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Ararat
Langsam
erforscht die Kamera eine bemalte Leinwand: Gesichter, ein junger Mann, eine
ältere Frau, ihre Gewänder. Es ist ein Bild des Malers Arshile Gorky,
ein Bild von sich selbst mit seiner Mutter, gemalt nach dem Vorbild einer Fotografie.
Der Medientransfer von der Fotografie zum gemalten Bild ist nicht der einzige,
der stattfindet in Atom Egoyans neuem Film, wie in seinen frühen Filmen
Family
Viewing,
Next
of Kin
oder Calendar
ist das Nachdenken über Medien ein integraler Bestandteil von Ararat.
Vom Foto zum Bild werden Gedanken übersetzt, vom Bild in das analytische
Buch der Professorin für Kunstgeschichte und aus diesem Buch fließen
sie in einen Film, dem die Professorin als Beraterin zur Seite steht.
Ararat
erzählt eine komplex verwobene Geschichte. Von einem Film, der gedreht
wird über den Völkermord an den Armeniern durch die Türken im
Jahre 1915, von der Produktion dieses Filmes und den untereinander vernetzten
Personen, die an dem Film mitarbeiten. Es entstehen dabei zahllose Parallelen
zwischen den Ebenen, etwa wenn eine Mitarbeiterin des Films und ihre Stieftochter
beide – und dabei meist gegeneinander – versuchen, mit dem zurückliegenden
Tod eines nahen Verwanden zurecht zu kommen, so wie andere Charaktere den zurückliegenden
Völkermord zu verarbeiten suchen.
Dem
Thema eines Holocaust haben sich schon unzählige große Regisseure
gewidmet, und viele von ihnen sind daran gescheitert. Zuletzt war es Roman Polanski,
der im Pianist
den Völkermord der Nationalsozialisten schildert und dabei versucht, mit
einer hyperrealistischen Darstellungsweise dem Grauen eine Gestalt zu geben.
Der Versuch mißlingt, weil Polanski sich den Mitteln des Hollywoodkinos
ein wenig zu routiniert bedient, weil er die gleichen Methoden einsetzt, wie
in einem gewöhnliches Genre-Melodram, um Tränen zu erzeugen, weil
er undarstellbares Grauen mittels verstaubter Konventionen auf die Leinwand
bannt. Atom Egoyans Film funktioniert anders: auch hier wird an ein furchtbares
Verbrechen erinnert, ein Völkermord, dessen Existenz die verantwortliche
türkische Regierung bis heute bestreitet. Auch hier werden dem Zuschauer
mehr als einmal Szenen von Exekutionen zugemutet, auch hier werden starke Emotionen
wachgerufen. Aber Ararat
beläßt es nicht dabei, an ein Geschehnis zu erinnern, Egoyan analysiert
vielmehr auch gleichzeitig immer den Prozess der Erinnerung selbst sowie die
Angemessenheit von Darstellungen, er bricht die grausamsten Szenen, indem beständig
von der Erzählwelt des Films in die Erzählwelt des Films im Film gewechselt
wird. Die Möglichkeit von Erinnerung wird hinterfragt und die Wirkungsweisen
der Aufarbeitung thematisiert.
Atom
Egoyan schafft mit Ararat
einen Film, der einerseits zurückkehrt zu seinen frühen Filmen, die
ebenfalls die Wirkungsweisen von Erinnerung und die Entstehung von medialen
Inhalten untersuchten, andererseits aber auch über diese hinaus wächst.
Er nimmt sich mit dem armenischen Völkermord eines Themas an, das er, wie
er sagt, nicht hätte länger in seiner Arbeit ignorieren können,
auch auf Grund seiner eigenen Erinnerungsarbeit – Egoyan ist Armenier. Ararat
ist noch komplexer, aufregender und persönlicher als seine ohnehin schon
herausragenden bisherigen Filme.
Schade,
dass Ararat
auf der Berlinale außer Konkurrenz lief – laufen musste -, weil Egoyan
selbst den Vorsitz der Jury inne hatte. Der Film wäre ein würdiger
Gewinner des Festivals gewesen und wird zu seinem Kinostart das noch junge Kinojahr
enorm bereichern.
Benjamin
Happel
Dieser
Text ist zuerst erschienen bei:
Zu diesem Film
gibt’s im archiv der filmzentrale mehrere Texte
Ararat
Kanada 2002 – Regie: Atom Egoyan – Darsteller: David Alpay, Charles
Aznavour, Arsinée Khanjian, Christopher Plummer, Marie-Josée Croze,
Eric Bogosian, Brent Carver, Bruce Greenwood, Elias Koteas – Fassung: O.m.d.U.
– Länge: 116 min. – Start: 22.1.2004
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