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Anything Else

 

Woody Allen hat in seiner Karriere schon bessere Zeiten erlebt. Im Kinotrailer zu seinem letzten Film “Anything Else” tauchte gerade mal sein Name in den Credits auf. Man hätte leicht den Eindruck gewinnen können, es mit der Vorankündigung für eine neue ‘Neuromantic Comedy’ mit Christina Ricci, inzwischen erschreckend abgemagert, und “American Pie”-Star Jason Biggs in den Hauptrollen zu tun zu haben. Allens Verleih Dreamworks hatte dem Kinopublikum seinen Regisseur, Drehbuchautor und Hauptdarsteller diskret unterschlagen, um das geringe kommerzielle Potential des Films nicht weiter zu gefährden. Der Stadtneurotiker, so scheint es, hat endgültig abgedankt; Zeit für die hippen Bulimikerinnen und nervösen Zwangsmastubierer der “Prozac Nation” (so der Titel eines anderen Films von Ricci/Biggs).

 

Im Vergleich zu Deutschland allerdings hat es Allen in Amerika noch relativ gut erwischt. Hierzulande kam sein vorletzter Film “Hollywood Ending”, als erster Woody Allen-Film überhaupt, gar nicht mehr in die Kinos, und ähnlich wird vorraussichtlich auch das Schicksal von “Anything Else” aussehen, der schon von der amerikanischen Kritik – wie alle jüngeren Allen-Filme seit “Sweet and Lowdown” – nicht allzu positiv aufgenommen wurde. Das mangelnde Interesse an Woody Allen in Deutschland, wo er bislang noch auf eine treue Fanbasis bauen konnte, ist symptomatisch für das künstlerische Dilemma, in dem Allen sich seit einigen Jahren befindet. In Amerika hat er sich nach Filmen wie  “Celebrity”, “Im Bann des Jade-Skorpions” und “Hollywood Ending” seinen Sympathie-Bonus als kauziger Eigenbrötler im freudlosen Hollywood-Geschäft schon lange verspielt. Selbst das “Village Voice”, wie Allen eine durch und durch New Yorker Institution, hatte “Anything Else” in Grund und Boden verrissen.

 

Christina Ricci und Jason Biggs für die Hauptrollen in seinem neuen Film auszuwählen, mag da ein cleverer Schachzug gewesen sein. Er verdeutlicht aber auch Allens Problem. Dreamworks hatte das ganz richtig erkannt. Es dürfte heute selbst dem cleversten Marktstrategen schwer fallen, der “American Pie”-Generation zu erklären, wer Woody Allen eigentlich ist. Arriviert allein durch schiere Präsenz (für den Kinogänger um die Mitte Vierzig scheint Allen schon immer irgendwie dagewesen zu sein) und das Ostküsten-Selbstverständnis als intellektuelle Institution hat Allen sich mit seinen Filmen immer tiefer in eine beschauliche Isolation manövriert. Die Spielregeln innerhalb dieses hermetischen Soziotops sind seit den siebziger Jahren bekannt, nur hat Allen über die Jahre den Kontakt zur Außenwelt abgebrochen. Das ging so lange gut, wie sich dieses System selbst am Leben erhalten konnte. Mit Unterstützung darf Allen inzwischen aber nicht einmal mehr in den eigenen vier Wänden rechnen: In der Dokumentation “Wild Man Blues” erzählt Allens Adoptivtochter und Lebensgefährtin Soon-Yi, dass sie bis heute nicht “Der Stadtneurotiker” gesehen hat. The Kids are not alright.

 

In Deutschland ist jeder neue Woody Allen-Film zudem den Bedingungen eines völlig neu strukturierten Kinomarktes ausgesetzt. Ende der 90er Jahre hatte der Verleiher Kinowelt nach erfolgreichem Börsengang mit seinem Ableger Arthouse, über den eine Zeit lang auch Woody Allen-Filme in die deutschen Kinos kamen, einen beispiellosen Verdrängungswettbewerb im Programmkino-Sektor gestartet und kleineren Verleihern damit sehr schnell die Preise verdorben. Diese Preise gelten auch nach Bereinigung des Marktes durch den Einbruch der “New Economy” noch, nur fehlt seitdem zwischen zahlungskräftigen Multiplex-Majors und finanzschwachen Kleinstverleihern die solvente Mittelschicht, die sich den Luxus eines Woody Allen-Films noch leisten kann. Oder will. Woody Allen – demnächst ein Fall für Filmfestivals?

 

Es gibt aber noch einen anderen Grund, warum “Anything Else” besonders auf dem deutschen Kinomarkt einen schweren Stand haben könnte. Nach eher zahmen Ausflügen in selbstreferentielle Comedy-Gefilde wirkt Allens neuer Film wie das saure Aufstoßen eines überzeugten Apokalyptikers (“Ich konnte mich nicht entscheiden,” sagt Christina Ricci an einer Stelle im Film zu Allens jüngerem Alter Ego Biggs, “ob Nihilismus oder Pessimismus dich glücklicher machen würde”). Es mag an diesem Punkt in Allens Karriere vielleicht überraschen, aber unter der charmanten Twentysomethings-Beziehungskisten-Oberfläche ist “Anything Else” ein ausgesprochen böser und unversöhnlicher Film. Eine Komödie, der das Lachen permanent im Halse stecken bleibt. Sieht man einmal gnädig darüber hinweg, dass er hier erneut sein eigenes Œuvre ausgeschlachtet hat (in diesem Fall vor allem “Der Stadtneurotiker”), hinterlässt “Anything Else” vor allem einen Eindruck: Lange nicht mehr hat Allen es so ernst gemeint.

 

Von allen Allen-Figuren ist David Dobel die bislang wohl frustierteste Gestalt. Ein Stand Up-Comedian mit einem pathologischen Verfolgungswahn, der hinter jeder Bemerkung eine antisemitische Beleidigung vermutet. Der sich im Militar-Gebrauchtwarenladen ein Holocaust Survival Kit zusammenkauft, um für den Ernstfall gewappnet zu sein. Seinem Protegé Jerry Falk, gespielt von Biggs, bringt er in einer denkwürdigen Szene ein Gewehr mit nach Hause (“nur zum Schutz”); und auch wenn die Szene in komödiantischer Hinsicht etwas orientierungslos scheint, sagt sie doch einiges über Allens mentale Verfassung aus. Holocaust-Witze geben den scharfen Ton in “Anything Else” vor, aber sie sind keineswegs witzig gemeint. Genau das hat die amerikanische Kritik an “Anything Else” so gründlich missverstanden: Allens Judenwitze sind nicht geschmacklos, sondern zutiefst traumatisch.

 

“Die Verbrechen der Nazis,” hackt Jerry die Worte Dobels in sein Laptop, “waren so enorm, dass, wenn die gesamte menschliche Rasse danach ausgelöscht worden wäre, man darüber hätte streiten können, ob diese Strafe nicht gerechtfertigt gewesen wäre.” Der Satz füllt für einige Sekunden das gesamte Bild aus. Ein Satz, den man zu gerne einmal auf deutschen Kinoleinwänden sehen möchte. David Dobel ist Allens Mann der Tat. Irgendwann schlägt die paranoische Grundstimmung des Films in unkontrollierte Gewalt um – ein Moment, auf den der Woody Allen-Fan Jahrzehnte lang warten musste: Dobel steigt aus seinem Cabrio und demoliert mit einem Vorschlaghammer den Wagen eines Verkehrsrowdies. “Überall,” sagt Dobel, “widersetzen sich Menschen gegen irgendwas. Und meistens hat es mit Faschismus zu tun.”

 

Dobel ist eine interessante pathologische Figur im aktuellen Hollywood-Kino. Ob paranoider Spinner oder nicht, ist völlig irrelevant. Die Bilder seines Traumas speisen sich nicht mehr aus einer erlebten Geschichte, sondern aus medialen Überlieferungen, einer Art jüdisch-apokalyptischer ‘Oral History’. Ein Paradoxon. Das Trauma ist in “Anything Else” bereits schneller als die Verletzung. Im Umkehrschluss kann schon das Trauma eines allgegenwärtigen Antisemitismus als Beweis von dessen Existenz genügen. Für Allens Verhältnisse ist das ein politisches Statement von außerordentlicher Deutlichkeit. Der mental hochgerüstete Dobel ist die tickende Zeitbombe, die sich an den gesellschaftlichen Verhältnissen entzündet. Oder anders gesagt: Der strikt anti-psychoanalytisch argumentierende, jüdische Paranoiker ist Woody Allens Rekreation des alten Stadtneurotiker-Images, im dritten Jahr der christlich-fundamentalistischen Bush-Regierung.

 

Andreas Busche

 

Dieser Text ist zuerst erschienen in: Konkret

Zu diesem Film gibt’s im archiv der filmzentrale mehrere Texte

 

ANYTHING ELSE

USA 2002. R und B: Woody Allen. P: Letty Aronson. K: Darius Khondji. Sch: Alisa Lepselter. T: Gary Alper. A: Santo Loquasto. Ko: Laura Jean Shannon. Pg: DreamWorks/Gravier/Perdido. V: Alamode. L: 111 Min. Da: Woody Allen (David Dobel), Jason Biggs (Jerry Falk), Christina Ricci (Amanda), Danny DeVito (Harvey), Stockard Channing (Paula), Anthony Arkin (Komiker), KaDee Strickland (Brooke), Jimmy Fallon (Bob), William Hill (Psychiater) und Diana Krall.

Start: 2.9.2004(D), 1.10.2004 (A)

 

 

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