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Asphaltrennen

 

 

Ein Überlandrennen durch Amerika als Zeitbeschreibung der 70er – das beste Road Movie aller Zeiten.

 

"Wenn es jemals ein Filmregisseur verdient hätte, wiederentdeckt zu werden, dann wäre das Monte Hellman " – Quentin Tarantino

 

"Jeder geschlossene Raum ist wie ein Sarg" – Blumfeld

 

Anfang der Siebziger schien kurz alles möglich in Hollywood: Der außerordentliche Erfolg von billig produzierten Filmen wie Die Reifeprüfung und Easy Rider veranlasste die Studios auf der Suche nach neuen Filmen, die die scheinbar frisch angezapfte Jugendkultur wieder zahlreich ins Kino locken würde, einer ganze Riege jüngerer Regisseure die Chance zu größeren Projekten zu geben. Viele davon kamen aus der Schmiede Roger Cormans und hatten für ihn bereits einen oder mehrere Filme inszeniert. Neben Coppola, Scorsese und Bogdanovich gehörte auch Monte Hellman zu dieser Gruppe, wenn er auch schon wesentlich länger dabei war als die anderen. Aufsehen hatte er zuletzt mit zwei düsteren, faszinierenden Kunstwestern erregt, The Shooting und Ride in the Whirlwind, die in Amerika nicht einmal einen Verleih fanden, auf Festivals und vor allem in Frankreich jedoch begeistert aufgenommen worden waren. Seit ihrer Entstehung 1965/66 hatte Hellman seine weiteren Projekte zerschlagen, doch dank seines Rufs in Frankreich wurde ihm ein Projekt namens Two-Lane Blacktop angeboten.

 

Hellman warf das Drehbuch ("das geschmackloseste, albernste, sentimentalste, dümmste, das man sich nur ausdenken kann") weg und schrieb gemeinsam mit dem Romanautor Rudy Wurlitzer ein neues, wobei er nur die Grundidee (ein Rennen quer durch Amerika) beibehielt. Die Besetzung umfasste mit dem Sänger James Taylor sowie dem Beach Boy Dennis Wilson zwei Ikonen der Jugendkultur, das Thema obsessiven Fahrens schien nach Easy Rider einen sicheren Hit zu garantieren, das Drehbuch wurde vorab als "Film des Jahres" im Esquire Magazin veröffentlicht – aber Universal-Chef Lew Wassermann hasste den Film und drehte die Werbeausgaben ab – Two-Lane Blacktop wurde ein Flop, Hellman arbeitet seither, wenn überhaupt, wieder an den Randzonen kommerziellen Filmemachens.

 

Es ist kein Wunder, dass der Film keinen Erfolg hatte – zu kompromisslos düster ist seine Vision von Amerika (noch mehr als William Guercios Harley Davidson 344 ist er die ultimative Kritik an Dennis Hoppers Erfolgsfilm) und seine Triebfeder ist nicht die Bewegung, sondern Verzweiflung und Einsamkeit; Two-Lane Blacktop, tatsächlich der "Film des Jahres" 1971, wenn nicht der Siebziger überhaupt, führt seither ein Leben abseits des Mainstreams, kultisch verehrt von seinen Anhängern, vergessen vom Rest der Welt (abgesehen von sporadischen Kinoeinsätzen taucht er gelegentlich im dritten deutschen Fernsehen auf, vorläufig ist er sonst nur auf einer US-DVD erhältlich).

 

Das Moment des Scheiterns ist von Anfang an in den Film eingeschrieben – er beginnt mit einem der illegalen Beschleunigungsrennen auf kurze Distanz, mit denen die Protagonisten ihren Lebensunterhalt verdienen. Doch kaum haben die Hauptfiguren das Rennen für sich entschieden, taucht die Polizei auf und die Versammlung von Fahrern und Zusehern zerstreut sich auf der Flucht. Dieser Anfang ist typisch für einen Hellman-Film: Er wirft den Zuschauer mitten in die Ereignisse (und hört zumeist ebenso abrupt auf, so als könnte man dem Leben keine drehbuchgerechten Schnörkel anhängen), hier in den Beginn des Rennens. Auf einer vom Dunkel umhüllten Fahrbahn verzeichnet die Kamera ökonomisch die Abläufe: Die Konzentration der Fahrer, das Verhalten des Startzeichengebers (routiniert und nervös), Blicke der Umstehenden, eine in schwarze Nacht getauchte öde Landstrasse, auf die nur die Scheinwerfer Lichtkegel werfen und schließlich das Gefühl der Beschleunigung, als die Motoren aufheulen und sich die Fahrzeuge in surrende Bewegung versetzen.

 

Nach dem Vorspann, der zu einem links laufenden Mittelstreifen auf schwarzer Leinwand die Protagonisten vorstellt – "The Driver" (James Taylor), "G.T.O." (Warren Oates), "The Mechanic" (Dennis Wilson), "The Girl" (Laurie Bird) – folgt Hellman den Figuren in den Alltag: Der Fahrer und der Mechaniker nehmen auf ihrer Überlandreise von Rennen zu Rennen das Mädchen mit und treffen mehrmals auf den G.T.O. Schließlich kommt es auf einer Tankstelle zur Abmachung mit dem Fahrer des anderen Wagens: Ein Rennen quer durch Amerika, nach Washington, D.C., um die "pink slips", die Fahrzeugpapiere. Doch das Rennen kommt nie wirklich in Gang, obwohl das erst im Verlauf des Films so richtig klar wird: Stattdessen folgt der Film in gleichmäßiger Bewegtheit den Figuren beim Fahren sowie kurzen Stopps für Tanken und Essen oder einem Schluck aus dem Flachmann, während der Motor auskühlt.

 

Vermutlich war es diese Verweigerung eines narrativen Aufbaus, der Two-Lane Blacktop damals um seine Chance an der Kassa brachte, doch heute lässt ihn diese Vorgangsweise ungeahnt modern und frisch erscheinen: Im klaren Blick auf die Figuren und Landschaften gelingt es Hellmans Film als einzigem ohne falschen Pathos oder verklärende Ideale das Lebensgefühl des Fahrens einzufangen. Musik läuft so gut wie nie zu seinen Fahrtsequenzen, der knurrende Motorenlärm bestimmt die Tonspur und die Kamera bleibt fast immer im Inneren des Fahrzeugs, hinter der Windschutzscheibe gefangen wie die Protagonisten, ohne je das Freiheitsideal zu bedienen, im Fahren mit der Landschaft zu verschmelzen. ("Als wir das Projekt vorstellten, musste ich einmal alle Kamerapositionen, die in einem Auto möglich sind, vorführen. Ich glaube, ich brachte es auf vierundzwanzig." – Hellman) Stattdessen erzählt Two-Lane Blacktop von der Leere und Langeweile des Fahrens, geradlinig und ohne Erlösung.

 

Von der Langeweile zu erzählen ohne selbst langweilig zu werden, ist natürlich eine der schwierigsten Aufgaben. Es spricht für den Künstler Hellman, dass sich diese Frage nicht einmal stellt. Zwar wirkt der Film beim ersten Ansehen anfangs ein wenig schroff und unzugänglich (nicht zuletzt, weil er keine Identifikationsfiguren anbietet, konsequenterweise stehen die "Darsteller" der Autos im Abspann gleichberechtigt neben den Personen), aber sicher nicht uninteressant. Das liegt zum einen an der fast ethnographischen Qualität mit der er eine heute so gut wie ausgestorbene Subkultur betrachtet (Hellmans nächster Film, der wunderbare The Cockfighter tat dasselbe für die Hahnenkämpfer in Georgia): Hellmans Geschick in der Montage (er hat viele seiner Filme selbst geschnitten) gibt den Ereignissen einen selbstverständlichen Flow. (Eine Szene, in der das Mädchen Passanten auf der Strasse um Geld angeht, wirkt so echt, als wäre sie mit versteckter Kamera geschossen – was durchaus möglich ist.) Details der Rennvorbereitung: Flüssigkeit vor die Reifen zu schütten, scheinbar schon hundertmal vollzogene Handgriffe am Motor, die etwas armselige Jahrmarktsstimmung rund um diese marginalen Ereignisse (man denke zum Vergleich auch an zahlreiche der obskuren Ami-Sportarten, die am DSF übertragen werden: halbleere Hallen voller zwangseuphorisierter Rednecks – hier ist die Menge noch groß genug, um ein Areal im Freien abzudecken, aber die trostlose Jubelstimmung ist dieselbe) und schließlich die Stop-and-Go-Rennen, die binnen Sekunden vorbei sind – ein krasser Gegensatz zur langen Vorbereitung.

 

Das zweite kennzeichnende Element ist die Haltung zu den Figuren: Als wären auch sie in einer Phase ewiger Vorbereitung steckengeblieben, gönnt ihnen das Drehbuch keine hehren Motivationen. James Taylor ist eine Idealbesetzung als der Fahrer: Sein adlerartiges Profil, der stechende, gierige Blick hinter der wortlosen Fassade – das ist genau der Mann, der eins mit seinem Auto werden will, um im Gefühl des Fahrens zu verschwinden. Als Laie beweist Taylor nicht immer den nötigen Aplomb, um seine Sätze mit der richtigen Schärfe hervorzustoßen, aber das ist nicht unbedingt zum Nachteil des Films: Als wäre seine Verbindung zur Welt schon endgültig gekappt und nur mehr ein selbstvergessenes Hervorbringen minimaler Sprache nötig. Noch dazu beläuft sich der Großteil seines Dialogs auf den Austausch autospezifischer Details mit seinem Mechaniker (Dennis Wilsons sanfte Breite setzt einen schönen Gegenpart: Während Taylors Wortlosigkeit ein brennendes Verlangen dahinter ahnen lässt, wirkt Wilson ausgewogener, zufrieden mit seiner driftenden Existenz, allerdings mehr aus bekiffter Ambitionslosigkeit, ein bisschen wie die Helden von Pynchons Romanen, mit denen dieser Film auch die zerfallende Struktur teilt) – ein seltsames technobabble, das für den Uneingeweihten genausogut aus einem Science-Fiction-Film stammen könnte.

 

Das tut es zumindest für das Mädchen, Laurie Bird, ein schmollender Teenager, der sich zuerst den beiden anhängt, im Verlauf des Films jedoch mehrfach die Mitfahrgelegenheit wechselt. Auch ihr ist die ziellose Suche, das Treiben durch Amerika eingeschrieben, doch im Gegensatz zu den anderen Figuren fügt sie sich nicht in die eigentümliche Welt der Autorennen ein. Ihre Aufmerksamkeitsspanne ist zu kurz, um sich dem sinnlichen Gefühl der Bewegung und der damit einhergehenden Faszination für Details der Motorisierung anpassen zu können. Als sich Taylor und Wilson über das "rear end" eines Autos unterhalten, rollt sie sich auf der Rückbank ein und nörgelt beleidigt: "And what about my rear end?" Hellman hat in Interviews den romantischen Aspekt des Films betont – so als würde Taylors Faszination für Bird den Film zusammenhalten, löst er sich nach ihrem Abgang endgültig auf. Davor ist es allein sie, die seine suchenden Augen von der Landstrasse und den Autos ablenken kann. Die zärtlichste Szene zwischen ihnen erzählt zugleich von der Unmöglichkeit der Beziehung. Taylor versucht ihr, das Autofahren beizubringen, ohne Erfolg. Am Ende küssen sie sich, aber der Beigeschmack ist der endgültigen Verlustes: Er hat ihr alles gegeben, was er kann und sie ist nicht daran interessiert.

 

Ist Taylors Profil die Essenz für das Aussehen des Films, so ist Warren Oates´ G.T.O. sein trauriger Herzschlag. Oates ist eine Art von Schauspieler, die heute ausgestorben scheint: Ohne Angst vor Armseligkeit hatte er seine beste Zeit in der kurzen Phase des New Hollywood (seine Hauptrollen hier sowie in The Cockfighter und Bring mir den Kopf von Alfredo Garcia gehören zu den nuanciertesten Darstellungen in der Geschichte des amerikanischen Kinos) – danach wie davor musste sich dieser betont unglamouröse Schauspieler hauptsächlich mit Nebenrollen zufriedengeben, die oft das Beste im Film sind, wegen ihrer voll realisierten Unauffälligkeit aber zumeist keine Beachtung fanden. Unter seinen Rollen ist diese hier vielleicht die bewegendste und mickrigste. In ständig wechselnden V-Pullovern, mit einem Paar schwarzer Handschuhe und einem wie vorgefertigt hervorspringenden breiten Grinsen, nimmt er immer wieder Autostopper mit und erzählt ihnen seine Lebensgeschichte, die sich von Mal zu Mal wandelt, so wie seine Existenz in konstanter Veränderung ist, oft angereichert mit Details aus den kürzlichen Ereignissen. Im gesamten Kino gibt es kaum eine Figur, die der einsamen Lächerlichkeit und dem verletzten Stolz des G.T.O. gleichkäme: Obwohl Oates die extrovertierteste Figur des Films ist (er beginnt von selbst Gespräche), liegt eine stille Traurigkeit am Boden seiner Seele. Die enorme Diskrepanz zwischen seiner alltäglichen Erscheinung und seinen erfundenen Geschichten (in denen er unter anderem als Jet-Tester, Automogul und ähnlichem an 60s-Bond-Glamour geschulten Positionen fungiert, in der letzten Erzählung präsentiert er sich als Sieger des nie beendeten Rennens) verleiht den Geschichten eine Tragik, die ihre Lächerlichkeit im Keim erstickt. Dabei zählen die Sequenzen mit den Autostoppern, die er mitnimmt, zu den komischsten des Films: Ein schwuler Cowboy (Harry Dean Stanton), dessen Avancen Oates ungeschickt zurückweist, ein junger Hippie, der Oates offensichtlich erlogene Erzählungen mit dem sofortigen Ausstiegswunsch quittiert (Oates lächelt ihn an, um den Schmerz zu verbergen), in einer der verstörendsten komischen Szenen eine alte Frau mit ihrer Enkelin auf dem Weg zum Friedhof. Versponnenen Blicks sitzt sie da und murmelt "…city car." Oates Blick hellt sich auf und er wittert eine Erzählchance. Jovial entgegnet er: "Oh, it´s a city car as well as country car, depends on what you like. A lot of folks are driving those these days." Sie würdigt ihn keines Blickes und setzt tonlos nach "City car´s what killed them. Her parents. Last Saturday. We´re going there." Das Gespräch ist zerstört und Oates´ betretenes Schweigen legt sich über den Wagen wie ein Grabtuch.

 

Obwohl Oates der einzige professionelle Schauspieler unter den Hauptdarstellern ist, bleibt sein Spiel frei von jeder Affektiertheit. Er hat keine eigene Persönlichkeit (zumindest keine, mit der er jemals zufrieden ist oder war: Deswegen erfindet er ja die Geschichten), und so bleibt ihm nur ein verzweifeltes Gemisch aus freundlicher Verlorenheit im Auftreten und einem unbeholfen kontrollierten Körper (wie Kent Jones es so unvergleichlich gesagt hat: "Er kann sich nicht einmal bequem an eine Hauswand lehnen"). Oates verweigert dabei jedes bewusste Gestaltungsmittel, das ihn als Akteur ausweisen könnte. Die Tragik seiner Figur verliert sich in minimalen Gesten, denen alles Bedeutungsvolle abgeht und einer Erscheinung, die so unauffällig ist, dass seine Geschichten tatsächlich das einzige zu sein scheinen, was ihn davor bewahrt, aufzuhören zu existieren. Ironischerweise rettet er damit seinen Gegenspielern einmal den Tag, als er eine Gruppe Rednecks, die das Duo plus Mädchen als Hippies verdächtigen, mit einem Garn ablenkt, das ganz natürlich aus dem Nichts zu wachsen scheint: Sie seien Musiker, er ihr Manager und sie alle eine große, aufrechte Familie (eine Implikation, die angesichts des entwurzelten Außenseiterstatus, den sie miteinander teilen, besonders verzweifelt nachhallt). Als die Gefahr vorbei ist, bekommt er sein Alka Seltzer serviert und er wirft mit selbstverlorener Traurigkeit die Tablette ins Glas, während sein Gesicht noch immer lächelt: Gottes einsamster Mensch. Die schmerzliche Klarheit, mit der Hellman solche Momente setzt, lässt dabei jede Sentimentalität vermissen – nicht zuletzt deswegen hat die Kritik des Films am Lebensstil seiner Helden nichts von ihrer Wucht verloren (auch wenn es den Lebensstil nicht mehr gibt, lässt sich die Geisteshaltung – ein gegenkultureller Traum vom Verschwinden in der Motorik – noch immer als nostalgische Phantasie oder als utopische Vision finden, zwei Beschönigungen, die Hellmans radikal materialistischer Blick völlig zerschlägt). Und so redet der G.T.O. ewig weiter, aber nur für sich selbst. In zwei Szenen lässt Hellman die Beifahrer einschlafen, doch Oates Monolog läuft ungebrochen weiter, inklusive all der kleinen Manierismen, die er sich für seine Beifahrer ausgedacht zu haben scheint. Einmal träumt er von einer Zukunft (ansonsten spricht er nur von der Vergangenheit) mit dem Mädchen, die am Beifahrersitz vor sich hindöst: "We´ll build a house. If I don´t get ground under my feet soon…I´ll go into orbit." Die Bilder sprechen eine klare Sprache: Der Traum ist ein Selbstgespräch, und der G.T.O. kreist allein in seinem Orbit, abgeschnitten von der Welt.

 

So wie sich Two-Lane Blacktop seinen Protagonisten radikal illusionslos gegenüberstellt, so schonungslos ist auch sein Blick auf Amerika. Wurde eingangs schon der ungeschönte Blick auf das Umfeld der Hauptfiguren erwähnt, so zeigt sich auch die Landschaft, in der sie leben (und die so ihr Leben formt) frei von jeder Gefälligkeit. Karge Landstrassen, die von karstigen Bergen und vereinzelten Baumflecken gesäumt werden, ungemähte Wiesen, die die Fahrbahn flankieren, deren graue Staubigkeit das obsessive Zentrum des Films ist (selbst die spröd poetische Bezeichnung des Titels wirkt dagegen noch lyrisch) – Hellmans Blick versagt ihnen jede filmische Pracht. Die Winkel und Flecken dieses Films sind alltäglich wie die Bundesstrasse hinterm Haus und die Tankstelle an der Abzweigung zum Schotterweg ins Nirgendwo. Zwar fängt Two-Lane Blacktop die veränderlichen Landschaften auf der langen Reise ein (und produziert so einen schönen Kontrast zur unveränderlichen Lebensweise der Figuren), aber es geschieht ganz beiläufig, weil es nun mal so ist, wenn man durch die Einöde fährt. Das bleibt so wenig aufregend wie die x-te Fahrt auf der Autobahn von Salzburg nach Wien – die Aktion ist nur die Bewegung. (So bescheiden bleibt der Film in seiner unaufdringlichen Gestaltung der vielfältigen Bewegungsmuster, abzulesen aus den unterschiedlichen Blickwinkeln, in denen die pure Rasanz gefilmt wird – von den unzähligen verschiedenen Perspektiven im Inneren des Wagens, die ganz echt ein abgeschlossenes System suggerieren, in dem man sich durch ein anderes bewegt, zu den plötzlichen Schwenks über die in der Landschaft verschwindenden Wagen, die deren Verlorenheit suggerieren – dass sein unauffälliger Minimalismus jeden Freiheitstraum zerschlägt.)

 

Ähnlich wie Two-Lane Blacktop zwar die Suche der Helden nach dem Traum des Geschwindigkeitsrausches erfahrbar macht, ohne ihn darzustellen – und so einen Realismus erreicht, den kein anderes Road Movie je zu bieten hatte, untersucht sein ganzheitlicher Blick auch die Kehrseite der Medaille: Seine Konsequenz in der Gestaltung des nahezu schmerzhaften Stillstands, der immer wieder die Reise unterbricht, ja unterbrechen muss, ist von vergleichbarer Offenherzigkeit. Two-Lane Blacktop ist voll mit Szenen, die für eine "Handlung" völlig bedeutungslos wären, aber das Lebensgefühl (und Hellman erzählt von einem Zustand und nicht eine Geschichte) und die Alltagsumstände seiner Figuren auf den Punkt bringen: James Taylor, wie er sich ein Bier kauft, die an Godards Weekend erinnernde Gleichgültigkeit, mit der die Fahrer einen Autounfall passieren, der sie beinahe selbst das Leben gekostet hätte, die schmierige Atmosphäre der Drive-Ins und die verbohrte Kommunikationslosigkeit der Helden. Dem Film ist jede Romantisierung fremd und an die Stelle der Erzählung tritt der Akt des puren Sehens.

 

"D.W. Griffith sagte einmal etwas, das mich tief beeindruckte: Alles, was er erreichen wollte, wäre, das Publikum sehen zu lassen", sagt Hellman selbst. Es gibt keinen Film, der das so schön zeigt wie Two-Lane Blacktop: Heute präsentiert er sich als ein Monument dessen, was im amerikanischen Kino auch möglich gewesen wäre, hätte sich die körperbetonte und bewusst antinarrative Strategie der Filme von Hellman, Cassavetes und des frühen Rafelson durchgesetzt, anstelle des anderen Kinos der frühen Siebziger, das seine dunkle Vision von Amerika statt im nihilistischen Blick in der Neuformulierung von Genres sah (für das etwa Coppola und De Palma stehen und dessen völlige Entleerung durch Lucas´ und Spielbergs kommerzielle Triumphe Projekten der anderen Schiene endgültig das Wasser abgrub). Stellvertretend für viele Momente dieses Films, die einen ähnlich unverfälschten Blick auf den Alltag der Protagonisten werfen (und der oft in einer so unverstellten Armseligkeit endet, dass die Lächerlichkeit der Szene zu purer Verzweiflung gerinnt – etwa, wenn Oates, dem Vorbild seiner Kontrahenten folgend, beschließt, ebenfalls eine Nummerntafel von einem anderen Wagen abzumontieren, um sich dem Gesetz zu entziehen [nicht dass er es nötig hätte]: Schon betrunken schraubt er spätnachts am Schild herum, wir sehen ihm am nächsten Morgen wieder, in den trüben Strahlen des ersten Sonnenlichts, halb sitzend, auf die Stoßstange gestützt, eingeschlafen), sei eine entscheidende Sequenz, einigermaßen früh im Film, erwähnt: Diejenige, in der das Rennen fixiert wird.

 

Warren Oates lungert an einer Tankstelle herum, nimmt sich eine Cola, trinkt aus der Flasche, stellt sie fast voll zurück, holt sie nochmal hervor und nimmt einen weiteren Schluck, stellt sie wieder zurück. In der Zwischenzeit sind Taylor und Wilson samt Bird eingetroffen, befüllen ihr Auto und hängen ebenfalls herum. Obwohl nichts im eigentlichen Sinne passiert, legt sich eine unbehagliche Stimmung über den Ort. Die schon bei vorherigen Überholmanövern etablierte Feindseligkeit beginnt zu schwelen und entfaltet sich über die trostlose Alltäglichkeit der Zapfhähne (wie in vielen Szenen des Films ergehen sich nebenher Randfiguren in selbstverständlichen Aktionen, was den realistischen Gehalt erhöht). Taylor lehnt an einer der Zapfsäulen und starrt zu Oates, mit Wilson tauscht er ein paar abfällige Bemerkungen aus (die betonte Handarbeit an ihrem äußerlich abgetragenen Chevy steht in krassem Gegensatz zum protzigen Erscheinungsbild von Oates´ Wagen – wie seine Upperclass-Lebensentwürfe passt die offensichtliche Fliessbandherkunft seines Flitzers nie zu seinem gewählten Lebensstil: ein Verlierer, der vergeblich von Großem träumt, ganz wie Alfredo Garcia), bis der G.T.O. nach einer Pause genug hat und die beiden zum Rennen fordert. Während die Details besprochen werden, schlüpft das Mädchen in sein Auto und holt eine Kassette aus seiner reichhaltigen Musikauswahl. Und so breitet sich Kris Kristoffersons "Bobby McGee" über diesen Herrgottswinkel der Leere. Die Autos stehen still (charakteristischerweise handelt es sich beim einzigen Song, der während einer Fahrt ertönt, um ein Hillybilly-Gedudel, mit dem Oates einen Beifahrer erfreuen will; als Wilson einmal das Radio laufen lässt, dreht es Taylor ab, weil die Musik das Fahrgefühl stört), die Protagonisten glauben, einen Beweggrund fürs Weiterfahren gefunden zu haben (wie Jones anmerkt: "Sie glauben, sie fahren ein Rennen, doch Hellman lässt uns erkennen, das dem nicht so ist. In Wahrheit sind sie Spieler im Theater des Lebens.") und die Sonne brennt weiter auf den ereignislosen Tag an der Tankstelle. Dazu klingt "Freedom´s just another word for nothing left to lose", und Hellman ist das Kunststück gelungen, diese Hymne völlig unpeinlich als Kritik einzusetzen, ohne angestrengte Ironie zu bemühen.

 

Es ist diese Bodenständigkeit des Blicks, der das genuin einzigartige Wesen dieses Films ausmacht: Mit Szenen, die in jedem anderen Werk geschnitten würden (und zumeist zu Recht), legt Hellman das Rückgrat für die Anti-Erzählung des Films. Die Art wie seine Figuren leben, mit der Umwelt interagieren und wie sie der Beziehungslosigkeit, in der sie gefangen sind, mit ihren bescheidenen Mitteln eine emotionale Bindung – wie schwach auch immer – abzuringen suchen, um den letzten Rest Lebenswürde zu bewahren, lässt sich nur in so unaufgeregten Momenten fassen und nicht in oder auch nur zwischen den Höhepunkten einer vorwärtstreibenden linearen Erzählung (auch Two-Lane Blacktop treibt vorwärts, aber ins Nirgendwo). Und so schafft es Hellman tatsächlich, das Publikum einfach nur sehen zu lassen, auf den nackten Kern der Existenz seiner unglamourösen Hauptfiguren.

 

Als wäre dieser offene Blick nicht schon radikal genug, geht Hellmans Film bis zum bitteren Ende. Wo es kein Verstehen mehr gibt, bleibt nur noch die völlige Auflösung der Fiktion. Two-Lane Blacktop hat eines der einzigartigsten Enden der Filmgeschichte, das gnadenlos die eigene Selbstauslöschung betreibt. Ein letztes Mal sehen wir den Fahrer James Taylor bei irgendeinem Rennen Platz im Auto nehmen (was mit dem scheinbar abgebrochenen Rennen und den Fahrzeugpapieren passiert, ist längst bedeutungslos geworden) und der Film gönnt ihm die vielleicht bis dahin purste Annäherung an seinen Traum vom reinen Fahren: Er schließt die Fenster seines rasenden Sargs und der Motorenlärm verstummt im abgeschlossenen Blechgehäuse des Wagens. Es folgen vertraute Handgriffe des Kuppelns und die soghafte Beschleunigung der Geschwindigkeit. Auch die Kameraeinstellung ist schon bekannt: Von der Mitte der Rückbank aus, Taylors Kopf (dessen Haare sich in eigenwilligen Schlenkern auf- und abbewegen) nimmt die linke Bildhälfte ein, und ihm scheint der Traum vergönnt zu sein, sich in der Vorwärtsbewegung in die Landschaft zu bohren. Doch der Film beginnt zu stocken, langsamer zu werden und zerrinnt in Einzelbilder, bis er endgültig im Projektor steckenbleibt. Taylors Traum verglüht wortwörtlich, als von der Mitte seines Kopfes aus der Film durchbrennt und das Bild sich auflöst in der ultimativen Zerschlagungsgeste: I´m beginnig to see the light.

 

Fast alle Zitate und einige weitere Informationen zu Monte Hellman verdanken sich Kent Jones’ vorbildlichem Essay über Monte Hellmans Gesamtschaffen: "Die Zylinder flüsterten meinen Namen", in Alex Horwath/Viennale (Hg.): The Last Great American Picture Show, New Hollywood 1967-1976, Wespennest 1995.

 

Christoph Huber , 30.10.2000 

 

Dieser Text ist zuerst erschienen in:  videoFREAK.net

 

 

Asphaltrennen

Two-Lane Blacktop – USA / 1971

Regie:  Monte Hellman

Mit: Laurie Bird, Warren Oates, James Taylor, Dennis Wilson 

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