zur
startseite
zum
archiv
Anything
Else
Der
neue Woody Allen, mit Jason Biggs und Christina Ricci
Ein
alter Aphorismus von Woody Allen geht so: „Das ewige Nichts ist okay, wenn man
entsprechend gekleidet ist." Das passt ein bisschen auch für seine
Filme. Jedes Jahr gibt es mindestens einen neuen Woody Allen, fast immer eine
Komödie. Meistens spielt er selbst eine tragende Rolle. So auch in ANYTHING
ELSE mit Kurzauftritten als paranoid-grummeliger Altkomiker.
Über
die anderen Konstanten bei Woody Allen – etwa seine Heimatstadt New York, die
selbstironische Auseinandersetzung mit jüdischer Identität und Psychoanalyse,
seine Liebe zu Ingmar Bergman wie zum Jazz und seine, sagen wir mal: komplexe
Beziehung zu Frauen (-rollen) – ist in den letzten knapp 40 Jahren so ziemlich
alles gesagt worden. So gibt es vielleicht vor allem zwei Voraussetzungen, sich
in einer aktuellen Woody-Allen-Komödie zu amüsieren: Entweder mit
geschärfter Erinnerung an die alten Filme, um alle Anspielungen, Zitate
und Variationen zu genießen, oder mit einer zuvor verordneten Allen-Pause
von ungefähr zwei Jahren, um keine Ermattung qua Überversorgung zu
riskieren.
Nach
HOLLYWOOD ENDING (2002), der einen stockblinden Regisseur bei Dreharbeiten beobachtete
und sich (nach Voraussetzung zwei) ganz gut für eine Allen-Pause anbietet,
hält sich ANYTHING ELSE sehr zurück. Liebe und andere Verbrechen:
Ein jüdischer New Yorker Komiker hat laufend Ärger mit seiner Freundin,
kann sich nicht von seinem überforderten Agenten trennen und findet beim
Psychiater auch nicht das gewünschte Maß Lebensertüchtigung.
Das war’s. Ach ja: Außerdem hat er in der Agentur für IQ-Komiker
einen in die Jahre gekommenen Kollegen kennen gelernt, der ihn seitdem auf ausgedehnten
Spaziergängen durch den Central Park mit Weisheiten wie „Trau nie einem
nackten Busfahrer" eindeckt.
Wenn
Reduktion das Prinzip dieses Woody-Allen-Films ist, dann auch deshalb, weil
Allen selbst nicht die Hauptrolle des Jerry Falk übernimmt – das überlässt
er dem jungen Jason Biggs – sondern stattdessen den gealterten Weisheits-Zahn
David Dobel: „Ich war verheiratet, Falk. Eine böse Geschichte – ich hätte
es ahnen können, als ihre Familie auf der Hochzeit um unseren Tisch herumtanzte
und sang: `Wir werden ihn zurechtstutzen!" Allen als Dobel – der Name ist
ein Fest für Woody-Hermeneutiker – tritt hier nie ohne Gag auf; ein quertreibender,
paranoider Durchdrehertyp, der seine Einsamkeit für eine quirlige Psycho-Ehe
mit seinem Es genutzt hat.
Diese
doppelte Zurücknahme kommt vor allem dem Timing in ANYTHING ELSE zugute.
Mit seinen Kurzauftritten wird Woody Allen eine Art Rhythmusmaschine in der
Geschichte des Jerry Falk und seiner angebeteten Amanda (Christina Ricci). Sprache
strukturiert die Filmerzählung im Wechsel zwischen Fortschritt, Wiederholung
und Kommentar, gewissermaßen zwischen Strophe, Zwischenspiel und bekanntem
Refrain. Selbstredend benutzt und betrügt die launenhafte Amanda den liebesblinden
Falk bei jeder Gelegenheit, was sowohl in Woody Allens ironisch ausgestellten
Stereotypenkosmos passt als auch seinem David Dobel Chancen für Kommentare
gibt: „Die Tabletten machen sie irre? Falk, sie ist irre – das Pentagon könnte
ihre Hormone als biologische Kampfstoffe einsetzen." Da kann eigentlich
nur noch der baseballinteressierte Psychiater helfen: „Sagen Sie mir, warum
kann ich mich nicht von Amanda trennen?" -„Erzählen Sie mir doch von
Ihrem Traum, dass die Cleveland Indians alle Jobs bei `Toys R Us’ bekommen."
Der
Arzt hat Recht. Es kommt vielleicht gar nicht darauf an, wie die Sache mit Falk
und Amanda ausgeht, weshalb Amandas Mutter (Stockard Chaning) zu ihnen in das
zu kleine Apartment zieht oder warum Dobel die Nazis und einen Stromausfall
erwartet. On
connait la chanson,
oder besser: Der Inhalt trägt die Komödie, weil er fast komplett austauschbar
ist.
Genau
daraus macht ANYTHING ELSE von Beginn an keinen Hehl. Ein zentraler Gag gibt
dem Film seinen Titel und wird gleich zweimal, anfangs und zum Schluss, erzählt:
Ein Mann steigt in ein Taxi, schüttet dem Fahrer sein Herz aus, spricht
über Gott, die Welt, Verzweiflung und den Sinn des Lebens, worauf der Taxifahrer
entgegnet: „Na ja, es ist wie alles andere auch." Smarter und netter hätte
dieser Film nicht von sich selbst und zugleich von seinem Platz im Woody-Allen-Gesamtwerk
sprechen können. „It’s like anything else" ist Kommentar genug, den
Aphorismus um das ewige Nichts können wir erstmal vergessen.
Jan
Distelmeyer
Diese
Kritik ist zuerst erschienen in:
Zu diesem
Film gibt’s im archiv der filmzentrale mehrere
Texte
ANYTHING
ELSE
USA
2002. R
und B: Woody Allen. P:
Letty Aronson. K:
Darius Khondji. Sch: Alisa Lepselter. T:
Gary Alper. A:
Santo Loquasto. Ko:
Laura Jean Shannon. Pg:
DreamWorks/Gravier/Perdido. V: Alamode. L: 111 Min. Da: Woody Allen (David Dobel),
Jason Biggs (Jerry Falk), Christina Ricci (Amanda), Danny DeVito (Harvey), Stockard
Channing (Paula), Anthony Arkin (Komiker), KaDee Strickland (Brooke), Jimmy
Fallon (Bob), William Hill (Psychiater) und Diana Krall.
Start:
2.9.2004(D), 1.10.2004 (A)
zur
startseite
zum
archiv