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Antwone Fisher

 

Kinderkeller

 

Der amerikanische Tellerwäscher-Traum, es wird offenbar doch dann und wann wahr. Zum Beispiel Antwone Quenton Fisher: Einst ein gedemütigtes Pflegekind, schrieb der heute 44-Jährige eine Autobiografie, wurde zum Bestsellerautor, verfasste das Drehbuch seiner Geschichte und erobert nun Hollywood – und einen Star: Denzel Washington führt in „Antwone Fisher“ erstmals Regie.

 

Anfangs steht ein trauriger schwarzer Junge allein im Kornfeld, irgendwo in Ohio, von einer großen Familie träumend, von einem Erntedankfest mit Truthahn und dickem Sirup auf den Pfannkuchen. Eine Rückblende – und auch eine Vorausschau, denn der erwachsene Antwone der Erzählgegenwart wird das Thanksgiving-Dinner und die späte Nestwärme bekommen. Aber zuvor hat der als Matrose auf einem Flugzeugträger untergekommene Antwone seine Aufgabe: sich selbst beherrschen lernen, seinem inneren Kind zuhören.

 

Inneres Kind? Das ist Psychojargon und gehört wie „frei Assoziieren“ in jede anständige Therapeutensequenz: Regisseur Denzel Washington hat sich selbst mit der Rolle eines Psychologen besetzt, der dem jungen Mann im Auftrag eines Unteroffiziers das Prügeln abgewöhnen soll und der – wie sollte es anders sein – in dessen Seele ein paar schwarze Stellen findet, Leichen im Keller, sozusagen. Und nicht nur die Therapiesitzungen laufen schön glatt, unglaubwürdigerweise steht auch Dr. Davenports Privathaus jederzeit für seinen Patienten offen und schließlich kittet Antwone im Gegenzug noch die angeknackste Ehe des Psychiaters. Am Schluss ist auch der letzte Rest von Realismus über Bord gegangen.

 

Das Motiv „Hochbegabter Waisenjunge trifft auf Therapeuten“ kennen wir aus Gus van Sants "Good Will Hunting", nur dass die Akteure dort Weiße sind – und Washington verglichen mit Robin Williams denn doch eher als Papp-Psychiater durchs Ziel geht. Wo Matt Damon die Böden des Mathematikseminars schrubbt und dann als Rechengenie auffällt, schiebt Derek Luke alias Antwone Fisher seinen Dienst in der kalifornischen Navy, in den Arbeitspausen inspirierte Gedichte schreibend. Dennoch ist er ein richtiges Mannsbild, wie eine für die Geschichte verdächtig überflüssige Montagesequenz zeigt, deren Optik und verhaltenes Posauen-Pathos (Musik: Mychael Danna) einem Werbespot für Irak-Rekruten zur Ehre gereichte.

 

Derek Luke, dem Titeldarsteller, schenkt Philippe Rousselots Kamera zahlreiche in schönes Licht getauchte Großaufnahmen. Für die Zukunft wünscht man dem ausdrucksbegabten Newcomer Rollen mit mehr Tiefgang. Der wahre Antwone Fisher trieb sich mit 17 bei Prostituierten herum. Dem Film-Antwone bleibt nur die Attitüde des herzensguten angry young man, letztlich bloß dramaturgischer Anlass, damit Psychiater und Patient was zu streiten haben.

 

Lustlos wird die Erzählgegenwart abgespult, inklusive einer konfliktfreien Liebesgeschichte (Joy Bryant als Cheryl). Intensiver gelingen die Rückblenden in Antwones Pflegefamilien-Kindheit. Wie immer stiehlt die böse Hexe darin allen anderen Figuren die Show: Novella Nelson spielt Mrs. Tate, Antwones prügelnde Pflegemutter. Mit der Fahrt auf ein verschlossenes Kellerfenster, aus dem die Klagelaute eines Kindes dringen, wagt es der Film immerhin auch, sich in die Tabuzone Missbrauch vorzutasten. Nur das Thema Rassismus – das hat Denzel Washington, der bei Spike Lee immerhin mal Malcolm X verkörperte, aus seinem Erstling seltsam ausgebleicht.

 

Jens Hinrichsen

 

Dieser Text ist zuerst erschienen am 14.6.2003 im: „Tagesspiegel“

Zu diesem Film gibt’s im archiv der filmzentrale mehrere Texte

 

 

Antwone Fisher

USA 2002 – Originaltitel: Antwone Fisher Story – Regie: Denzel Washington – Darsteller: Derek Luke, Denzel Washington, Joy Bryant, Salli Richardson, Rainoldo Gooding, Yolonda Ross, Stephen Snedden – Prädikat: wertvoll – FSK: ab 6 – Länge: 120 min. – Start: 12.6.2003

 

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