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Antikörper
»Das
Böse ist ein Virus.« weiß Gabriel Engel (André Hennicke)
zu berichten. Engel muss es wissen. Der inhaftierte Massenmörder kokettiert
gern mit solch großspuriger Weisheit, weil er die Gesellschaft für
falsch hält, deren Moral für verkommen, das Göttliche im Menschen
lediglich als Anmaßung des Katholizismus interpretiert. Das Schema greift
auch hier: Psychopath, hochintelligent, von jedweder Sozialisation verstoßen
und doch nur ihr Spiegelbild – eine Fortführung der angeblich Gerechten,
eine Existenz jenseits der Normen, für Christian Alvart, Drehbuchautor
und Regisseur, die äußerste Form von Egoismus.
Und da
sehen wir ihn: Engels Antikörper. Michael Martens (Wotan Wilke Möhring)
heißt er – eine Alliteration, wie das Böse hinter den Gitterstäben
bemerkt. Nicht zufällig tragen sie beide die Namen von Erzengeln, keineswegs
ungeplant gelangt der traumatisierte Dorfpolizist aus Mecklenburg-Vorpommern
und strenggläubige Katholik an einen Ort der Sünde, den Hof des Teufels
persönlich. Die Verführung ist Natur der Sache, das Landei wird geblendet
von der Verruchtheit der Großstadt, eingenommen von Versuchungen, allerlei
sündigen Gelüsten.
Doch das
Böse betrügt ihn. Martens reist nach Berlin um endlich den Mann zu
sehen, dessen Geist seit Jahren das beschauliche Herzbach in Atem hält.
Denn seitdem die junge Lucia Flieder (Isabel Bongard), die Tochter von irgendwem,
die Nachbarin ihrer Freunde, die erste Liebe von Martens’ Sohn (Hauke Diekamp)
auf bestialische Weise ermordet wurde, ist nichts länger unschuldig, kein
Landstrich mehr unbefleckt, niemand unverdächtig. Menschen reagieren irritiert,
ängstlich, zornig, doch vor allem der aufrechte Polizist hegt Zweifel an
seinem Glauben, verachtet das Menschsein, vernachlässigt zunehmend seine
Familie.
»Was
hast du erwartet? Hannibal Lecter?«, entgegnet ihm Engel bei ihrer ersten
Begegnung. Der personifizierte Antichrist wirkt nicht wie das Monster, das Martens
vermutet. Doch er will das Monster sehen. Nicht nur um den Serienmörder
seiner Schuld zu überführen – Engel schmückt sich voller Stolz
mit seinen Morden – sondern um selbst zur Ruhe zu kommen, ganz Herzbach die
geraubte Sittlichkeit, das christliche Ethos, die kindliche Unschuld wiederzugeben.
Ob er allein ihnen all das wiederbringen könne, fragt seine Frau Rosa (Ulrike
Krumbiegel) ungläubig? Nicht Martens könne das tun, nur Engel kann
das.
Zwischen
Engel und Martens entwickelt sich ein fast philosophischer Diskurs, doch auch
hier muss das Gute erkennen, mit welch betäubender Effektivität das
Böse agiert. Es ist das Entlarvende hinter Engels Fragen, welches den Gläubigen
verunsichert, ihn taumeln lässt. Die Sünde fasziniert hier nicht durch
ihre formelle Schönheit – der Massenmörder ist nun wahrlich kein verbotener
Apfel oder züngelndes Getier – doch die Versuchung im Geiste, das gedankliche
Spiel mit dem Wertebruch, der tabulosen Gier oder sexuellen Lust entwurzelt
die Aufrichtigkeit und das treuherzige Abziehbild Martens zunehmend.
Freimütig
zitiert der Film an dieser und jener Stelle filmische Vorbilder, ohne ihnen,
im Großen und Ganzen, prägnant nahe kommen zu können. Dazu ist
das ländliche Herzbach zu prüde, zu erzkonservativ, zu sehr darum
bemüht nicht nach teutonischer Leberwurst zu miefen als das es „ein Berlin
der Extreme“ treffend konterkarieren könnte. Da wirkt etwas zu konstruiert,
nicht echt, sondern lediglich um Realismus in Klischees besorgt. Vielleicht
betrügt gar das längst institutionalisierte Ambiente der Vorgänger
aus Hollywood, doch für das Kinoformat erscheint der bäuerliche Charme
Mecklenburgs ungeeignet.
Und überhaupt
orientiert sich Alvart fast dogmatisch an bereits bekannten, vielfach durcherzählten
Szenarien. Sei es der Mörder mit Profil oder das Entlanghangeln an biblischen
Motiven, die hinterhältige Überlegenheit des aus der Zelle agierenden
oder die gedankliche Nähe von Gut und Böse. Finchers „Se7en“ ist
eine omnipräsente Stilanleihe, nicht nur weil es zu Beginn von Alvarts
Inszenierung ähnlich bedrohlich regnet, auch aufgrund der numerisch festgelegten
Anzahl an Opfern, die Sadist Engel im Laufe der Handlung zu variieren versteht.
Dabei misslingt der Versuch sich in ähnlich schmutzigen und morbiden Gemäuern
umherzutreiben wie dies einst Fincher tat, doch verlassene Graffitis an der
Häuserwand und ein plastisches „Lost Soul“ an Engels Hauswand allein genügen
kaum, dokumentieren sie doch nur das partielle Scheitern des Films aufgrund
photographischer Einsilbigkeit.
Da fehlt
das visuelle Postulat, vielleicht fehlten aber auch einfach die finanziellen
Mittel. Denn auf die Basis reduziert hat Alvart eine durchaus fesselnde Geschichte
zu erzählen und weiß dies auch in Teils begeisternder Form zu tun.
Dass trotz der gekonnten Figurenzeichnung und der meist mit auditiven Mitteln
heraufbeschworenen Spannung, doch ein schaler Beigeschmack den Gesamteindruck
erheblich trübt, liegt mit Gewissheit auch in der überbordenden, weit
um sich greifenden Thematik des Films verborgen, der sich selbst in seinem eigenen
Anspruch zu verlieren droht.
Doch wer
anfangs Dostojewski zitiert legt die Messlatte fest, obwohl das postmoderne
Spiel des Zitate-Kinos meist nur durch – die hier nicht präsente – zurückhaltende
Subtilität wirklich zu gewinnen ist. Effektreich, aber nicht immer effektvoll
inszeniert, scheut der Film am Ende vor inhaltlicher Konsequenz zurück
und beugt sich gar der biblischen Moral, die er kontinuierlich zu destruieren
plante. Doch immerhin bleibt eines: Fincher hat das nicht getan.
Dieser
Text ist zuerst erschienen in der filmzentrale
Deutschland
2005 – Regie: Christian Alvart – Darsteller: Wotan Wilke Möhring, André
Hennicke, Heinz Hoenig, Ulrike Krumbiegel, Nina Proll, Hauke Diekamp, Laura
Alberta Szalski, Norman Reedus, Jürgen Schornagel – FSK: ab 16 – Länge:
126 min. – Start: 7.7.2005
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