-Figuren sind Projektionsflächen, und als solche bedienen sie auch reaktionäre Angstphantasien über soziale Randgruppen (die von Alice Cooper geführten Freaks und Obdachlosen aus "Prince of Darkness"), psychisch Kranke (Michael Myers in "Halloween"), das aufgenommene Fremde überhaupt (das außerirdische Virus, das sich in "The Thing" in Form eines Hundes in die Forschungsstation einschleicht) oder eben hier ethnische Minderheiten.

 

Solche Lesarten korrigiert Carpenter in seinem Werk allerdings immer wieder durch bittere Szenen, die den bedrohten Ist-Zustand der Welt schon selbst als bedrohlich ausweisen. Gibt es ein effektiveres, polemischeres Bild des Alleingelassen- und Ausgeliefertseins als jenen Moment in "Halloween", in dem Laurie (Jamie Lee Curtis), den mordlustigen Michael Myers in knapper Entfernung hinter sich, auf der Veranda eines weiß gestrichenen, innen hell erleuchteten Kleinstadt-Hauses um Hilfe fleht und niemand ihr die Tür öffnet? Insofern lässt sich die Eröffnungsszene, in der man, mit Handkamera in die Perspektive von Gang-Mitgliedern gedrängt, deren brutale Erschießung durch eine anonyme Polizeimacht miterlebt, funktional nicht so sehr als Begründung der folgenden Gewalt lesen, sondern einfach als Gegenbild, das von einer grundsätzlichen Brutalisierung der Welt erzählt.

 

Trotz derartiger Gewaltausbrüche gehörte Carpenter allerdings nicht einmal in seinem Frühwerk zur Reihe jener umgekehrten Ikonoklasten, die im Horror das Elliptische und Angedeutete zugunsten expliziter Abbildungen verwarfen (Tobe Hooper, Wes Craven, George Romero). Als Traditionalist des schnörkellosen Genrefilms (als der er heute neben Clint Eastwood im amerikanischen Kino einsamer denn je ist) kommt er in "Assault on Precinct 13" genau zwischen seinen beiden größten Ikonen zum stehen. Dies ist ein präziser, scharfkantiger, nachhaltig beunruhigender Film im Sinne Hitchcocks, mit möglichster Ökonomie der Mittel und in zügigem Tempo inszeniert und vom pragmatischen, fast gelassenen Professionalismus der Protagonisten geerdet und humoristisch konterkariert, dass Hawks sich die Hände reiben würde. Wenn Carpenter die Regeln des Genres bricht, dann nur im traditionsbewussten Spiel mit ihnen, das schon wieder eine Bestätigung derselben impliziert. (Solche Tonverschärfungen hat ja schon Hitchcock selbst beherrscht, man erinnere sich an den "Psycho"-Twist.) So in der stärksten Szene des Films, die in seinem ersten Drittel stattfindet, einem Juwel der Beherrschung filmischer Mittel, einer schlanken Schönheit der kunstvollen Spannungsschwankungen, die in einer ebenso bösartig grinsenden wie bitteren Pointe gipfelt.

 

Obwohl bei Carpenter ja jeder Gewaltakt immer auch eine Erleichterung für den Zuseher darstellt. Denn seine Regie melkt nicht die Action, die Effekte bis zur Unerträglichkeit (selbst wenn er, wie für "The Thing" ziemlich teuere zur Verfügung hat), sondern die Ruhe. Die Bedrohung ist potentiell überall und kann jederzeit zuschlagen, und mit dieser ständigen Möglichkeit eines Angriffs lädt Carpenter – je nach Gegebenheit der Bedrohung – den Raum seiner Filme langsam und suggestiv auf. Im konkreten Fall von "Assault on Precinct 13" ist es die ständige Gefahr von Schüssen, die den Raum des Films neu strukturiert. So erhält das durch die Fenster der kleinen Polizeistation auf die Protagonisten fallende Licht bedrohliche neue Konnotationen und auch nur das Bild eines Polizisten, der beim Fahren beiläufig sein Autofenster öffnet, wird schon zu einem der Schutzlosigkeit. Anderswo cruisen zur selben Zeit vier Gangmitglieder durch die Gegend und wir sehen mit ihnen, wie sie beliebig verschiedene Leute am Straßenrand ins Visier nehmen – das perfekte Bild für jene allgegenwärtige Bedrohung, die den Raum von Carpenters Filmen an sich reißt, und die immer nur vorübergehend gebannt, nie ausgelöscht werden kann, weil sie immer unerklärt, uneinsehbar, unberechenbar bleibt. John Carpenter ist kein Minimalist. Er weiß nur, wie man dem Unsichtbaren effizient Raum lässt.

 

Joachim Schätz

 

Dieser Text ist zuerst erschienen in:  flourian.ruhezone

 

Assault – Anschlag bei Nacht

ASSAULT ON PRECINCT 13

Alternativtitel:

Das Ende

Anschlag bei Nacht

USA – 1976 – 91 min. – Scope

FSK: ab 18; nicht feiertagsfrei

Verleih: Filmwelt

Arcade (Video)

Erstaufführung: 9.3.1979/1982 Video

Produktion: J.S. Kaplan

Regie: John Carpenter

Buch: John Carpenter

Kamera: Douglas Knapp

Musik: John Carpenter

Schnitt: John T. Chance

Darsteller:

Austin Stoker (Bishop)

Darwin Joston (Wilson)

Laurie Zimmer (Leigh)

Martin West (Lawson)

Tony Burton (Wells)

Charles Cyphers (Starker)

Nancy Loomis (Julie)

 

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