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A
Snake of June
So einen Regen habe ich im Kino seit dem Horrorfilm
“Dark Waters” – nebenbei auch ein Film, der den Bildkontakt zur Welt des Unterbewussten
und Verdrängten sucht – nicht mehr gesehen. Sturzbachartig ergießt
sich in Shinja Tsukamotos “A Snake of June” Regenwasser durch viel zu enge Ableitsysteme,
verstärkt von einem donnernden Rauschen. Haben die Menschen ihre Wohnzellen
verlassen, sind sie auch schon durchnässt bis auf die Knochen. Ihre Regenschirme
tragen sie – zur Not auch vor dem Körper – als gelte es, ihre Sexualität
vor fremden Blicken zu schützen. Jeder Blick, jede Einstellung ist in “A
Snake of June” automatisch sexuell konnotiert. Und wenn die Hauptfigur Rinko
im Minirock unbeholfen durch die Straßen stöckelt, kneift sie unwillkürlich
ihre Knie zusammen. Kein Bild ist unschuldig in den Filmen Tsukamotos, und das
gilt umso mehr für seinen neuesten Arthouse/Exploitation-Mitternachtsfilm
“A Snake of June”.
Immer wieder sehen wir Sturzbäche in glucksenden
Gullis verschwinden, und in der nächsten Szene blickt uns ein schwarzer
Abfluss entgegen, den Rinkos Ehemann Shigehiko wie ein Wahnsinniger scheuert.
Dieser Blick erinnert uns auch wieder daran, dass sich im Wasser der ganze Schmutz
unserer unreinen Existenz sammelt. Die nächste sexuell konnotierte Bildfolge:
nackte Haut, Regen, Abflusswasser, schwarzes Loch – in dem die Begierden verschwinden.
Der Film wiederum scheint seine Figuren wie ein Spanner aus genau solch einem
Loch heraus zu beobachten. Manchmal blickt die Kamera ihnen auch so frontal
entgegen, dass ihre Gesichter rattige Züge annehmen.
Rinko und Shigehiko führen eine japanische Bilderbuchehe:
Beide haben Erfüllung in ihren Berufen gefunden, halten ihre Wohnung penibel
sauber und schlafen nachts in getrennten Betten. Aber der Schein trügt.
So wie die Kamera sperrig um die Figuren herumschleicht, verbreitet “A Snake
of June” von der ersten Minute an ein ohnmächtiges Gefühl von Repression.
Dieses visuelle Herumdrucksen macht einen fast wahnsinnig. Die Fassade bröckelt,
als Rinko, die für eine Beratungshotline für Krebspatienten arbeitet,
einen anonymen Brief mit Fotos von sich erhält, die in einem Moment vermeintlicher
Intimität geschossen wurden. Sie allein mit ihren sexuellen Obsessionen.
Am nächsten Morgen meldet sich der Voyeur am Sorgentelefon. Er fordert,
dass Rinko sich öffentlich zu ihren geheimen Wünschen bekennt, andernfalls
landen die Negative bei ihrem Mann. Der Anrufer (gespielt von Tsukamoto selbst),
ein ehemaliger Krebspatient, schickt Rinko im Minirock und mit ferngesteuertem
Vibrator bewaffnet auf eine Tour de Force duch die öffentlichen Toiletten
und U-Bahnhöfe eines dauerverregneten Tokios.
“A Snake of June” zeigt eine kalte, blau-monochrome
Großstadthölle, die sich nicht erst perspektivisch verengen muss.
Schon im Bildvordergrund zeichnet sich eine klaustrophobische Angst ab, die
die Figuren unter wachsenden Druck setzt. Der karthatische Moment, wenn dieser
Überdruck kompensiert werden kann, ist auch der Punkt, an dem die Bilder
Tsukamotos sich endlich locker machen. Und dann wird es richtig krank. Die geschwürartigen
Verwachsungen von Menschen und Objekten, zunächst rein metaphorisch, später
auch unmittelbar körperlich, führen schließlich zu den schönsten
Mensch-Maschine-Metamorphosen, die das Kino außerhalb des Cronenberg-Kosmos
(und seit Tsukamotos Bodyhooror-Kultfilm “Tetsuo Ironman”) hervorgebracht hat.
Teleskopartige Sexspielzeuge winden
sich um die glitschige,
menschliche Körper. Gruppen von Männern
mit retro-futuristischen Sichtgeräten werden gezwungen, gewaltätige
Kopulationsspiele zu beobachten. Eine Fotokamera verschafft als phallische Erweiterung
gesteigerten Lustgewinn (je heller der Blitz, je lauter das Klicken, desto größer
die sexuelle Befriedigung, heißt es im Film). Und ununterbrochen gießt
es wie aus Kübeln. Tsukamotos Filme lassen sich jedoch nicht auf solche
Schlüsselbilder reduzieren. Sie finden dort im Gegenteil erst ihren Ursprung.
Tsukamotos zwanghaft-pervertierte Fantasien wirken
einfach hemmungslos geil, weil seine Bilder noch so vorbewusst-unraffiniert
sind. Wie gehetzt er in dieser paranoischen Enge nach Befreiung sucht, hat etwas
Manisches, von dem man gerne mehr im Kino sehen möchte. Ähnlichkeiten
mit David Lynch sind nicht von der Hand zu weisen, aber Tsukamotos außer
Kontrolle geratenes Bilderrepertoir ist ungleich entfesselter und expliziter.
Man muss das gesehen haben, um es zu glauben. Verstehen tut man es deswegen
noch lange nicht.
Andreas Busche
Dieser Text ist zuerst erschienen
in der taz
Zu diesem Film gibts im archiv der filmzentrale mehrere Texte
A
Snake of June
Japan
2002 – Originaltitel: Rokugatsu no hebi – Regie: Shinya Tsukamoto – Darsteller:
Asuka Kurosawa, Yuji Kohtari, Shinya Tsukamoto, Mansaku Fuwa, Tomoro Taguchi,
Susumu Terajima – FSK: ab 16 – Fassung: O.m.d.U. – Länge: 77 min. – Start:
11.3.2004
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